Vor einiger Zeit machte mich ein Freund darauf aufmerksam, dass ich bereits über 40 «Oldies but Goodies» verfasst, jedoch noch nie eine Rezension Miles Davis gewidmet hätte. Meine Begründung (resp. Ausrede) war, dass über die meisten guten Davis-Alben bereits so viel geschrieben wurde, dass ich weder Eulen nach Athen tragen, noch Wasser in die Aare giessen wollte. Doch dann erschien ein neues Remaster von «Seven Steps to Heaven».
So viele verschiedene Highlights
Wer kennt sie nicht, all die bekannten und oft besprochenen, meist hochgelobten Miles-Davis-Alben wie «Birth of the Cool», «Round About Midnight», «Miles Ahead», «Cookin' with the Miles Davis Quintet», «Workin’ with the Miles Davis Quintet », «Relaxin’ with the Miles Davis Quintet », «Steaming’ with the Miles Davis Quintet », «Kind of Blue», oder auch «Sketches of Spain» und die weiteren Zusammenarbeiten mit Gil Evans. Oder dann später das kontroverse Kult-Album «Bitches Brew».
Im Schatten dieser oft zitierten und bestens bekannten Werke steht «Seven Steps to Heaven». Die Titelmelodie dürfte zwar enorme Bekanntheit und Beliebtheit geniessen. Doch die Besonderheiten und Hintergründe dieses Albums waren nicht Teil meines Allgemeinwissens.
Miles Davis
Miles Dewey Davis III wurde 1926 in Alton (Illinois) geboren. Sein Vater war ein erfolgreicher und entsprechend wohlhabender Zahnarzt. Als Teenager begann er sich für die Trompete zu interessieren. Mit 18 zog er nach NYC, um dort Musik zu studieren, lernte wahrscheinlich mehr in Jam Sessions mit Jazzgrössen wie Dizzy Gillespie und Charlie Parker als im «Institute of Musical Art». Zu Beginn spielte er eher zögerlich und nicht immer völlig rein, doch sein einzigartiger, intimer Ton und seine musikalische Fantasie überwogen seine technischen Mängel und wurden bald zu seinem Markenzeichen.
1949–1950 nahm Davis mit einem aus bekannten Jazzgrössen zusammengestellten Nonett ein gutes Dutzend Stücke auf, die, arrangiert von John Lewis, Gerry Mulligan und Gil Evans, als Singles erschienen. Erst 1957 wurden sie unter dem Titel «Birth of the Cool» als Album veröffentlicht. Nach einem vierjährigen Kampf gegen seine Drogenabhängigkeit folgten acht äusserst kreative und erfolgreiche Jahre (siehe unten).
Nach «Seven Steps to Heaven» und nachdem 1964 Wayne Shorter am Tenorsaxofon die Band vervollständigt hatte, folgte eine Phase der musikalischen Freiheit, die sich fünf Jahre später in elektronische Experimente ausweitete.
1969 erschien «Bitches Brew», ein Album, das einerseits alte Davis-Fans schockierte, anderseits eine neue Bewunderer-Generation schaffte.
Nach einem selbst verursachten Autounfall in seinem Lamborghini Miura – Davis liebte schnelle und teure Autos und besass eine beträchtliche Anzahl davon – zog er sich (gezwungenermassen) für ein paar Jahre zurück. Seine Rückkehr mit «The Man with the Horn» (1981) wurde zumindest von den Kritikern nicht gerade wohlwollend aufgenommen. Und obgleich ihm in den Folgejahren einige seiner Alben (z. B. «Tutu» 1986) diverse Grammys bescherten, wird im Nachhinein vor allem sein Auftritt am Montreux Jazz Festival 1991 mit der Quincy Jones Big Band als Höhepunkt der «Nach-Bitches-Brew-Aera» erwähnt. Kurz darauf verstarb Miles Davis im St. John’s Spital in Santa Monica (CA).
«Seven Steps to Heaven»
Hier nun ein paar Details, die zum Verständnis der Umstände und der Entstehung dieses Albums beitragen sollen: Nach den Erfolgen seines ersten Quintetts mit John Coltrane, Red Garland, Paul Chambers und Philly Joe Jones resp. Jimmy Cobb – Davis hatte sich eben von seiner ersten Heroinabhängigkeit erholt – gab es einen weiteren Unterbruch in Davis' Karriere: Garland, Chambers und Cobb verliessen die Band, um im Trio zu touren. Also musste sich Miles, der eben diverse Auftritte in und um Los Angeles abgeschlossen hatte, nach neuen Musikern umsehen.
George Coleman am Tenorsax und Ron Carter am Bass waren sichere Werte für ihn. Eigentlich wollte er den jungen Tony Williams als Drummer, doch der war noch anderweitig unter Vertrag. Also sprang Frank Butler ein. Und als Pianisten verpflichtete Miles das britische Multitalent Victor Feldman. Es war auch Feldman, der sowohl den Titelsong als auch «Joshua» in die Session einfliessen liess.
Miles war beeindruckt von Feldman und wollte ihn fest in seinem neuen Quartett integrieren, doch dieser verzichtete darauf, da er Tourneen hasste und als Studiomusiker ein behaglicheres Leben führen konnte.
Nach New York zurückgekehrt, konnte Miles Davis den nun freigewordenen Tony Williams sowie den noch wenig bekannten Herbie Hancock anheuern. Nach kurzer Zeit entschied Miles, von den in Hollywood eingespielten Stücken nur die drei langsameren (ohne George Coleman!) zu behalten und die drei Up-Tempo-Nummern neu einzuspielen. So kam es, dass auf den zwei Kompositionen von Victor Feldmann nun Herbie Hancock die Tasten drückt, und auf den drei Hollywood-Stücken nur das Quartett zu hören ist.
Das Album «Seven Steps to Heaven» finde ich persönlich besonders erwähnenswert, weil (ausser der Titelmelodie) viel weniger Bekanntes zu geniessen ist. Zudem spürt man, wie Miles auf der Suche nach Neuem ist, indem er Altes neu zu beleben versucht, z. B. in den zwei im New Orleans Jazz verwurzelten Stücken «Basin Street Blues» und «Baby Won't You Please Come Home».
Das diesjährige Remastering wurde einmal mehr geschmackvoll erledigt; der Klang wirkt natürlich und transparent, ohne die Original-Ambiance zu zerstören.
Fazit
Das vorliegende Album wird von vielen Miles-Davis-Fans nur als Übergangsalbum betrachtet. Doch dies bildet aus meiner Sicht gerade den Reiz, da es einen hörbaren Vergleich in der Entwicklung von Miles ermöglicht – und auch erleben lässt, wie stark diverse Mitmusiker den Trompeter beeinflussten.
Noch interessanter wäre es natürlich, wenn wir die drei Originalversionen der Neueinspielungen zum Vergleich hören könnten.