Ich gebe es gerne und mit einem Augenzwinkern zu: Zu Frédéric Chopin (1810–1849) habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Als Grund möchte ich eine sogenannte «frühe Prägung» angeben.
Und das kam so: Jeweils an Weihnachten spielte mein Vater, damals Organist an der Neumünsterkirche Zürich und Klavierlehrer am Konservatorium, vor versammelter Verwandtschaft auf dem Klavier romantische und gefühlsvolle Salonstücke von Chopin wie etwa Walzer, Polonaisen, Mazurken und so weiter. Vor allem die älteren Tanten waren jeweils zu tiefst gerührt, verdrehten die Augen und wischten sich ab und zu ein paar Tränen aus den Augen. Ganz anders wir Kinder, die sehnlichst warteten, bis die Musik endlich aufhörte und wir uns auf die unter dem Christbaum angehäuften Geschenke stürzen konnten. Doch bis es so weit war, vergingen unendlich lange Momente, ja Stunden, scheinbar Jahre. Immer wieder, wenn mein Vater zum Schluss eines Stückes kam, meldeten sich gerührte weibliche Stimmen und flehten «spiel doch noch ein Stück, Alfred». Und so prägte sich Chopins Klavier-Solo-Musik als Marter-Musik in mein Gehirn ein und ich versuchte ihr – wenn immer möglich – fernzubleiben ...
Meisterwerke für Klavier und Orchester
Doch eines Tages hörte ich ein Konzert für Klavier und Orchester, das mich faszinierte und restlos begeisterte. Und als ich mich nach dem Komponisten erkundigte, was höre ich da? Frédéric Chopin! Ich ging der für mich unglaublichen Sache nach und musste erfahren, dass Frédéric Chopin gleich zwei Konzerte für Klavier und Orchester schrieb, die Chopin-Klavierkonzerte No. 1 in e-Moll Op. und No. 2 in F-Dur Op. 21.
Auch heute noch, nach Jahren, begeistern mich diese Konzerte, von denen ich inzwischen jeden Ton kenne. Diese Klavierkonzerte sind mehr als nur unterhaltende, romantische Salonmusik, es sind Meisterwerke. Da perlen zwar ebenfalls die Läufe des Klaviers auf und ab und umspielen eingängige Melodien, doch hier – im Gegensatz zur unterhaltenden Salonmusik – mit unglaublichem musikalischem Tiefgang! Wunderschön auch das Wechselspiel zwischen Klavier und Orchester ... einfach meisterhaft!
Als HiRes-Fan gehe ich auf die Suche bei Qobuz nach neusten Aufnahmen dieser Konzerte und finde eine brandneue Aufnahme von Decca in 24Bit / 96 kHz, die im Februar 2020 veröffentlicht wurde: Benjamin Grosvenor spielt Chopin Klavierkonzerte.
Die Musiker
Der noch nicht ganz 30-jährige schottische Pianist Benjamin Grosvenor wurde bereits im Alter von 6 Jahren von seiner Mutter im Klavierspiel unterrichtet. Mit 11 Jahren heimste er Auszeichnungen an Wettbewerben ein, reifte vom Wunderkind zum erwachsenen Top-Pianisten und trat mit den besten internationalen Orchestern auf.
Die Dirigentin Elim Chan ist in Hongkong geboren und studierte an westlichen Universitäten, wo sie mit Diplomen und Auszeichnungen überhäuft wurde. Im Dezember 2014 gewann sie als erste Frau die «Donatella Flick LSO Conductling Competition».
Das Royal Scottish National Orchestra ist Schottlands nationales Sinfonieorchester, dem 89 Musiker angehören. Diese treten im Ausland, aber auch regelmässig in Edinburgh, Aberdeen, Dundee auf.
Die Musik
An dieser HiRes-Aufnahme überzeugt mich vor allem der Klang des Flügels. Dank höchster Auflösung hört man sehr deutlich Eigenarten des Steinway-Flügels wie etwa ein ganz leichtes Herausstechen eines Tones infolge etwas höherem Obertonbereich – etwas klirren wäre da schon bösartig ausgedrückt. Zudem hört man solche feinste Details eher über sehr gute Kopfhörer als über Lautsprecher. Die Kraft und Eleganz des Flügelklanges kann echt begeistern.
Das Orchester klingt sehr gut, wie man sich das von einer heute üblichen Mehrkanalabmischung gewohnt ist. Immer noch trauere ich allerdings der Aufnahmetechnik Jürg Jecklins mit seiner legendären Jecklin-Scheibe nach, die auch einen grossen Klangkörper noch realistischer hätte in den Abhörraum stellen können. Das Klangbild dieser Aufnahmen ist breit, die Tiefenstaffelung des Orchesters ist jedoch eher bescheiden. Doch das ist wieder mal «Kritik auf hohem Niveau». Im Vergleich zu anderen Aufnahmen möchte ich sie doch als sehr gut bezeichnen.
Bezüglich Interpretation erhalten sowohl Orchester, die Dirigentin und der Solist absolute Spitzen-Noten. Besser kann man diese Werke nicht spielen, höchstens anders.
Aufgenommen wurden die Stücke am 4. und 5. August 2019 im New Auditorium RSNO Centre Glasgow. Für den Klang zeichnet sich Philip Siney verantwortlich. Aufnahmedetails waren nicht zu erfahren.
Fazit
Chopin in höchster Musikalität, exzellent gespielt und sehr gut klingend.