Gerade in dieser Jahreszeit, in der sich die Sonne im Mittelland immer weniger zeigt, benötige ich ab und zu einen musikalischen Aufsteller, der mich schmunzeln lässt und begeistert. Oft lege ich dann Fats Waller auf, der die Wirkung nie verfehlt.
Doch vor ein paar Tagen riss mich eine Version von «Honeysuckle Rose» aus meiner eher trüben Stimmung. Dank der Playlist der Radiostation im Internet fand ich auch bald das Album, aus dem das mitreissende Arrangement mit den swingenden Soli stammte. Es war an der Zeit, Benny Carter einen Artikel zu widmen.
Benny Carter (1907–2003)
Seinen ersten Klavierunterricht erhielt der kleine Benny von seiner Mutter. Doch er träumte von Grösserem: Einer seiner Cousins war ein erfolgreicher Trompeter und Bubber Miley, ein Trompeter in der Duke Ellington Band, war sein Nachbar. Während Monaten sparte Benny für eine Trompete. Doch als er nach einem Wochenende noch immer keine Tonleiter darauf spielen konnte, tauschte er sein neues Instrument gegen ein Saxofon, das er innert kürzester Zeit beherrschte. Der Autodidakt Carter spielte schon mit 15 in Jazz-Clubs in Harlem.
In den folgenden Jahren sammelte er als Mitglied von verschiedenen Top-Bands der Region New York auf spielerische Art wichtige Erfahrungen, nicht nur als Saxofonist, sondern auch als Arrangeur. Nach einer Tour mit Earl Hines wurde er Mitglied des Fletcher Henderson Orchestra und übernahm gleich die Aufgabe des Arrangeurs. Es waren vor allem die neuartigen Sätze für die Sax-Sektion, die Carter bald zum neuen Vorbild für Arrangeure machten.
1931 wendete sich Benny Carter erneut seiner ersten Liebe, der Trompete, zu und innerhalb von zwei Jahren spielte er Trompetensoli, die seinen Altsaxsoli absolut ebenbürtig waren. In jener Zeit gründete er auch sein eigenes Orchester mit Swing Stars wie Chu Berry, Teddy Wilson, Sid Catlett, and Dicky Wells. Aus finanziellen Gründen, es war die Zeit der Great Depression, musste er 1934 die Band auflösen.
1935 flog Billy Carter auf Einladung nach Europa und wurde Arrangeur für das BBC Dance Orchestra. Er reiste sozusagen als Jazz Ambassador in ganz Europa herum, spielte mit lokalen Jazzgrössen in Frankreich, Skandinavien, Grossbritannien und Holland. Zu diesen Jam-Sessions lud er auch Jazzgrössen aus den USA ein, wie z.B. seinen Freund Coleman Hawkins.
1938 kehrte er in die USA zurück, hatte sein eigenes Orchester und arrangierte für die grossen Bands der 40er-Jahre. Viele seiner Arrangements sind auf LPs aus jener Zeit von Benny Goodman, Count Basie, Glenn Miller, Duke Ellington und vielen mehr zu hören.
1941 gründete er ein Sextett mit den aufstrebenden Bebop-Grössen Dizzy Gillespie und Kenny Clarke. Und schon ein Jahr später brachte er seine eigene, neu zusammengestellte Big Band nach Kalifornien, in der – über die nächsten Jahre – Musiker wie Miles Davis, J.J. Johnson, Max Roach und Art Pepper mitwirkten.
Konnte auf eine ungewöhnlich lange Karriere zurückblicken: Benny Carter.Carter blieb in Kalifornien, konzentrierte sich immer mehr auf Studioaufträge, komponierte und arrangierte Musik für Filme und TV-Serien und schrieb Arrangements für die (damals) erfolgreichsten Sängerinnen und Sänger, von Billie Holiday bis Ella Fitzgerald, von Lou Rawls bis Ray Charles. Zudem tourte er mit Norman Granz’ «Jazz at the Philharmonic» durch die ganze Welt.
In den 70er-Jahren widmete sich Carter der Ausbildung des Jazznachwuchses durch Seminare und Workshops an verschiedenen Universitäten. Nach mehreren Semestern an der Princeton University verlieh diese ihm 1974 den Ehrendoktor. Es folgten weitere Auszeichnungen und Einladungen zu Feiern im Weissen Haus (Präs. Jimmy Carter, Reagan und Bush Sen.)
1975 sandte ihn das US State Department auf Tour. Doch auch Europa und vor allem Japan wurden zu regelmässigen Konzertzielen. 1987 erhielt der 80-jährige Benny Carter den «Grammy Lifetime Achievement Award» und 1990 wurde er sowohl vom «Down Beat» als auch von den «Jazz Times International Critics» zum «Jazz Artist of the Year» erkoren. Doch das sollte noch lange nicht das Ende seiner Karriere bedeuten: Er spielte am North Sea Jazz Festival, jammte mit König Bhumibol in Thailand, komponierte mehrere längere Werke, z.B. die «Central City Sketches» oder die «Glasgow Suite». Er war für weitere acht Grammys nominiert und gewann seinen dritten 1994 für das beste «Jazz instrumental Solo» auf «Prelude to a Kiss».
Der Multi-Instrumentalist Carter spielte neben Alt- auch Tenor- und Sopran-Saxofon, Trompete, Posaune, Klarinette und Klavier. Er verstarb 2003 95-jährig in Los Angeles an den Folgen einer Bronchitis.
Dies ist das Originalcover, das noch heute für das «normale» (nicht HiRes-) Album verwendet wird.«Further Definitions»
Ein Album, auf dem man die Saxofonisten Coleman Hawkins, Phil Woods, Charlie Rouse und Benny Carter zusammen erleben kann, ist bereits ein Leckerbissen. Und dann kommen noch Jo Jones, Dick Katz, Jimmy Garrison und (ein nur ab und zu hörbarer) John Collins als swingende Begleiter dazu … Jazzherz, was willst du mehr.
«Honeysuckle Rose» ist natürlich das Paradestück dieses Albums, das mit einer Leichtigkeit daherkommt, die ihresgleichen sucht. Mitreissend sind auch die Soli von Charlie Rouse, dann Phil Wood (beide links platziert), gefolgt von Coleman Hawkins und Benny Carter (beide rechts). Nur der Schluss scheint mir nicht ganz geglückt, doch Dick Katz rettet Jo Jones' Endeskapade.
Mit «The Midnight Sun Will Never Set» ändert die Stimmung: Den ersten Teil der Balladenmelodie übernimmt Benny Carter über dem Kollektiv im typischen Stil der alten Ellington Band. Im zweiten A-Teil und der Bridge zeigt Coleman Hawkins, dass es auch weniger smooth geht. Nach der Pianoeinlage übernimmt Benny Carter, um zum Schlussbouquet im Kollektiv anzusetzen.
«Crazy Rhythm» ist wiederum eine Uptempo-Nummer mit Solos von Hawkins, Woods, Rouse, Carter, Katz und kurz auch Garrison. Etwas störend empfinde ich Schlagzeugakzente von Jo Jones, die in der Abmischung zu stark in den Vordergrund gerückt wurden.
«Blue Star», eine Carter-Komposition, ist wieder in der eher schmelzenden Art, doch Benny Carters Solo und die Sax-Sätze mit den Pianoeinwürfen sind hinreissend. Weshalb das Intro von «Cotton Tail», einer Duke-Ellington-Komposition, eingeblendet wird (etwas eher Seltenes bei Studioaufnahmen), entzieht sich meiner Kenntnis, doch sowohl die Kollektivsätze als auch die diversen Soli (Rouse (ts) und Woods (as) links, Hawkins (ts) und Carter (as) rechts) sind erneut erste Sahne.
Der Klassiker «Body and Soul», der unter anderem 1939 als Coleman Hawkins’ berühmteste Improvisation Jazzgeschichte schrieb, gibt allen Saxofonisten – doch vor allem erneut Coleman Hawkins – Raum, ihrer Improvisationsfantasie freien Lauf zu lassen. Es ist immer spannend zu hören, was für neue Melodielinien zu bekannten Akkordfolgen kreiert werden.
Die zwei Mid-Tempo-Nummern «Cherry» und Benny Carters 12-Takt-Blues «Doozy» beschliessen die knappe 34-Minuten-Session mit netten Soli und guten Arrangements, ohne jedoch neue Höhepunkte zu setzen.
Von den Musikern enttäuschte mich auf diesem Album Jo Jones, der als Schlagzeuger während 14 Jahren den Rhythmus des Count Basie Orchestra mitprägte, hier zwar die Arrangements als Big-Band-Drummer unterstützt, in den Soli jedoch ab und zu eher stört.
Klang
Es sollte ja eigentlich nicht sein, doch die Unterschiede in der Abmischung der einzelnen Stücke sind hörbar und teilweise enttäuschend. Während «Honeysuckle Rose» einen idealen Klang vermittelt, wirken andere der Stücke eher dumpf und kraftlos, in einigen Soli wird plötzlich zu viel Hall beigemischt, und wie schon erwähnt sind an diversen Stellen die Schlagzeugakzente zu aufdringlich.
Fazit
«Further Definitions» ist ein gute Laune verbreitendes Zeitdokument. Vier hervorragende Saxofonisten spielen (zum grössten Teil) atemberaubende Arrangements und durchs Band weg persönlichkeitstypische Soli.
Das Album wurde von drei der wichtigsten amerikanischen Jazzpublikationen mit fünf Sternen bewertet … ich gestatte mir wegen meiner Einwände, vor allem, was die Abmischung betrifft, meine Beurteilung etwas zu reduzieren.
Trotzdem: Lassen Sie sich zumindest von «Honeysuckle Rose» verzaubern und geniessen Sie den Rest als wunderbare Beilage.

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