High-Res, High-Speed, 6K und Post-Fokus
Das Objektiv anflanschen, den riesigen Akku sowie eine Speicherkarte einschieben und mit dem grossen, unübersehbaren Ein/Aus-Schalter die Lumix S1R starten. Auf dem Schulterdisplay erscheinen die aktuellen Kameraeinstellungen. Am griffigen, doppelstöckigen Wahlrad links aussen stelle ich mit dem oberen Rad meinen gewünschten Betriebsmodus ein. Neben den bekannten PASM- und Video-Symbolen stehen noch drei Speicherplätze (C1-C3) für eigene Konfigurationen sowie die Esels-Position zur Verfügung.
Mit Letzterer ist das iA-Symbol für «Intelligenter Automatikmodus» gemeint, und ich frage mich, was dies an einer Kamera für Profis soll. In dieser Betriebsart versucht die S1R zehn typische Szenen wie Porträt, Landschaft, Makro oder Nacht automatisch zu erkennen und optimal zu belichten. Gut, für Schnappschuss-Aufnahmen und bequeme Fotografen hat diese Automatik sicher ihre Berechtigung. Wobei dann auch gleich zu Kompaktkamera oder Smartphone gegriffen werden könnte. Dafür braucht es kein Heavy Metal.
Um das Moduswahlrad zu drehen, muss erst die Sperrtaste gedrückt und gehalten werden. Das dient der Sicherheit gegen ein versehentliches Verstellen, nervt jedoch, wenn's schnell gehen muss. Hier finde ich andere Lösungen wie etwa jene der GH5 besser, wo die Sperrtaste in Position «Blockieren» oder «Freigeben» einrastet.
Wer die Esel-Einstellung verlässt, darf die S1R über viele Direkttasten und das umfangreiche Menü bedienen. Darin navigiert man mittels Touchscreen, Joystick, Cursor-Tasten oder Steuerwahlrad auf der Kamerarückseite. Mir gefiel das Quick-Menü am besten. Über seine Direkttaste aufgerufen, lassen sich rasch häufig verwendete Funktionen einstellen, ohne über den Menübildschirm zu gehen. Die Anzeigen des Quick-Menüs dürfen nach eigenen Wünschen angepasst werden.
Ebenso lässt sich die Standardbelegung der Funktionstasten nach eigenem Gusto umprogrammieren. Die Anpassung selbst funktioniert simpel. Einfach die gewünschte Funktionstaste ungefähr zwei Sekunden gedrückt halten, und schon wird die aktuelle Tasteneinstellung mit ihren Belegungsoptionen angezeigt. Neben den physischen Tasten am Gehäuse gibt es noch fünf weitere Funktionstasten (Fn3 bis Fn7), die als Touch-Symbole am rechten Rand des Aufnahmebildschirms erscheinen und auch geändert werden können. Die Cursortasten, der Umschalter auf der Vorderseite und der Joystick lassen sich ebenfalls vom Benutzer neu belegen.
Falls diese Anpassungen nicht ausreichen, kann man im Hauptmenü unter «Mein Menü» bis zu 23 eigene, häufig verwendete Menü-Elemente zusammenstellen. Wer oft zwischen unterschiedlichen Foto- und Videoaufgaben wechselt, freut sich über die drei Benutzer-Speicherplätze, die sich mit eigenen «Setups» belegen und per Wahlrad aufrufen lassen.
Schliesslich lassen sich bis zu zehn Sets an Einstellungsinformationen der Kamera auf einer SD- oder XQD-Karte abspeichern und damit dieselben Einstellungen auf mehrere S1R-Kameras übertragen.
In schneller Serie
Die untere Ebene des Wahlrads dient als «Drive-Schalter» für die Serienbilder- und 6K/4K-Foto-Funktionen. Zwei davon lassen sich aus den vielen Möglichkeiten auswählen und auf die beiden Serienbild-Positionen legen. Ohne Nachfokussieren sind bis zu 9 Bilder im RAW- und JPEG-Format, und mit kontinuierlichem Autofokus noch 6 Bilder pro Sekunde möglich. Wer es schneller braucht, wählt die 6K/4K-Fotoaufnahme. Sie erstellt mit bis zu 30 Bildern pro Sekunde eine Videosequenz, aus der dann Einzelbilder mit 18 oder 8 Millionen Pixel extrahiert werden. Jedoch nur im JPEG-Format.
Besonders interessant wird 6K/4K-Foto zusammen mit der Pre-Burst-Aufnahme. Damit verpasst man keinen entscheidenden Moment mehr. Bei Pre-Burst beginnt die Aufnahme bereits eine Sekunde vorher, bevor der Auslöser vollständig heruntergedrückt wird.
Die Post-Fokus-Funktion hat die Lumix S1R ebenfalls von den Micro-FourThirds-Modellen geerbt. Hier werden Serienbilder in der gleichen Bildqualität wie 6K/4K-Fotos aufgenommen, während automatisch auf verschiedene Bereiche scharfgestellt wird.
Nach der Aufnahme wird ein Foto mit dem gewünschten Schärfebereich ausgewählt und als JPEG-Bild gespeichert. Oder die Fokuspunkte werden miteinander verrechnet. Produktefotos oder Makroaufnahmen können so im Nachhinein von vorne bis hinten geschärft werden. Die Post-Fokus-Funktion eignet sich am besten für unbewegte Motive. Idealerweise fixiert man die Kamera dabei auf einem Stativ.
Die beiden letzten Einrastungen des Drive-Schalters gehören dem Selbstauslöser und den Zeitraffer- oder Stop-Motion-Aufnahmen. Selbstverständlich beherrscht die S1R auch das normale Bracketing. Es sind automatische Belichtungsreihen mit unterschiedlichen Werten für Helligkeit, Weissabgleich, Fokus und Blende möglich.
Mega-Auflösung und HLG
Neben der standardmässig schon riesigen 46,7 Megapixel Fotoauflösung mit 8368 x 5584 Pixeln kann die Lumix S1R noch mehr. Im High-Resolution-Modus werden per Pixelshift Bilder mit einer Auflösung von sagenhaften 187 Megapixeln erzeugt. Im 3:2-Verhältnis entspricht dies 16'736 x 11'168 Bildpunkten.
Der hochauflösende Foto-Modus eignet sich ideal für statische Objekte und Landschaftsaufnahmen ab Stativ. Bewegt sich während der Aufnahme dennoch etwas im Bild, versucht die Kamera mit zwei wählbaren Methoden, die Bewegungsunschärfe zu kaschieren. Bei meinen Aufnahmen gelang dies relativ gut bei leichtem Schaukeln von Blättern im Wind. Raschere Bewegungen von Menschen, Tieren oder Fahrzeugen erhielten jedoch diesen typischen Nachzieheffekt auf dem Foto. Manchen gefällt das.
Die Einstellungsbereiche bei High-Resolution sind im Vergleich zu normalen Fotoaufnahmen etwas eingeschränkt. So kann die Blende nur bis maximal F16 abgeblendet werden, die Verschlusszeit ist zwischen einer bis 1/16'000 Sekunde fixiert, die ISO-Empfindlichkeit geht bis zu maximal ISO 3200 und die Scharfstellung muss Einzel-AF oder manuell sein. Der Verschlusstyp ist zudem fest auf elektronisch eingestellt und damit eine Blitzauslösung nicht möglich.
Wird für den Bildstil HLG (Hybrid Log Gamma) gewählt, nimmt die Lumix S1R ein Bild mit grossem dynamischen Bereich auf. Helle Lichter und dunkle Bereiche werden in hoher Qualität und Farbreichtum so aufgenommen, wie sie sich dem menschlichen Auge darstellen. Hybrid Log Gamma ist ein HDR-Format, nach dem internationalem Standard ITU-R BT.2100 und nur für den Bildschirm bestimmt. Die Kamera stellt eine 8K- und 4K-Auflösung zur Wahl.
Als HLG-Bildstil kann Standard oder Monochrom ausgewählt werden. Da HLG-Fotos nicht direkt von Monitor und Sucher der Kamera angezeigt werden, lässt sich im S1R-Menü eine HLG-Ansichtshilfe zur Bestätigung einschalten. Das Wiedergabegerät wie TV oder Monitor muss ebenfalls die Darstellung von Bildern im HLG-Format unterstützen. Manchmal muss dafür das Eingangssignal angepasst werden. An meinem UHD-TV zum Beispiel musste ich das HDMI-Signal höchster Qualität (4K60 4:4:4, 4K60 10-Bit-HDR) auswählen, bevor die HLG-Fotos in voller Pracht erstrahlten.
Depth From Defocus
Bei der Fokussier-Methode bleibt Panasonic auch im Vollformat bei seiner DFD-Technologie (Depth From Defocus). Diese wurde bei den Micro-FourThirds-Modellen oft kritisiert und zeigte auch bei der S1R im Videobereich, weniger beim Fotografieren, seine typischen Schwächen.
Die DFD-Technologie berechnet die Entfernung zum Motiv, indem sie zwei Bilder mit unterschiedlicher Defokussierung auswertet und zugleich die optischen Kenndaten des aktuellen Objektivs abruft. Basierend auf der Kontrasterkennungs-AF-Technik kann es dabei zu leichtem Fokuspumpen kommen, da nicht sofort und präzise auf den richtigen AF-Punkt gefahren werden kann wie bei der Phasen-Autofokus-Technik.
Bei meinen Testfotos konnte ich jedoch keine grösseren Verzögerungen bei der Scharfstellung feststellen, auch nicht bei rasanten Serienbildern im Verfolgungsmodus. Der AF arbeitete schnell und präzise. Ich nehme an, dass durch die grösseren Bildsensoren des Vollformats mehr Informationen, vor allem bei Schwachlicht, zur Schärfeeinstellung genutzt werden können, als beim Micro-FourThirds-System.
Die Lumix S1R erkennt beim Scharfstellen nicht nur Gesichter und Augen, sondern kann auch zwischen menschlicher Gestalt (ganzer Körper oder obere Hälfte) und Tieren wie Vögel, Hunde und Katzen unterscheiden. Anmerkung dazu im Handbuch bei Hunden: auch Wölfe, und bei Katzen: auch Löwen. Ich sagte dies meiner Katze, aber auch danach wollte sie sich partout nicht fotografieren lassen.
Für eine präzise Fokussierung sind 225 Fokusfelder vorhanden. Man kann eine Gruppe davon passend zum Motiv definieren und sie mit dem Joystick einfach steuern, ohne das Motiv aus den Augen zu lassen. Neben der Gesichts- und Körpererkennung wird auch die AF-Fläche passend zum jeweiligen Motiv bestimmt.
Die Schärfenachführung beim Fotografieren gelang zum Beispiel beim Mitziehen des Motorradfahrers und beim Verfolgen von Inline-Skatern bei ruhigem Hintergrund sehr gut, und bei startenden Flugzeugen je nach Hintergrund wie kontrastreiche Flughafen-Gebäude oder ruhiger Himmel gut bis sehr gut (siehe Beispiele in der Bilderstrecke).
Das Verhalten des kontinuierlichen Autofokus (AF-C) kann dem Motiv und der Umgebung angepasst werden. Vier individuelle AF-Einstellungen stehen zur Verfügung, wo man die AF-Empfindlichkeit mit der Bereichswechselempfindlichkeit und der Voraussage beweglicher Objekte kombiniert.
Wenn nötig, kann man die Parameter nach seinen eigenen Bedürfnissen weiter feintunen. Richtig gewählt, bleibt die Schärfe stets auf dem verfolgten Objekt, auch wenn zwischen ihm und der Kamera plötzlich andere Motive auftauchen. Übung macht auch hier den Meister, experimentieren ist angesagt.
Ein Beispiel sieht man in der Dreier-Bilderstrecke bei der Serienaufnahme der rollenden Flugzeuge. Beim ersten Foto ist die Schärfe auf der Maschine, beim nächsten auf dem Pfosten im Vordergrund, beim dritten wieder auf der Maschine. Hier braucht es noch etwas Feintuning bei der Bereichswechselempfindlichkeit.
Farbenrausch und Detailtreue
So schwer die Kamera, so faszinierend die Qualität ihrer Fotos. Das Testmodell der Lumix S1R war noch mit der Vorserien-Firmware Version 0.7 bestückt, trotzdem konnten die Fotos schon als JPEG-Dateien direkt aus der Kamera in Farbenvielfalt, Detailauflösung und naturgetreuer Darstellung voll überzeugen.
Der hochauflösende 47,3-Megapixel-CMOS-Vollformat-Sensor verzichtet auf einen Tiefpassfilter und erhöht so das ohnehin hohe Detailzeichnungsvermögen der Kamera noch weiter. Die Fotos sehen alle noch etwas «crisper» aus. Feine Motivstrukturen werden äusserst detailgenau erfasst. Moiré-Störungen wegen fehlendem Tiefpassfilter sind mir keine aufgefallen.
Laut Hersteller verbessern neue asphärische Mikrolinsen vor jedem Pixel die Lichterfassung durch den Sensor. Die Folge ist besonders geringes Rauschen selbst bei hohen ISO-Werten. Mit einem nativen ISO-Bereich von 100 bis 25'600 eignet sich die Lumix S1R auch für den Einsatz unter schlechten Lichtverhältnissen.
Das Rauschverhalten ist für eine Kamera mit dieser hohen Auflösung exzellent. Rauschen wird ab ISO 6400 je nach Motiv etwas sichtbar. Der Weichzeichner arbeitet sehr gleichmässig, und Detailverluste durch «Glattbügeln« der Pixel sind erst ab ISO 12'800 wirklich störend.
Ich habe meistens im Bildstil «natürlich» fotografiert. Im Vergleich zu den JPEG-Aufnahmen aus der GH5 oder G9 waren die S1R-Farben noch etwas authentischer und realitätsnaher. Die Bilder kamen je nach Motiv fast schon dreidimensional daher. Einen deutlichen Unterschied habe ich vor allem bei Fotos mit Bäumen und Sträuchern im Hintergrund festgestellt. Wo bei Micro-FourThirds die feinen Strukturen von Ästen und Blättern sehr schnell zulaufen und «vermanschen», sind sie bei der S1R noch deutlich sicht- und unterscheidbar.
Bei Porträtaufnahmen erscheinen die Farbtöne und Abstufungen der menschlichen Haut sehr präzise, natürlich und kräftig, ohne bei der Farbsättigung zu übertreiben. Der Augenfokus arbeitet sehr genau und ist beim Fotografieren mit grosser Blendenöffnung eine willkommene Hilfe. Die Schärfe und Detaildarstellung in den Augen sind eine wahre Freude.
Der automatische Weissabgleich der S1R funktioniert sehr präzise. In einer Ausstellungshalle mit Oberlicht und rundherum grünlicher Verglasung stellte ich den Wert zuerst manuell ein und erhielt mehr rötliche denn natürliche Farben zurück. Auch die Sonnen-Einstellung war nicht zufriedenstellend. Erst die Weissabgleich-Automatik kam mit dem Mischlicht perfekt zurecht und erzielte das beste Farbresultat. Und ich hatte wieder etwas gelernt.
Naturaufnahmen erscheinen «saftig« und unverfälscht in den Farben. Das Grün ist wirklich dasjenige der Gräser, Stängel und Halme und nicht etwa das übertriebene Sony-Quietschgrün. Ähem, meine Meinung.
Mit der maximalen Standardauflösung von 8368 x 5584 Pixeln erstellt man problemlos sehr grosse Ausdrucke und hat auch genügend Reserven für Bildausschnitte. Bei JPEG-Dateigrössen zwischen 14 und 20 Megabytes pro Foto sind die Festplatten sehr rasch voll, zusammen mit RAW-Dateien noch viel schneller.
Die Beispielfotos wurden im Stil «natürlich» und mit dem Lumix-S-Standardzoom 24-105 mm und dem S Pro Telezoom 70–200 mm aufgenommen. Für die Bilderstrecke wurden die originalen JPEG-Dateien aus der Kamera genommen und nur in ihrer Grösse reduziert. Bildausschnitte sind gekennzeichnet.