MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
24. September 2024
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Besonders in der Barockzeit waren Instrumentalkonzerte vielfältig. Vom Kontrabass (Boccherini) und Fagott (Rosetti, Hummel) über Laute und Mandoline (Vivaldi) bis zur Blockflöte (J. S. Bach): fast alles, was verfügbar war, wurde konzertant eingesetzt. Über die Zeit haben sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dann das Klavier und die Violine als die Dominatoren im Solo-Konzertgenre etabliert. Das Cello hat Bestand, aber in der Nische. Zu den bekanntesten Cellokonzerten des späten 19. Jahrhunderts zählt Dvořáks H-Moll-Konzert Op. 104.

Antonin Kraft? (1749–1820)

Heute unbekannt, war Kraft zu seiner Zeit ein angesehener Cello-Virtuose. Als Zeitgenosse von Beethoven spielt er den Cellopart des Triplekonzerts und trat mit Beethovens frühen Streichquartetten auf. Von 1778 bis 1790 war er Cellist in Joseph Haydns Ensemble in Eisenstadt und Fertöd, in den Diensten des Fürsten Nikolaus von Esterhazy. Kraft war Bestandteil der Wiener Musikergarde. Bei Haydn bekam er Kompositionsunterricht. Kraft komponierte nur wenige Werke, von denen sein Cellokonzert Op. 4 es zu wenigen Aufnahmen geschafft hat.

Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788

Carl Philipp war Johann Sebastian Bachs zweiter Sohn von seiner ersten Frau Maria Barbara. Bach hatte 20 Kinder von zwei Frauen, von denen nur 10 das Erwachsenenalter erreichten. Vier Söhne wurden ebenfalls bekannte Komponisten. Carl Philipp Emanuel Bach ist der bedeutendste Komponist im Übergang vom Barock zur Wiener Klassik. Seine Kompositionen sind ein sukzessives Wegbrechen von barocken Mustern hin zu weniger Strenge, hin zu raffinierten, freieren Melodieführungen und überraschenden Rhythmusstrukturen.

Carl Philipp Emanuel gehört zusammen mit seinem 1735 geborenen Bruder – genauer Halbbruder – Johann Christian Bach zu den heute bekanntesten Söhnen von Johann Sebastian Bach. Johann Christian, eine Generation jünger als Carl Philipp, ist einer der bedeutendsten Vertreter der Frühklassik (Mannheimer Schule). Der Name Bach hat die europäische Musikgeschichte während eines knappen Jahrhunderts massgeblich beeinflusst.

Jean-Guihen Queyras während der Aufnahme zum besprochenen Album.Jean-Guihen Queyras während der Aufnahme zum besprochenen Album.

Kraft – Cellokonzert C-Dur Op. 4

Die beiden Cellokonzerte der vorliegenden Einspielung mit Jean-Guihen Queyras und dem deutschen Ensemble Resonanz liegen kompositorisch ein halbes Jahrhundert auseinander. Krafts Konzert wurde 1804 veröffentlicht. Also in der Hochblüte der Wiener Klassik. Im Umfeld von Beethovens Kompositionen wirkt Krafts Cellokonzert stark an Traditionen verhaftet, im Stil eher an Haydn angelehnt.

Naheliegend, dass es eine Bühne für Krafts exzellente Spieltechnik und Virtuosität bieten sollte. Nach einer an Mozart erinnernden Einleitung des Orchesters mit feinen bis kräftigen Bläserpassagen, bei der das Hauptthema vorgestellt wird, setzt das Cello zu einem virtuosen Solopart an. Dabei lösen sich spieltechnisch anspruchsvolle, schnelle Passagen mit lyrisch geprägten Sequenzen ab. Das Orchester lässt dem Cello viel Raum und begnügt sich oft mit Ritornell-ähnlichem Zwischenspiel.

Der zweite Satz «Romance Andante» ist geprägt von einer ruhigen, sinnlichen Stimmung, mit schönen Horn-Akzenten. Der Schlusssatz «Rondo alla Cosacca» erinnert an einen Volkstanz. Dies ist insgesamt der leichteste Satz in Krafts Cellokonzert, der wiederum dem Cello Platz für ein virtuoses Spiel bietet.

Das Kraft-Konzert hat sehr reizvolle Momente. Am überzeugendsten ist der erste Satz, der kompositorisch durchaus Qualitäten hat. Auf keinen Fall ist dies ein Konzert eines Amateurkomponisten – oder wie man in der damaligen Zeit zu pflegen sagte: Eines Dilettanten – was nicht abschätzig gemeint war.

C. P. E. Bach – Cellokonzert B-Dur H 436/Wq 171

Bach hat insgesamt drei Cellokonzerte komponiert. Das hier eingespielte, mittlere Konzert ist eine typische Carl-Philipp-Emanuel-Komposition. Dies zeigt sich in einer sanften Melodieführung, die durch rhythmische Kontraste immer wieder gebrochen wird. Auch das Orchester spiegelt dieses Muster. Dies besonders deutlich im dritten Satz.

Die Einleitung des ersten Satzes stellt das Hauptthema vor, welches vom Cello aufgenommen und entwickelt wird. Orchester und Soloinstrument sind teils thematisch ineinander verschränkt, wobei das Orchester zwischendurch auch mal wieder in ein eher barockes Continuo-Muster wechselt.

Im langsamen Satz prägen düstere Stimmungen das Geschehen, pendelnd zwischen der Melancholie des Cellos und einem drohenden Orchestersatz. Im Fortlauf des Satzes hellt sich die Stimmung auf, ohne aber die insgesamt düstere Stimmung überwinden zu können.

Der Schlusssatz ist geprägt durch deutliche Tempo- und Dynamikwechsel und die bei CPE häufig vorkommenden Quint- und Oktavsprünge. Auch hier ist das Cello eher für die sanfteren Melodiestränge zuständig, während das Orchester nach vorn drängt und klare Tempoakzente setzt. Diesen Kontrast haben Orchester und Solist in dieser Aufnahme deutlich herausgearbeitet.

Ensemble Resonanz – als Hamburger Musiker ist ein Bild mit der Elbphilharmonie im Hintergrund unumgänglichEnsemble Resonanz – als Hamburger Musiker ist ein Bild mit der Elbphilharmonie im Hintergrund unumgänglich

Hamburger Kammerorchester mit frischer Spielweise

Mit 21 Musikern zählt das Ensemble Resonanz zu den Kammerorchestern, das mit seiner Grösse problemlos ein Repertoire aus verschiedenen Epochen spielen kann – auch zeitgenössische Werke.

Die Interpretation der beiden Cellokonzerte ist auf hohem Niveau. Jean-Guihen Queyras ist ein Cellist, der die technischen Herausforderungen problemlos meistert. Mut zum Risiko ist immer dann nötig, wenn technisch anspruchsvolle Stücke mit höherem Tempo gespielt werden. Solist und Orchester harmonieren gut, was auch ein Verdienst des Gast-Dirigenten Riccardo Minasi ist. Das Ensemble Resonanz spielt ohne festen Dirigenten.

Für die frische Spielweise der Hamburger und das hervorragende Zusammenspiel von Solist und Orchester ist der dritte Satz des Bachkonzertes ein plakatives Beispiel. Der Satz ist geprägt von schnellen und lyrischen Momenten, feinen Klangnuancen, abrupten Tempowechseln und dem Wechsel zwischen stakkatoartigen, schnellen Passagen, denen, oft vom Cello initiierte, lyrische, leicht langsamere Abschnitte folgen.

Hier drängt sich der Vergleich zur Einspielung aller Cellokonzerte von C. P. E. Bach mit Hidemi Suzuki und dem Bach Kollegium Japan (BIS, CD-807) auf. Auch dies ist eine empfehlenswerte Einspielung. Hier wird nur geringfügig langsamer gespielt, die Kontraste werden weniger ausgestaltet, was nicht heisst, dass sie nicht vorhanden sind, sie sind nur weniger deutlich. Der Satz bekommt einen anderen Charakter, klingt lieblicher, runder. Von der technischen Seite her betrachtet sind diese deutlichen Interpretations- und Wahrnehmungsdifferenzen erstaunlich: Die Spieldauer bei beiden Ensembles ist innerhalb von wenigen Sekunden gleich, die BPM (Schläge pro Minute) sind gemäss Analysetool mit 68 BPM identisch.

Alle Cellokonzerte von C. P. E. Bach auf einem Album. Aufnahme von 1996, BIS CD-807.Alle Cellokonzerte von C. P. E. Bach auf einem Album. Aufnahme von 1996, BIS CD-807.

Die Harmonia-Mundi-Aufnahme

Die Einspielung entstand in der Friedrich-Ebert-Halle in Hamburg – ein Eindruck von der Aufnahmesituation vermittelt das YouTube-Video unten. Das Cello wird auf der Lautsprecherachse mittig und im Vordergrund relativ gross abgebildet, als wenn man im Konzert in der ersten Reihe sitzen würde. Die Staffelung des Orchesters ist gut, in der Raumtiefe allerdings etwas eingeschränkt. Dies nicht im Sinne von schlecht, aber da ist technisch durchaus noch ein Zacken mehr möglich. Dies ist allerdings eine Entscheidung des Tonmeisters, die zu respektieren ist. Wir kennen die spezifischen Eigenschaften des Aufnahmeraums nicht – besonders, wenn ohne Publikum gespielt wird.

Interessant ist hier auch der Vergleich mit der Hidemi Einspielung mit dem BIS-Label. Das Orchester ist hier weiter hinten im Raum positioniert, das Cello ist kleiner abgebildet und hebt sich grössenmässig nicht so deutlich vom Orchesterkörper ab. Man hat so eher den Klangeindruck einer Hörposition weiter hinten im Saal. So ist auch ein deutlicher Hallanteil hörbar. Der durchschnittliche Pegel der beiden hier erwähnten Aufnahmen liegt rund 5 dB auseinander. Die Hidemi-Aufnahme ist leiser, dies muss beim Vergleich mit dem Lautstärkeregler angepasst werden.

Video der Aufnahme Session in der Friedrich-Ebert-Halle in Hamburg.
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C. P. E. Bach, Cello Concerto Wq 171: Das Spektrogramm (24/96) zeigt Obertöne bis knapp 40 kHz. Die Pegel oberhalb von 24 kHz liegen im Bereich von -85 dBfs und tiefer. Der Dynamikumfang liegt bei 56 dB, DR14. Technisch einwandfreie Aufnahme ohne Artefakte.

Fazit

Reinhören lohnt sich. Die beiden Cellokonzerte von Antonin Kraft und C. P. E. Bach sind keine Werke für den grossen Spielplan. Dazu sind sie zu unbekannt. Und darin liegt genau der Reiz. Mit der Interpretation von Queyras und dem Ensemble Resonanz bekommen beide Werke eine Bühne, die grossartig ist. Solist und Ensemble sind eine Einheit, das Spiel ist frisch und mitreissend.

Fritz Fabig Gastautor

Fritz Fabig ist passionierter Musikliebhaber mit Schwerpunkt in der Klassik-Epoche. Nach einer elektrotechnischen Ausbildung und Management/Marketing Weiterbildung erfolgte ein Wechsel in die Audio Branche. Beinahe zwei Dekaden war Fritz Fabig Geschäftsführer der B&W Group Schweiz. Seit Ende 2021 ist er als freischaffender Berater tätig.
STECKBRIEF
Besetzung:
Solist: Jean-Guihen Queyras
Dirigent: Riccardo Minasi
Orchester: Ensemble Resonanz
Albumtitel:
Antonin Kraft, Carl Philipp Emanuel Bach – Cello Concertos
Komponist:
Carl Philipp Emanuel Bach, Antonin Kraft
Herkunft:
FR/DE
Label:
Harmonia Mundi
Erscheinungsdatum:
30.8.2024
Spieldauer:
45.15 m/s
Tonformat:
FLAC 24Bit/96 kHz – Stereo
Aufnahmedetails:
Aufnahmeort: Friedrich-Ebert-Halle, Hamburg
September 2023
Tonmeister/Mastering: Florent Olivier
Medium:
Download/Streaming/CD
Musikwertung:
9
Klangwertung:
8
Bezugsquellen