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Publikationsdatum
4. Mai 2024
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Als Flaggschiff (engl. Flagship) bezeichnet man im High-End-Audio das absolut Machbare eines jeweiligen Herstellers. Die Flaggschiff-Produkte sind extrem teuer, weil weder Kosten gescheut noch Kompromisse eingegangen werden. Flaggschiffe zementieren die gewünschte Kausalität von Geld als Grundlage der Qualität oder «je teurer, desto besser».

Flaggschiffe sind zuweilen auch eine enorme Verschwendung von Ressourcen. Gehäuse werden aus massiven Rohlingen gearbeitet: Da wird gerne einmal ein 100-kg-Aluminium-Rohling für ein grosses Endstufengehäuse verschwendet und bei einem sogenannten «Referenzlaufwerk» (aka Plattenspieler, fast so gross wie ein Schreibtisch) reicht das noch lange nicht aus. Alles – Mechanik wie Elektronik – ist völlig überdimensioniert, der Aufwand völlig übertrieben – noch mehr als sonst, denn wir sind uns ja einiges gewohnt.

Es gibt immer mehr Flaggschiff-Produkte. An der High End in München kann man sie aufs Neue bewundern. Einige Neue werden hinzukommen, und die Audiophilen drücken sich die Nase platt. Die Video-Teams der gekauften Medien und die Influencer umschwirren die Schöpfer dieser Monstergeräte, die beide auf verstörende Art völlig aus der Zeit gefallen sind.

Warum wollen die Hersteller Flaggschiffe?

Selbstverwirklichung: Das Geschäft läuft so gut oder ist so unwichtig, dass man sich darin verwirklichen kann. Man will das im Rahmen der eigenen Kompetenz Machbare versuchen, unabhängig von finanziellen Barrieren. Das Flaggschiff-Produkt als Ausdruck der eigenen Überlegenheit.

Die Braut schmücken: Das Geschäft läuft schlecht oder es ist kein Nachfolger in Sicht, sodass man mit einem «überragenden» Produkt Investoren oder Käufer anziehen will und sich als Nebeneffekt auch noch bei potenziellen Kunden in Erinnerung ruft. Das Flaggschiff-Produkt als Akt der Verzweiflung.

Der zweite Grund dürfte häufiger vorkommen, als man denkt: Viele Hersteller im High-End-Audio sind kleine Betriebe mit wenig Personal. Die treibende Kraft ist der noch ganz rüstige Chef, der jahrelang niemanden an seine Kompetenz herankommen liess. Oder der Nachfolger ist irgendwann abgesprungen. Gute Nachwuchs-Entwickler finden oft Industrien, die weit attraktiver sind und bessere Entwicklungsmöglichkeiten bieten als High-End-Audio. Oder die Investoren verlieren ihre Geduld und möchten die Trophäe weiterreichen.

In beiden Fällen werden Flaggschiff-Produkte auch als Gratiswerbung verstanden. Das ist ein Irrtum. Wer eine grosse Reichweite will, wird zur Kasse gebeten. Selbst das allgemeine und gut konzertierte Schulterklopfen bekannter Akteure an HiFi-Messen, wie Sie es als Interessierter in den sozialen Medien als Selfie-Show wohlbeeindruckt zur Kenntnis nehmen, kommt nicht gratis.

Das Flaggschiff-Produkt mag für die Hersteller eine ehrliche Ansage sein – oder war es einmal. Das Beste, wozu man im Stand ist. Profitabel ist es selten. Selbst wenn sich einige wohlbetuchte Käufer einstellen, ist eine Fertigung, welche die angefallenen Kosten zu decken vermag, schwierig. Die Kaufinteressenten für Flaggschiffe haben viel Auswahl.

Es ist auch nicht immer das Ziel, mit dem Flaggschiff-Produkt selbst Geld zu verdienen. Entweder sucht man mit dessen Ausstrahlung Käufer für das Unternehmen (die Marke), oder man leitet aus dem Flaggschiff-Produkt eine Reihe neuer Produkte ab, die die Gene des Flaggschiffs in sich tragen sollen, aber weit erschwinglicher sind. Eine Art Flotte, wenn wir schon bei Schiffen sind.

Diese Praxis ist sehr verbreitet und man kann damit ein Preisniveau rechtfertigen. Stellen Sie sich ein Paar Flaggschiff-Lautsprecher für 400'000 CHF vor. Das macht das nächst günstigere Modell der Reihe für 240'000 CHF schon fast erschwinglich, und das kleinste Modell der Reihe ist mit 144'000 CHF schon fast ein Schnäppchen.

Vivid Audio Moya M1: Passive Standlautsprecher für 450'000 EUR/Paar.Vivid Audio Moya M1: Passive Standlautsprecher für 450'000 EUR/Paar.

Warum will die High-End-Branche Flaggschiffe?

Flaggschiffe dienen der Audio-Branche, die Preismesslatte sukzessive höher zu legen. Es ist ein befremdliches Spiel, das da gespielt wird. Dabei geht es nicht um Leistung, sondern um reine Manipulation der Käufer. Plötzlich gibt es Plattenspieler-Laufwerke für über 200'000 CHF. Warum? Da ist nicht besonders viel Technologie drin, die jahrelange R&D-Arbeit erfordert hätte. Es ist vor allem eine riesige Materialschlacht.

Damit nun ein Plattenspieler für 170'000 CHF einen «würdigen» Phono-Vorverstärker erhält, muss man für diesen 85'000 CHF hinblättern. Es gibt in unseren Köpfen diese angelernten Verhältniszahlen. Man kann doch nicht einen 220'000-Franken-Plattenspieler mit einem Phonoverstärker bedienen, der nur 2500 kostet. Ich habs noch nie versucht, aber es geht bestimmt ausgezeichnet.

Die Flaggschiffe der vergangenen 10 Jahre haben ganz wesentlich dazu beigetragen, das Preisniveau für High-End-Audio stetig in die Höhe zu treiben – und viele Hersteller machen mit bei dem Spiel. Die einen sind vielleicht etwas zurückhaltender als die anderen, aber dem Prinzip bleiben sie alle treu. Sie erzeugen einen Preis-Sog nach oben. Aber warum?

Weniger Aufträge, höhere Preise

Die High-End-Hersteller verkaufen immer weniger und versuchen die entgangenen Gewinne mit höheren Preisen wettzumachen. Als Begründung für die Preiserhöhungen werden nach Covid zwar die Inflation und die Lieferketten genannt, in Wirklichkeit aber sinkt die Nachfrage, und zwar auch in den ergiebigen Märkten wie China und Südostasien. Grund ist der sich abzeichnende Generationenwechsel. Die Stereo-begeisterten Babyboomer, darunter viele Millionäre, werden immer weniger.

Die jüngeren Generationen sind digitalisiert, denken nachhaltig und verantwortungsbewusst. Reichtum geht auch bei den neuen Milliardären aus China auf die nächste Generation über, und sie sind nicht dumm. Sie sind umweltbewusster und erkennen, dass das Zurschaustellen von Eitelkeit im KI-Zeitalter nicht von Dauer sein wird. Sie passen sich schnell an und werden erkennen, dass es nicht cool ist, Cola in teuren Bordeaux zu giessen, genauso wenig wie 500’000 CHF für ein Paar Lautsprecher auszugeben, nur um Freunde zu beeindrucken.

Ihre Väter, diese «alte» Kundschaft, ist heute aber noch das Rückgrat der High-End-Branche. Die Kaufbereitschaft nimmt ab und Preiserhöhungen sind das falsche Rezept. Die Branche muss umdenken, der bisher gewählte Weg ist der falsche.

Das Lautsprechersystem Sonus Faber Suprema ab 725'000 EUR mit Aktivweiche. Die zusätzlich benötigten Endstufen sind nicht im Bild.Das Lautsprechersystem Sonus Faber Suprema ab 725'000 EUR mit Aktivweiche. Die zusätzlich benötigten Endstufen sind nicht im Bild.

Die Beeinflusser sind nicht kritisch

Jeder Markt braucht Beeinflusser, die mit viel Expertise bewehrt zwischen Angebot und Nachfrage vermitteln. Beeinflusser sollen kritisch sein. Die Fachmedien sind es schon lange nicht mehr. Die Printmedien kämpfen um ihr Überleben und die Online-Fachmedien werden von «Influencern» und ihren Video-Kanälen verdrängt. Am besten funktionieren noch die Internet-Foren, wo man sich zu bestimmten Themen viele Meinungen einholen kann.

Auch die Beeinflusser spüren, dass das Geschäft kleiner wird. Die Aufträge werden weniger. Wenn nun neue Flaggschiffe extensiv gecovert werden sollen und man dafür ein paar Tausender kriegt, dann sagt niemand nein – und schon gar nicht etwas Kritisches.

Ausblick

Flaggschiffe sind das Synonym für High-End-Audio. High-End-Audio wird mit den Babyboomern in der heutigen Form verschwinden. Es ist bloss eine Frage der Zeit. Die Nachfolgeprodukte werden nachhaltiger, smarter und günstiger sein. Man wird sie immer noch mit «High-End» titulieren.

HiFi wird sich bei einem Systempreis von ca. 10'000 CHF einpendeln. Inklusive digitaler Quellen. Die allermeisten Musikbegeisterten lümmeln sich wie in den 1950er-Jahren vor den Jukeboxen. Heute sind dies die Smart Speaker für jeden Anspruch. In kaum einem Bereich hat die Tonqualität in 25 Jahren so stark zugenommen wie bei den Audiogeräten in der Grösse einer Schuhschachtel für 500 CHF. Dazu kommen Kopfhörer mit Raumklang.

Die Flaggschiffe werden ausgemustert.