Sie beginnt ja immer früher, die Sache mit dem Weihnachtsgeschäft. Einige «Christmas Specials» fürs Fernsehen werden bereits im Sommer bei brütender Hitze aufgezeichnet. Und die Weihnachtsalben sollten ja spätestens Ende November in den Regalen stehen – respektive zum Download verfügbar sein. Doch da auch in dieser Sparte die Konkurrenz gross ist, erscheinen sie meist schon Ende Oktober, wie z. B. Samara Joys «A Joyful Holiday» oder das vorliegende Album am 3. November.
Für mich persönlich ist das zu früh, da vor Anfang Dezember keine weihnächtliche Stimmung aufkommen will. Also benötigte ich etwas mehr Zeit, um mir Gregory Porters «Weihnachtswunsch» zu Gemüte zu führen.
Gregory Porter
Der mittlerweile 52-Jährige wuchs mit sieben Geschwistern in Bakersfield, Kalifornien auf, wo er sich erneut mit seiner Familie niedergelassen hat. Da seine Mutter Pfarrerin der dortigen Kirche war, wurde Porter früh Mitglied des Gospel-Chors. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er Mahalia Jackson bewunderte und als einen seiner Einflüsse erwähnt.
Nach dem Highschool-Abschluss erhielt er ein Sport-Stipendium als «football lineman» an der State University in San Diego. Doch die angestrebte Football-Karriere nahm schon nach kurzer Zeit wegen einer Schulterverletzung ein jähes Ende. Seine geliebte Mutter starb, als er 21 war, an Krebs. Bei seinem letzten Besuch soll sie ihn angefleht haben: «Sing, Baby, sing!»
2004 zog Porter mit seinem Bruder Lloyd nach New York. Er arbeitete als Koch in dessen Restaurant in Brooklyn, wo er auch als Sänger auftrat. Und einmal pro Woche hatte er zudem einen Gig in einem Club in Harlem.
Doch erst 2013 – Gregory Porter war 39 Jahre alt! – nahm seine Laufbahn als Sänger Fahrt auf, nachdem sein Album «Liquid Spirit» von Blue Note Records veröffentlicht worden war. 2014 gewann er mit diesem Album, das sich allein im United Kingdom über 100’000-mal verkaufte, den Grammy für «Best Jazz Vocal Album». Seither ist das Vereinigte Königreich seine zweite Heimat: Er trat bereits am Glastonbury Festival, mehrmals in der «Graham Norton Show», bei Jools Holland und 2022 am Platinum-Grossanlass zu Ehren der Queen auf.
Natürlich wurde und wird er immer wieder gefragt, wieso er diese spezielle Kopfbedeckung trage. Wegen eines Hautproblems beziehungsweise einer Narbe habe er vor langer, langer Zeit begonnen, diese Mütze (von der er übrigens eine grössere Anzahl besitzt) zu tragen. Heute sei sie mehr sein «Erkennungsmerkmal», denn ohne Mütze werde er nicht erkannt.
Wichtiger als die Mütze ist jedoch seine samtweiche Bariton-Stimme, die er immer «Pitch Perfect» einsetzen kann.
«Christmas Wish»
Das Album wird (aus meiner Sicht «leider») mit «Silent Night» eröffnet, DEM Weihnachtslied überhaupt, das jedoch durch tausendfache Variationen an Glanz verlor. Es wurde zwar hier harmonisch etwas aufgepeppt, doch kann mich auch Porters einfühlende Interpretation nicht überzeugen, umso mehr die dick aufgetragenen Streicher das Ganze zu schwülstig machen.
Da spricht mich dann der fröhliche «Christmas Walz» in der Kleinformation und mit dem überraschenden Harmonica-Solo wesentlich mehr an. «Everything ’s Not Lost», die erste der drei Eigenkompositionen Porters auf diesem Album, ist der erste Höhepunkt, sowohl vom Text her als auch vom Arrangement mit den Backing Vocals.
Besonders gespannt war ich natürlich auf das Duett mit Samanta Joy «What Are You Doing New Year’s Eve?»: Wohl angesteckt von der süsslichen Atmosphäre klingt Samantas Stimme zwar rein und «schön», doch vermisse ich den Biss, ihre jugendliche Frische.
Die Titelmelodie «Christmas Wish» – eine weitere Eigenkomposition – zeigt die Gospel-Einflüsse seiner Kindheit, der Text die Verbundenheit mit seiner Mutter. Ein weiteres Highlight, auch wenn das Sax-Solo teilweise etwas unbeholfen wirkt.
Fazit
Gregory Porters Stimme ist speziell, aussergewöhnlich, vielseitig, sonor und ausdrucksstark. Die Wahl der bekannteren Weihnachtslieder wirkt etwas fantasielos. Zum Glück gibt es seine drei Eigenkompositionen, die den Gesamteindruck wesentlich verbessern.
Leider bin ich von der Begleitung alles andere als beeindruckt: Natürlich sind sowohl der Background-Chor als auch die Mitmusiker gut, jedoch nicht überwältigend. Die Schlagzeugübergänge zum Beispiel könnten aus der Software Band-in-a-Box stammen, die Streicherarrangements sind mir zu süss und nicht besonders originell, und sogar Samanta Joys Beitrag konnte mich nicht völlig überzeugen.
Alles in allem ist «Christmas Wish» eine saubere, jedoch unspektakuläre Produktion, die mich eher an Helene Fischer (mit der Gregory Porter übrigens 2016 in ihrer Weihnachtsshow ein Duett sang), als an den Pianoman Jamie Cullum erinnert.
Und zur Archivierung passt «Christmas Wish» besser in die «Soft Pop» als in die «Jazz»-Schublade.