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Publikationsdatum
20. März 2022
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Im Klangschloss werden drei Bands nur mit zwei Mikrofonen und der berühmten «Jecklin-Scheibe» direkt auf eine Bandmaschine aufgezeichnet. Das Band ist die Basis für eine «straight2tape»-Doppel-LP. Dieses ultrapuristische Verfahren bietet beste Voraussetzungen, um magische Momente des Musizierens authentisch einzufangen.

Living Stereo – Kultaufnahmen aus der stereofonen Gründerzeit

Vielen Klassikliebhabern dürften die «Living Stereo»-LPs aus der «goldenen Ära» der Tonaufnahmen ein Begriff sein: RCA Victor lancierte mit dieser Marke im Jahre 1954 die neue stereofone Technologie. Es wurde viel Wert auf exzellente Qualität gelegt, welche auf den ganzen RCA-Konzern ausstrahlen sollte. Deshalb engagierte man für viel Geld die damaligen Stars der Klassik-Szene, etwa Geigenvirtuose Jasha Heifetz, die Pianisten Arthur Rubinstein und Vladimir Horowitz, den Dirigenten Fritz Reiner mit dem Chicago Symphony Orchestra.

In einem längeren Interview aus dem Jahr 1996 erwähnt der damalige Produzent Jack Pfeiffer auch die bewusste Einfachheit der Tontechnik. Wenige, präzise im Saal aufgestellte Mikrofone sollten den Klangkörper möglichst echt einfangen. Jedes Mikrofon fange jedes Geräusch im Saal auf; zu viele Mikrofone würden nur Phasenfehler und ein schreckliches Durcheinander verursachen. Man würde nicht mehr wissen, was man tue. Es wurde bis Mitte der 60er-Jahre viel experimentiert, doch dem Grundsatz der Einfachheit blieb man treu. Meist kamen 4–5 Mikrofone zum Einsatz, davon 3 für die Frontkanäle plus Stützmikrofone.

Promofilm für Living-Stereo-Aufnahmen, 1958.

Andere Firmen wählten ähnliche Ansätze. Decca ersann den «Decca-Tree» und nannte die Aufnahmen ffss (full frequency stereophonic sound), Mercurys Serie hiess «Living Presence». Bis heute gelten die Aufnahmen aus dieser Zeit als «Gold Standard». Originalpressungen erzielen Höchstpreise auf Sammlerbörsen. Interessierte finden im Netz viel Dokumentationen. Die Techniken wurden selten auch für Pop und Jazz eingesetzt. Berühmt geworden ist etwa die Aufnahme von Harry Belafonte in der Carnegie Hall.

Dokumentarfilm Mercury Living Presence, 2015.

Zwingend für eine erfolgreiche Aufnahme nach diesem Muster: eine hervorragende Akustik und sattelfeste Musiker, welche ihre Stücke beherrschen. Denn eine Postproduktion ist quasi inexistent. Die Aufnahmen sind Mitschnitte. Üblich war, die Stücke in einem Take aufzunehmen. Mit dem Aufkommen grösserer Mischpulte und Multitracking wurde dieses starre Muster Mitte der 60er-Jahre sukzessive aufgegeben.

Immer mehr Mikrofone wurden eingesetzt und der Klang entstand am Mischpult in der Tonregie. Die dadurch viel grössere aufnahmetechnische Freiheit wurde in der U-Musik sofort genutzt. In der E-Musik, welche das Ideal des konzertanten Erlebnisses in realen Räumen kennt, dauerte es länger. Aber auch grosse Orchester lassen sich auf diese Weise flexibler aufnehmen und der Klang künstlich gestalten. Weil es ein Ideal gibt, wurde bis heute meist versucht, auch Mehrspuraufnahmen danach zu orientieren – mit oft zweifelhaften Ergebnissen.

OSS-Technik (Optimales Stereo-Signal)

Der langjährige Tonmeister des Radio Studio Basel, Jürg Jecklin, ersann Anfang der 80er-Jahre die OSS-Technik als Gegenentwurf zur Mehrspurtechnik und wollte damit eine Diskussion über sinnvolle Aufnahmeverfahren auslösen. Sein Ansatz: Wenn in einem Konzertsaal der Klang schon optimal vorhanden ist, weshalb fängt man ihn nicht gleich optimal ein?

Zwei Mikrofone für zwei Stereokanäle müssten dazu ausreichen. Die üblichen Methoden für solche Zwecke genügten ihm jedoch nicht. Die sogenannte Klein-A/B-Technik lieferte einen natürlich ausgewogenen Klang, aber eine mangelhafte Qualität der Abbildung. Bei der ORTF-Technik verhielt es sich gerade umgekehrt.

AB-Mikrofonanordnung (Kugelcharakteristik).AB-Mikrofonanordnung (Kugelcharakteristik).
ORTF-Mikrofonanordnung (Nierencharakteristik).ORTF-Mikrofonanordnung (Nierencharakteristik).

Die Lösung war eine Scheibe von der Grösse einer LP, die er beidseitig akustisch bedämpfte. Seitlich davon montierte er zwei Kondensatormikrofone mit Kugelcharakteristik, welche klanglich ideal sind. Die Mikrofone richtete er in einem Winkel von jeweils 30° von der Scheibe weg, sodass die Membranen einen Abstand von 32 cm hatten. Damit gelang eine plastisch-präzise Abbildung. Die Idee fiel auf fruchtbaren Boden, jedoch weniger bei den Berufstonmeistern, sondern vor allem bei Hobby-Toningenieuren.

Während die Profis ihrer komplexen Mittel beraubt waren und die Scheibe im besten Fall als Hauptmikrofon einsetzten, hatten die Hobbyisten plötzlich ein Werkzeug in den Händen, mit dem sie ohne grosse Vorkenntnisse und mit geringem Aufwand gute Ergebnisse erzielten. «Eine Scheibenaufnahme klingt kaum je schlecht», meinte Jecklin. Damit sie wirklich gut klingt, sind aber eine Reihe von Voraussetzungen nötig. Wie bei den «Living Stereo»-Aufnahmen zählen dazu die gute Saalakustik, sowie eine optimale Position der Scheibe und der Musiker im Raum. Geduld der Beteiligten beim Herausfinden der Positionen ist also gefragt. Und schliesslich gilt für die Aufnahme: One Take!

Jecklin-Scheibe bei Probeaufnahmen im Landenberghaus.Jecklin-Scheibe bei Probeaufnahmen im Landenberghaus.

Jecklin wusste viele Geschichten zur Scheibe zu erzählen. Etwa diejenige eines Tonmeister-Kollegen, der ihm anvertraute, dass er immer parallel zu seinen Aufnahmen auch mit der Scheibe aufnehmen würde. Diese diene ihm zur Kontrolle für die Güte seiner Arbeit. Auf Jecklins Hinweis, dass er ja gleich die Aufnahme mit der Scheibe machen könne, überlegte sein Kollege kurz. Der Gedanke war nicht verkehrt. Er blieb aber bei seiner Methode.

Live-Recording-Sessions mit der Jecklin-Scheibe

Als wir am Tag der offenen Tür zum ersten Mal im neuen Konzertsaal des Landenberghauses standen und den Streicherklängen des verantwortlichen Akustikers Eckhard Kahle lauschten, da wussten wir, dass dieser Saal ein Geschenk fürs Klangschloss ist. Kahle lief mit seiner Bratsche ruhig spielend durch den Saal und erläuterte zwischendurch das akustische Konzept. Kahle Acoustics gehört zu den renommiertesten Akustikspezialisten weltweit und kann so bekannte Referenzen vorweisen wie die neue Philharmonie in Paris. https://kahle.be/de/referenzen.html

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