Dass Musik in Zusammenhang mit einem persönlichen Erlebnis einen besonderen Stellenwert erhält, ist eine Binsenwahrheit. Der Wahl dieses Albums liegt eine persönliche Geschichte zugrunde (den Versuch einer nüchternen Beurteilung finden Sie weiter unten).
Am 17. Juli 1997 fuhr ich nach Montreux ans Jazz Festival. Als begeisterter Amateurvibraphonist freute ich mich besonders auf den Auftritt von Gary Burton im Duo mit Chick Corea. Vor diesem Leckerbissen war Monty Alexander mit seinem Trio im Programm. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich damals wenig über Monty Alexander wusste und ohne grosse Erwartungen auf der Tribüne Platz nahm. Keine drei Minuten nach Konzertbeginn stand ich – wie alle übrigen Konzertbesucher – und liess mich zu Stürmen der Begeisterung und spontanem Zwischenapplaus hinreissen.
Es war die rohe Gewalt, die subtilen Zwischentöne, die Dynamik, die Spielfreude … es war hinreissender, herzerwärmender Jazz, wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. In der Pause sah ich, dass im Foyer die hier besprochene, damals schon 20-jährige CD feilgeboten wurde, gleiche Besetzung, ähnliche Stückwahl. Natürlich musste ich sie haben.
Es war nach Mitternacht, als ich mich endlich auf die anderthalbstündige Heimfahrt machen konnte, doch dank dieser CD (damals wurden noch CD-Player in Autoradios eingebaut), die ich zweimal in voller Länge geniessen konnte, war die Reise ein Klacks.
Und der Gary-Burton-Auftritt? Technische Perfektion, hochpräzises Zusammenspiel, musikalisch herausfordernd – jedoch nach dem eben erwähnten Monty-Alexander-Trio-Feuerwerk fühlte es sich unterkühlt und konstruiert an.
Das Album
Aufgezeichnet am Montreux Jazz Festival 1976 (also vor etwas über 40 Jahren) – Monty Alexander war damals mit 33 Jahren der «Veteran» des Trios, John Clayton (Bass) war 25, Jeff Hamilton (Drums) 24 – ist dieses Konzert für mich nach wie vor exemplarisch für einen dynamischen Live-Auftritt.
Laut Mike Hennesseys Liner Notes wusste Monty Alexander vor dem Auftritt nicht, welche Stücke er spielen wollte, hatte aber eine wage Idee, dass er «Battle Hymn of the Republic» irgendwo im Programm einbauen wollte. Möglicherweise deshalb beginnt er das Eröffnungsstück gospel-artig, hat dann jedoch mitten in der Einleitung eine andere Idee und schwenkt in den Nite Mist Blues ein.
Grossartig finde ich, wie John Clayton und Jeff Hamilton, die ja schon vorher und auch heute noch eine ideale rhythmisch-harmonische Freundschaft verbindet (unter anderem als «Entdecker» von Diana Krall und in der gemeinsamen Clayton-Hamilton-Big-Band) sich allen rhythmischen und harmonischen Eskapaden des quirligen Monty Alexander erfolgreich anpassen. Auch im Konzert von 1997 gab es nur ein paar wenige Handzeichen, oft nur einen erhobenen Finger, um Wechsel anzuzeigen – faszinierend.
Beurteilung
Musikalisch ist für mich «Montreux Alexander» atemberaubend. Die Atmosphäre, die spontanen Reaktionen der Zuhörer, die wechselnden Tempi (innerhalb eines Stückes), das Unvorhersehbare, Urwüchsige, Sanfte und dann wieder Explodierende, die ganze Dynamik dieses Konzertes ist aussergewöhnlich und zieht mich immer wieder hinein.
Klanglich waren die Aufzeichnungen des Jazz Festivals Montreux schon immer ausgezeichnet. Der Flügel – von diversen Pianisten als «One of the best Yamaha grands I’ve ever come across» taxiert, klingt klar und warm, der Bass ist präsent und das Schlagzeug transparent.
Alles in allem ist «Montreux Alexander» meiner Meinung nach eine Klavierjazz-Aufnahme, die unbedingt in die Kategorie «Goodies» gehört.