Das wäre sie eigentlich, die ultimative mehrkanalige SACD, auf die ich seit Jahren gewartet habe.
Mit Werken aus der Renaissance, die speziell für "Surround Sound" von Giovanni Gabrieli, Josquin Desprez und anderen Freunden gigantischer Raumklangorgien geschrieben wurden.
Das zwölfstimmige "Gloria" von Bautista Comes (1568 - 1643) - um nur eines der Bespiele zu nennen - wird von drei Chören gesungen, deren Platzierung vom Komponisten genau vorgeschrieben wurde: Der erste Chor steht nahe der grossen Orgel, der zweite bei der etwas entfernten kleinen Orgel und der dritte Chor steht im Chor der Kathedrale. Ziel des Komponisten war, den ganzen riesigen Raum mit Surround Sound zu füllen.
Ein anderer Klang-Exzess ist das "Ecce beatam lucem" von Alessandro Striggio (1540 - 1592) , welches für 40 (in Worten vierzig) separate Stimmen geschrieben wurde, die auf 8 (!) verschiedene Chöre rund um den Hörer verteilt wurden.
Ganz klar, dass solche Werke mit der stereofonen Wiedergabe auch nicht nur annähernd realitätsgerecht wiedergegeben werden können.
Also: es lebe die mehrkanaligen Disc!
Leider ist die DVD-Audio bereits mausetot und die SACD wird demnächst zu Grabe getragen.
Und leider liefert auch die vorliegende SACD mit einem Konzertmitschnitt in der Abtei von Noirlac keinen triftigen Grund zur Reanimation der SACD.
Die unzähligen Stimmen erschallen in der Tat rundum aus allen Speakern. Der Raumeindruck ist aber diffus, ja geradezu verwaschen. Die einzelnen Chöre können kaum geortet werden.
Es klingt, wie wenn ein Hallgerät an seinem Anschlag betrieben würde...
Zudem klingen die Stimmen auf meinen gewiss nicht grell timbrierten Top-Speaker britischer Herkunft dünn, zuweilen unnatürlich aggressiv. Den tiefen Stimmen fehlt ganz klar Wärme und Volumen.
Göttlich schöne Musik, hervorragend vom Huelgas-Ensemble unter der Leitung von Paul Van Nevel gesungen, jedoch total verfehlt aufgenommen und als Klangbrei serviert....
Jammerschade!
Lesermeinung zur Rezension
Sehr geehrter Herr Baum
mit grösstem Interesse habe ich Ihre Rezension der SACD "40 Voices" von Harmonia Mundi France gelesen, einer Live-Aufnahme aus der Zisterzienserabtei Noirlac im Département Cher (40 km südlich von Bourges).
Nach dem Anhören der SACD neigte ich dazu, Ihnen beizupflichten, obwohl das Klangerlebnis doch irgendwie beeindruckend und fesselnd war.
Nun habe ich kürzlich die Abtei Noirlac (Bild 1) besucht und den riesigen Kirchenraum (Bild 2) auf mich wirken lassen. Da hatte ich schon viel mehr Verständnis für die Aufnahme, die dem Raum gerecht wird, wenn auch die heutige Erwartung nach Durchhörbarkeit enttäuscht wird.
Und dann habe ich in der Ausstellung das Zitat des Paters/Chorleiters von ca. 1400 entdeckt, in dem er sich beklagt, dass all die Tapisserien und vornehmen Grabmäler, welche die frommen Sponsoren in die Kirche bringen, den Nachhall ("Echo") des Gesangs schlucken, so dass die Gläubigen hinten im Schiff nicht mehr berührt werden von dem was die Patres vorne im Chor singen (Auszug, Bild 3):
Les épaisses tentures et les luxueux tombeaux dont nos pieux bienfaiteurs commencent à parer notre église assourdissent aussi l'écho de nos chants. Pourtant, je vous le dis, ces murs retrouveront un jour leur nudité première.
Offensichtlich gehörte also zu jener Zeit für diese Art von Musik ein langer Nachhall zum Klangideal, und jede Dämpfung in der Kirche wurde als Einbusse empfunden. Und der letzte Satz hat sich heute - ein paar Jahrhunderte später - voll bestätigt.
Vor diesem neuen Hintergrund und nach dem Besuch in Noirlac (auch landschaftlich lohnend) gefällt mir die Aufnahme ausgezeichnet!
Ein Vorwurf bleibt aber Harmonia Mundi nicht erspart: Ein Bild des Kirchenraumes im Booklet würde es dem Hörer ermöglichen, sich in die Atmosphäre an diesem grossartigen Ort einzufühlen. Das habe ich auch schon Divox beizubringen versucht (Vivaldi-Aufnahme aus der reizvolle Klosterkirche Beinwil im Solothurner Jura) Danke für Ihr Engagement für die gute Surround-Wiedergabe von Musik.
Freundliche Grüsse
Beat Hohmann