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Publikationsdatum
1. Juli 2013
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avguide.ch hatte kürzlich die Gelegenheit, die von der Technik her endgültige Version des neusten Meisterwerkes von Kurt Scheuch und seinen Mannen – die Master Line Source - anzuhören, welche als sogenannte Linienschallquelle arbeitet und der Öffentlichkeit erstmals im September 2013 vorgestellt wird.

Das neue Lautsprecher-Monster verfügt über vier 1,75 m hohe Säulen mit insgesamt 78 Chassis, wiegt total 420 kg und kostet 195'000 Franken. Die Optik wird bis zur offiziellen Vorstellung im September 2013 noch verfeinert.

Ob sich der gigantische Aufwand gelohnt hat, zeigt unser Bericht.

Vom Güterbahnhof in den Konzertsaal

Die beiden Gesichter der MLS: links Frontansicht, rechts Rückseite.Die beiden Gesichter der MLS: links Frontansicht, rechts Rückseite.

„Als Linienschallquelle bezeichnet man Schallquellen, die auf ihrer Länge Schall erzeugen. Im Gegensatz zur Punktschallquelle, bei der sich die Schallwellen kugelförmig ausbreiten, geht man bei der Linienschallquelle von einer zylinderförmigen Ausbreitung der Schallwellen aus. Das beste Beispiel für Linienschallquellen sind Züge oder Strassenbahnen“.

Da ich nicht mit Plagiatsvorwürfen überhäuft werden will, gebe ich - ehrlich wie ich meist bin – an, wo ich das abgeschrieben habe, nämlich von der Webseite der Universität Essen aus der Rubrik Bauphysik-Interaktiv.

Während also die Linienschallquelle (auf Neuhochdeutsch Line Source)  im Zugverkehr schon längst in Aktion war, veröffentlichte der Akustik-Pionier Harry Olson erst 1957 seine Theorien und Experimente über diese Art von Schallabstrahlung mit Lautsprechern.

Den Höhepunkt dieser Technik zelebrierte die US Firma Infinity in den siebziger Jahren mit ihrer legendären IRS Beta. Im Gegensatz zum Schall einer Zugkombination, welcher zum Boden hin vom Schotter mehrheitlich absorbiert wird, liess man die Lautsprecher-Linienschallquelle als Dipolstrahler arbeiten, was auch bei der MLS von Piega der Fall ist.

Weitere Vorteile dieser Technik sind im nachfolgenden Interview mit Piega Entwickler Kurt Scheuch zu erfahren.

Vorurteile

Alle grossen Line-Source Systeme, die ich bisher gehört hatte, besassen eine Gemeinsamkeit: Ihr grossartiges Klangbild. Dieses führte dazu, dass grosse Klangkörper dementsprechend überzeugend und weiträumig, Solostimmen und gewisse Solo-Instrumente doch klar etwas zu gross dargestellt wurden. Bösartig ausgedrückt, könnte man sagen, Rebecca Pidgeon hätte auf einem solchen System eine geradezu „riesige Klappe“ und eine Solo-Gitarre plötzlich die Ausmasse einer Harfe.

Doch es gilt: „Lieber zu gross als zu klein“. Und in der Tat, was gibt es Jämmerlicheres als ein grosses Sinfonieorchester, das klingt wie aus der Konservendose?

Neben dieser Gemeinsamkeit – dem grossartigen Klangbild - klangen alle diese Giganto-Systeme mit ihrer doch sehr unterschiedlichen Bestückung grundverschieden. Von traumhaft schön, hart-analytisch, ja sogar scharf, bis zu basslastig-dröhnend und soft-verwaschen gab's da in der Vergangenheit alles zu hören.

Wer eine Reise tut...

Dass Daniel Raymann, Mitentwickler der Master Line Source sein etwas gross geratenes Kind liebt, ist unschwer zu erkennen....Dass Daniel Raymann, Mitentwickler der Master Line Source sein etwas gross geratenes Kind liebt, ist unschwer zu erkennen....

So mit Vorurteilen und Erwartungen gespickt, reise ich nach Horgen am Zürichsee, um zu hören und zu sehen, wie das bisher aufwendigste System der Firma Piega wohl klingen möge. Also packe ich meine bewährten Aufnahmen, meistens SACDs und etliche bewährte CDs in meine Mappe, lade die Akkus meiner Kamera und des Tascam DR-1 Recorders fürs Interview mit Kurt Scheuch und los geht's.

Dort angekommen, erwarten mich Daniel Raymann und Kurt Scheuch, die beiden Entwickler der MLS. Zudem warten folgende Geräte von Marantz darauf, die MLS mit meiner mitgebrachten Software zu befeuern: Vorstufe SC-7 S2, 2 Monoblöcke MA-9 S2 und der CD-SACD-Player SA-11 S2 und last but not least, das Piega Lautsprecherkabel Cable 1.

Um mein Gehör nicht vorzeitig mit pegelstarken Perkussions-Orgien abzustumpfen, beginnt die Hörsession wie üblich mit den zarten, aber impulsiven Klängen der Mozart Klavier-Trios mit dem Trio Prague auf der Harmonia Mundi SACD (PRD/DSD 250 226), einer in jeder Beziehung ganz hervorragenden Aufnahme. Also Augen zu und den nun folgenden Klängen gelauscht.

Und Hand aufs Her(t)z! Was nun zu erleben ist, ist schlicht sensationell und kann nur mit einem einzigen Wort beschrieben werden und dieses lautet: grossartig!

Perfekte Illusion

Die Illusion ist (fast) vollkommen, und ich habe das Gefühl, das Guarneri Trio Prague spiele in natürlicher Grösse direkt vor mir zum Konzert auf.

Zunächst verblüfft die räumliche Abbildung. Der Flügel steht klar hörbar hinter den Streichern. Man hört, wie sich der Raum hinter den MLS-Systemen in die Tiefe öffnet. Was ebenfalls fasziniert, sind die feinen Schallrückwürfe, welche die Saalakustik des Aufnahmeraumes überzeugend nachbilden.

Doch nun zum eigentlichen Klang. Der Flügel klingt ganz klar nicht nach einem etwas spröden, dürren Hammerklavier aus Mozarts Zeiten, sondern nach einem hervorragenden, modernen Instrument.

Doch bei der Wiedergabe der Streicher konstatiert das Gehör: Ja, genau so klingt eine Violine von Joseph Guarneri! Das ebenso herrlich klingende Cello, gebaut von Andrea Guarneri, legt mit seinem sonoren Klang ein herrliches Fundament. Wie hier die Bögen die Saiten anpacken und sich die ganze Klangfarbenpracht dieser Instrumente entfaltet, kann kaum mit Worten beschrieben werden.

Da gibt's nur eines: hingehen und hören!

Raumklang mit nur zwei Kanälen

Surround Sound mit zwei Kanälen? Händels Orgelkonzerte werden von der Master Line Source mit verblüffendem Raumklang reproduziert.Surround Sound mit zwei Kanälen? Händels Orgelkonzerte werden von der Master Line Source mit verblüffendem Raumklang reproduziert.

Und weiter geht das Konzert mit Werken von Händel für Orgel und Orchester. (Harmonia Mundi USA, HMU 807446) Auch hier begeistern die Klangfarben der Streicher und fasziniert die räumliche Projektion dieses gewaltigen Klangkörpers.

Wie die MLS die Orgel in den Abhörraum zaubert, führt dazu, dass sich der feine Riesel, der bei mir nur noch selten den Rücken hinunter perlt,  zur Stelle meldet. Als bekennender Freund des Surround Sounds muss ich zähneknirschend zugeben, dass es hier auch mit lediglich zwei Kanälen möglich ist, die Akustik einer grossen Kirche überzeugend in einen Abhörraum zu transformieren.

Doch dazu braucht es eine MLS und dieser Aufwand, der hier getrieben wird, ist ja auch nicht gerade klein...!

Klangrausch

Und dann erscheint Rebecca Pidgeons Stimme (Chesky SACD329) wie aus dem Nichts. So gross habe ich diese Stimme noch nie gehört und meine bisherigen Erfahrungen mit grossen Line Source Systemen werden hier ganz klar bestätigt.

Allerdings ist die scheinbare Grösse von der Abhör-Lautstärke abhängig. Wird der Volumeregler auch nur ein bisschen zu weit aufgedreht, erscheint die Stimme geradezu riesig. Bei geringerer, oder besser gesagt „natürlicher“ Lautstärke ist der „Verdimensionierungs-Effekt“ weitaus kleiner. Doch besteht bei einem derartigen System die ganz grosse Versuchung, die Lautstärke drastisch zu erhöhen, um voll und ganz im Klangrausch aufzugehen.

Die Stimme an und für sich klingt wunderschön, extrem sauber und doch charaktervoll. Keine Rauheiten trüben hier das Vergnügen und auch die Zischlaute wirken trotz ihrer hervorragenden Zeichnung angenehm.

Dynamik und Pegel

Nach diesen feinen, eher zarten Klängen geht's zu rockigen Sounds. Und hier zeigt sich der riesige Unterschieds zu grossen Line Source Systemen, die auf elektrostatische Art und Weise funktionieren. Die grosse Anzahl an dynamischen und Bändchen-Chassis liefert hier eine mitreissende Dynamik-Orgie. Wohlgemerkt: Dynamik– nicht Pegel-Orgie.

Pegelstark ist die MLS zwar auch, aber was am meisten beeindruckt, ist die Spritzigkeit, die Vitalität, die Impulsfestigkeit und die Schnellheit, mit der gerade perkussive Instrumente wiedergegeben werden.

Bei David Sanbornes Tequila (Verve, SACD) mit den abgrundtiefen Kontra-C-Passagen ist kein Pegelabfall nach unten zu hören. Mit vollem Druck kommt der Tiefstbass, und das erst noch lupenrein. Wie hier das Bass-System ganz unten noch eine ganze Oktave dransetzt, ist gerade für einen aktiven Bass-Spieler ein Erlebnis.

Aber es ist nicht nur der Bass, der überzeugt. Über den gesamten Frequenzbereich hat die MLS die Band voll im Griff und liefert Klänge, die einem vom Hocker reissen, zumal auch Sanbornes Tenor-Sax nicht grell und eng - wie auf so vielen Systemen - nervt, sondern locker und dennoch ultravital vor sich hinröhrt.

Die Frage ganz am Schluss

Es vergeht noch einige Zeit, bis diese erste Hörsession zu Ende geht. Zum Schluss stellt sich mir die Frage: Habe ich in meiner ganzen Karriere als Audio-Journalist jemals etwas besseres gehört? Doch lassen wir die Zeit und nicht auch zuletzt die Piega-Leute noch etwas an der Optik des MLS arbeiten und warten, bis die MLS im September 2013 ganz offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt wird.