Augenblicke einfangen
Die Bedienungs- und Konfigurationsmöglichkeiten der Canon EOS R5 und R6 sind sehr umfangreich. Alle vorzustellen, würde den Umfang dieses Artikels bei Weitem sprengen. Deshalb hier nur die interessantesten Funktionen und wichtigsten Änderungen gegenüber der EOS R, die vor rund zwei Jahren als erste spiegellose Vollformatkamera von Canon auf den Markt kam.
An erster Stelle steht der eingebaute 5-Achsen-Bildstabilisator (IBIS), auf den viele Fotografen gewartet haben. Damit habe ich nun auch mit älteren EF-Optiken ohne optischen Stabilisator im Objektiv mehr Freiheiten beim Fotografieren aus der Hand. Laut Canon stellt dieses intelligente Stabilisierungssystem aktuell die weltbeste Bildstabilisierung dar und kompensiert bis zu 8 Belichtungsstufen in Kombination mit RF-Objektiven.
In der Praxis würde ich je nach Optik von einer Verwacklungsreserve von drei bis vier Blendenstufen ausgehen. Damit lässt sich dann schon einiges anfangen: zum Beispiel den ISO-Bereich und somit auch das Rauschen drastisch herunterschrauben oder die Belichtungszeit von 1/100 auf eine Sekunde verlängern und immer noch knackscharfe und rauscharme Fotos aus der Hand erhalten.
Dann wurde die Serienbildgeschwindigkeit massiv erhöht. Kombiniert mit der verbesserten Gesichts- und Augenerkennung beim Fokussieren wird eine EOS R5 oder R6 zum idealen Werkzeug für Sport- und Wildlife-Fotografen. Es ist wirklich verblüffend, wie die Kameras Gesichter und Augen erkennen und den Fokus präzise nachführen.
Der Autofokus bietet nun eine 100-prozentige Bildfeldabdeckung mit 5940 wählbaren AF-Positionen bei der R5 und sogar 6072 bei der R6. In Kombination mit dem ISO-Bereich von 100–51’200 wird auf Motive selbst bei sehr wenig Licht gestochen scharf fokussiert.
Durch die gesamte Bildfeldabdeckung kann man direkt auf jede beliebige Stelle im Bild scharfstellen. Man muss das gewünschte Motiv nicht mehr zuerst in die Bildmitte, bzw. in einen eingeschränkten AF-Bereich der Kamera nehmen, Auslöser zur Fokussierung halb herunterdrücken, halten und danach den Bildausschnitt neu bestimmen. Man fokussiert gleich «richtig» aufs Motiv, auch wenn es sich am äusseren Bildrand befindet.
Joystick und flexible Automatik
Mit der EOS R5 und R6 lässt sich der aktive AF-Bereich wieder mit einem Multi-Controller-Joystick verlagern. Im praktischen Vergleich habe ich festgestellt, dass ich den Fokuspunkt per Fingertipp auf das Display oft schneller anpassen konnte als per Joystick.
Um dabei das Auge nicht vom Sucher nehmen zu müssen, klappt man den Bildschirm mit Touch-Bereich nach aussen um und fährt mit dem Finger darüber. Wer sich nun wundert, weil sich die AF-Bereichsanzeige scheinbar grundlos verschiebt und nicht dort bleibt, wo man hingetippt hat, sollte den Touch-Bereich des Displays überprüfen.
Bei mir war es meine grosse Nase, mit der ich unbewusst die Markierung verschob! Nachdem ich den aktiven Touch-Bereich vom rechten auf den unteren Bereich geändert hatte, war wieder mein Finger und nicht mehr die Nase Herr über den AF-Bereich.
Bemerkenswert ist neben den Canon-bekannten Aufnahme-Modi P-Tv-Av-M- und BULB auch der Fv-Modus. Die Abkürzung steht für «Flexible Automatik», bzw. «Flexible Value» und erlaubt es, die Verschlusszeit, Blende und ISO-Empfindlichkeit manuell oder automatisch einzustellen und diese Einstellungen mit der gewünschten Belichtungskorrektur zu kombinieren. Zu Beginn etwas verwirrend, aber bald eine interessante Alternative zu den herkömmlichen P-Tv-Av-M-Modi.
Funktionstaste und Einstellring
Gleich oberhalb des Auslösers befindet sich ein sehr kleiner Multifunktionsknopf. Dennoch lässt er sich gut ertasten und man kann in Kombination mit dem hinteren Wahlrad zum Beispiel ISO-Wert, Weissabgleich oder Blitzbelichtungskorrektur einstellen. Er lässt sich auch mit anderen Funktionen programmieren.
Belegt man den Objektiv-Einstellring mit der Belichtungskorrektur, erhält man zusammen mit der Multifunktionstaste und den Wahlrädern immer einen direkten Zugriff auf Blende, Verschlusszeit und ISO-Werte, ohne den Blick vom Sucher zu nehmen.
Dasselbe gilt für die Bilderwiedergabe. Die Play-Taste befindet sich gut merkbar zuunterst auf der Rückseite neben dem Display. Durch den hochauflösenden Sucher erhält man auch unter hellstem Umgebungslicht eine zuverlässige Kontrolle über die Bildschärfe.
Eine weitere Bedienungsart bietet die Schnelleinstellungstaste rechts neben der Info-Taste, kurz mit «Q» für Quick bezeichnet. Nach Drücken von «Q» wählt und ändert man je nach Anzeige-Voreinstellung per Joystick und Wahlrädern die gewünschten Werte.
Verfolgungsjagden
Während die EOS R nun wahrlich keine Geschwindigkeitsrekorde aufstellt, beeindrucken die EOS R5 und R6 nicht nur mit den 12 «mechanischen» und 20 «elektronischen» Fotos pro Sekunde, auch der Dual-Pixel-Autofokus der zweiten Generation ist schlichtweg verblüffend.
Die Gesichts- und Augenerkennung für Menschen wurde durch ein Firmware-Upgrade bereits bei der EOS R stark verbessert. Die R5 und R6 setzen dem nun die Krone auf und erweitern die Erkennung auch auf Tiere.
Steht die Autofokus-Methode auf «Gesichtserkennung + Verfolgung», «AF-Messfeldwahl in Zone» oder «AF-Messfeldwahl in grosser Zone» kann unter Menüpunkt «Motiv zum Erkennen» bestimmt werden, was die Kamera als Hauptmotiv bevorzugen soll. «Personen» oder «Tiere» oder «Keine Priorität» stehen zur Auswahl. Die Kamera erkennt dann Körper und Gesichter des Hauptmotivs, stellt auf diese scharf und verfolgt sie, wenn der «Servo-AF» gewählt wurde.
Sollen auch die Augen erkannt werden, muss dies erst unter «Augenerkennung» aktiviert werden. Dies ist jedoch nur in der AF-Methode «Gesichtserkennung + Verfolgung» möglich, sonst ist dieser Menüpunkt ausgegraut und nicht wählbar.
Im Serienbildmodus gibt es für das zu fotografierende Sujet fünf Einstellungskombinationen, sogenannte «Cases», mit unterschiedlichen Werten für die «Servo Autofokus Motivverfolgungsempfindlichkeit» und die Empfindlichkeit der «Nachführung bei Beschleunigung oder Verzögerung», wenn sich Motive plötzlich bewegen oder anhalten.
Im Test habe ich mich von eher langsamen Motiven wie Schafen auf der Weide und unberechenbar bewegenden Sujets wie Enten, Gänsen und Katzen über schnellere, jedoch voraussagbare Bewegungen von Skatern bis zu extrem schnellen Motiven wie Milane in der Luft «hochgearbeitet».
Die Resultate wurden mit der Zeit immer besser. Je nach Motiv brachte entweder der «Case A», der sich automatisch an die Motivbewegungen anpasst, oder eine «feingetunte» Kombination die besten Ergebnisse.
Als Objektive kamen das Canon RF 70–200 mm F2.8L IS USM sowie das RF 100–500 mm F4.5-7.1L IS USM zum Einsatz. Die Beispielfotos wurden mit 45 MB Auflösung im Bildstil «Standard» aus der Hand ohne Stativ erstellt und sind Original-JPEGs direkt aus der Kamera EOS R5, jeweils auf Webgrösse verkleinert. Bildausschnitte sind angegeben.
Bemerkungen bei den Bildern: Bw = verwendete Brennweite; Belichtungs-Modus iA = intelligente Automatik, Fv = Flexible Automatik, P = Programm, A = Blendenvorwahl bzw. Zeitautomatik, S = Zeitvorwahl bzw. Blendenautomatik, M = manuelle Einstellung; Verschlusszeit; Blende; ISO-Empfindlichkeit; Weissabgleich (WB); spezielle Anmerkungen.
Tieraugen-Fokus
Luftsprünge im Serienbild
Manuell scharfstellen
Das manuelle Scharfstellen mit der EOS R5 und R6 wird durch sechs- oder fünfzehnfache Bildvergrösserung, Fokus-Peaking oder Fokusassistenten unterstützt. Beim Fokus-Peaking, also der farbigen Anhebung der schärfebestimmenden Kanten, lässt sich die Empfindlichkeit und Farbe anpassen. Ich war positiv überrascht, wie gut damit die manuelle Scharfstellung gelang. Ich brauchte sie oft beim gezielten Freistellen von Motiven.
Noch eine Stufe weiter geht der Fokusassistent. Er zeigt einem mit kleinen Pfeilsymbolen an, in welche Richtung und wie weit man das Objektiv drehen muss, bis die Schärfe sitzt. Ist die Augenerkennung aktiv, wird ein Führungsrahmen in der Nähe von erkannten Augenpaaren angezeigt und so das manuelle Scharfstellen unterstützt.
Seidenweiches Bokeh
Neben den RF-Zoom-Objektiven hatte ich noch einen Leckerbissen im Test. Die ideale Festbrennweite für Porträtaufnahmen, das Canon RF 85 mm F1.2 L USM, und zwar in der DS-Variante.
DS steht für «Defocus Smoothing» und bezeichnet Canons DS-Beschichtung der Objektive für einen besonders weichen und einzigartigen Unschärfe-Effekt. Er ist am deutlichsten zu erkennen, wenn mit der grössten Blendenöffnung, also F1.2, fotografiert wird. Je weiter die Blende geschlossen wird, desto weniger ausgeprägter tritt er in Erscheinung.
Im Vergleich zum Canon RF 85 mm F1.2L USM ohne DS haben Lichtkreise um eine Lichtquelle herum keine klare oder scharfe Abgrenzung mehr, der Bokeh-Effekt wirkt viel weicher, cremiger und unschärfer. Oder in Franken ausgedrückt: 470. Um so viel mehr kostet mit 3569 Franken die DS-Variante gegenüber dem normalen Objektiv mit sonst gleichen Eigenschaften.
Wer nun meint, «Defocus Smoothing» ist gleichbedeutend mit einer unscharfen Linse, der täuscht sich gewaltig. Neben den ausserordentlichen Low-Light-Eigenschaften dank einer Blende von 1.2 bietet das DS-Objektiv auch eine enorme Schärfe am Fokuspunkt. Das bedeutet aber auch, dass bei Offenblende die Schärfentiefe sehr, sehr eng begrenzt ist und man vor allem bei Freihandaufnahmen leicht aus der gewünschten Schärfenebene gerät.
Sehr deutlich sieht man dies im Beispielbild, wo die EOS R5 dank Augenerkennung das linke Auge des Porträtierten knackscharf abbildet, während die Nasenspitze schon wieder in der Unschärfe versinkt, da mit Offenblende F1.2 fotografiert wurde. Das Hintergrund-Bokeh verläuft in sehr weichen Lichtkreisen ohne scharfe Abgrenzungen.
Ähnliches erkennt man bei der Kaffeetasse, die nur am Fokuspunkt auf dem vorderen Rand scharf ist. Der Kaffeelöffel hinter der Tasse und der Hintergrund zerfliessen in einer sanften Unschärfe. Auch bei der Stuhllehne, der Tischkante und der Wasserflasche sitzt die Schärfe perfekt, da sie alle in derselben Ebene des Fokuspunkts liegen. Der Hintergrund zerläuft in eine angenehme Unschärfe.
Wird wie im Beispiel mit den Kaffeekapseln mit demselben Objektiv mit einer Blende von F2.8 aufgenommen, ist die Fokusebene – der mittlere Kapseldeckel – wiederum knackscharf, während Lichtkreise im Hintergrund bereits klarer und abgegrenzter zu erkennen sind.
Wer die Eigenheiten dieses Objektivs kennt, produziert nicht nur sehr ansprechende Freisteller im Porträt-, Hochzeits- und Modebereich, sondern kann damit auch sehr kreative Sachaufnahmen und Stillleben erstellen.