Das 1898 komponierte Lied «O Sole Mio» hat einen enorm hohen Bekanntheitsgrad und wurde von unzähligen (vorwiegend) Sängern interpretiert – von Enrico Caruso bis Luciano Pavarotti, der für seine Version 1980 sogar einen Grammy erhielt. Elvis Presley bescherte ihm mit englischem Text unter dem Titel «It’s Now or Never» einen erneuten Welterfolg.
Doch hier wird es von Cory Weeds nicht gesungen, sondern instrumental interpretiert, als ausgewachsene Bebop-Nummer. Und das hatte unter anderem folgende Gründe:
- Cory Weeds liebt Italien und wollte schon lange italienische Musik auf seine eigene Art interpretieren.
- Das «Italian Culture Center» in Vancouver unterstützte die Idee (auch finanziell).
- Der Organist Mike LeDonne hat italienische Wurzeln und war erfreut, an diesem Projekt mitzuwirken; er wurde dann sogar zum Hauptakteur (Stückwahl, Harmonien).
Doch wer ist eigentlich Cory Weeds?
Cory Weeds
Geboren wurde er am 5. Dezember 1973 in Burnaby, BC, Kanada in eine musikalische Familie, in der Jazz die vorwiegend konsumierte Musik war. Sein erstes Instrument war das Klavier, das er nach der Suzuki-Methode erlernen sollte, doch schon früh entdeckte er seine Liebe zum Saxophon. Er studierte ein Jahr an der UNT (Texas), kehrte dann aber nach Vancouver zurück und schloss sich der Band «People Playing Music» an. Nach einer achtwöchigen Tournee in Italien nahm er mit der Band Sette seine erste CD auf. Es folgten Tourneen in den USA und in Kanada; weitere Bands führten ihn auch nach Australien und zu bekannten Jazz-Festivals.
Im Jahr 2000, gerade mal 26-jährig, übernahm er «The Cellar Restaurant & Jazz Club» und baute den Club innert kurzer Zeit zum In-Jazzlokal auf, in dem Jazzgrössen wie George Coleman, Jeff Hamilton, Louis Hayes, David «Fathead» Newman oder Dr. Lonnie Smith auftraten. 2001 gründete er das Jazz-Label «Cellar Live», um die besten Konzerte auch als CD produzieren zu können. Daneben hatte er sein wöchentliches Radioprogramm auf CFRO Vancouver.
Nach 14 Jahren im Club-Business hatte er genug, wobei es vor allem der Nerven aufreibende Restaurationsbetrieb war, der ihn zur Schliessung bewog.
Besonders stolz ist Cory Weeds auf sein Plattenlabel-Jubiläum: 20 Jahre besteht «Cellar Live», das Music Label, das laut CBC über 200 Alben im Katalog aufführt und bereits weitere in Planung hat. Zum Start ins Jubiläumsjahr kam «O Sole Mio» auf den Markt, Corys siebzehntes Album als Leader.
Wegen des Untertitels «Music from the Motherland» wollte ich von Cory Weeds mehr über seine Beziehung zu Italien wissen. Seine Antwort (via E-Mail): «Ich habe kein italienisches Erbgut, aber ich habe eine grosse Affinität zum Land. Ich habe Italien mehr als achtmal in meinem Leben besucht und bin in einem äusserst «italienischen» Viertel aufgewachsen. Die Aufnahme war das Ergebnis einer besonders fruchtbaren Partnerschaft mit dem italienischen Kulturzentrum hier in Vancouver.»
«O Sole Mio»
Das Album startet mit der Titelmelodie. Und gleich zu Beginn wird klar: Hier geht es nicht um Smooth Jazz. Mike LeDonne, Peter Bernstein und Joe Farnsworth haben schon unzählige Gigs zusammen gespielt und mehrere Alben aufgenommen. Sie sind also bestens aufeinander abgestimmt. Auch Cory Weeds ist schon mehrfach mit ihnen zusammen aufgetreten und hat bereits ein Album im Quartett aufgenommen. Neu dazugekommen ist jedoch Eric Alexander, den Cory Weeds zuerst sein Vorbild, dann seinen Mentor nannte, dessen technische und musikalische Perfektion er niemals erreichen werde. «Ich wollte immer mit besseren Musikern zusammenspielen. Nur so wirst du zu Höchstleistungen angespornt und kannst dich weiterentwickeln», meinte er (sinngemäss) in einem Interview.
Zur Stückwahl möchte ich mich nicht im Detail äussern. Nicht alle Titel würden für mich den «Motherland»-Anspruch erfüllen, doch alle werden sie bravourös und auf völlig neue Art interpretiert. Sogar das Godfather-Thema, das für mich mehr Hollywood denn Italy darstellt, erhält einen neuen Kick mit dem Rumba-artigen Rhythmus. Und Mike LeDonne schafft es, den bekannten Melodien neue, zum Teil recht schräge Harmonien zu unterlegen, was wiederum für Spannung sorgt.
Die Soli sind allesamt atemberaubend, mitreissend, faszinierend, wobei ich persönlich Cory Weeds Ausbrüchen besser folgen kann als Eric Alexanders Eskapaden, die mich sowohl harmonisch als auch rhythmisch weniger ansprechen … doch das ist wie erwähnt mein persönliches Empfinden.
Und wenn ich schon dabei bin: Normalerweise ziehe ich eine mitreissende Basslinie, gespielt auf einem echten Bass einer Hammond-B3-Basslinie vor, doch nach kurzem Einhören ergänzen sich Orgel und Schlagzeug perfekt. Das Ganze klingt wie aus einem Guss. Interessant scheint mir, dass Mike LeDonne die Basslinie mit der linken Hand spielt und nicht wie die meisten Organisten mit den Pedalen (was ich immer so bewundere).
Fazit
Cory Weeds hat mit diesem Jubiläumsalbum erneut seine Qualitäten unter Beweis gestellt. Mit Jahrgang 1973 der jüngste auf diesem Album, lässt er sich von seinen (international) bekannteren und wohl etwas erfahreneren Kollegen zu Höhenflügen animieren.
«O Sole Mio» ist ein abwechslungsreiches, mitreissendes, positives Geschenk an alle Fans von boppigem Jazz. Man visualisiert förmlich die Musiker, die sich gegenseitig enthusiastisch anspornen und sich zusammen über das Resultat freuen. Es fühlt sich beinahe an wie ein Live-Konzert ohne Publikum.