Naim hat nie einen Plattenspieler auf den Markt gebracht. Das ist weniger ungewöhnlich, als man denken würde: Das Unternehmen brachte seine frühen Produkte, vorwiegend Verstärker, mitten der 1970er-Jahre auf den Markt. Als sich Naim zu etablieren begann, kamen 1982 bereits die ersten CD-Player und gegen Ende jener Dekade folgten die ersten audiophilen CD-Geräte, wie auch Naims CDS, ein zweiteiliges Gerät. Die Unternehmen, die im Zuge der enorm steigenden Popularität von CD und CD-Playern noch Plattenspieler entwickelten und produzierten, waren vorwiegend die etablierten Hersteller von Plattenspielern, weil sie kaum eine Wahl hatten. Spätestens mit Beginn der 1990er-Jahre verlor das Thema Vinyl an Schwung.
Das bedeutet aber nicht, dass Naim im Bereich der Vinyl-Wiedergabe kein Know-how hätte: Beim Graben im Geschichtsbuch entdeckte ich ein Review von «Stereophile» aus dem Jahr 1995 über den Aro-Tonarm von Naim von 1989. Die Kollegen von «Stereophile» waren damals des Lobes voll.
Dass Naim nun einen Plattenspieler lanciert, ist nicht verwunderlich. Der Vinyl-Boom entwickelt sich zunehmend in Richtung «Ernsthaftigkeit». Der analoge Tonträger «Schallplatte» scheint zurzeit eine wichtige Hürde zu nehmen und dem Narrativ des von Wehmut getragenen Anachronismus zu entfliehen, ähnlich wie damals die mechanischen Uhrwerke gegenüber den grundsätzlich überlegenen Quarzuhren.
Die Schallplatte wird zunehmend zum Inbegriff der Werthaltigkeit in der entschleunigten, musikalischen Freizeitgestaltung mit dem Nebeneffekt des guten Gewissens gegenüber den Musikern, die mit dem Vinyl-Verkauf Geld verdienen können, also den mittelständischen Talenten, die mit Streaming gerade am Verlieren sind.
Know-how und System
Die wirklich teuren Vinyl-Plattenspieler auf dem Markt richten sich mit Ausnahmen an Kunden, die sich auf diesem Gebiet Wissen angeeignet haben. Sie betrachten den analogen Zuspieler als Sub-System, bestehend aus Laufwerk, Tonarm, Tonabnehmer, Phonovorverstärker und dazu geeignete Kabel oder mannigfaltiges Zubehör. Sie suchen im Aufbau ihres Geräts die Spielwiese, das Feld für Optimierungen innerhalb des grossen Felds der gesamten HiFi-Anlage. Nicht, dass das immer gut herauskäme oder dass man damit immer gut beraten wäre.
Naim verwirklicht mit dem Solstice-Plattenspielersystem selbstsicher einen Systemgedanken. Der basiert auf dem eigenen Know-how und auf der Gewissheit, dass die weltweite Kunden- und Fan-Basis von Naim ausreicht, um eine limitierte Auflage von 500 Stück in nützlicher Frist zu verkaufen, und zwar «am Stück». Die Komponenten können nicht einzeln bestellt werden. Sogar der Tonabnehmer ist dabei, egal, ob Sie bereits einen solchen besitzen.
Das Solstice-Plattenspielersystem besteht aus:
Laufwerk, Tonarm, Tonabnehmer, einem Phonovorverstärker und einer speziellen Stromversorgung, die sowohl das Laufwerk als auch den Phonovorverstärker speist.
Gerade in den Disziplinen «Stromversorgung» und «Verstärkung» hat der Hersteller ein sehr grosses Know-how anzubieten. Bei Tonarmen ist man auch beschlagen und für den Rest ging Naim eine tiefgreifende Kooperation mit dem deutschen Hersteller Clearaudio ein. Natürlich tat er das nicht auf die plumpe Art, bloss um ein Label anzubringen. Die aktive Kooperation der beiden HiFi-Spezialisten ist jederzeit spürbar.
Plattenspieler und Tonabnehmer werden von Clearaudio in Deutschland gefertigt. Stromversorgung und Phonovorverstärker werden von Naim in Salisbury, England hergestellt.