MUSIKREZENSION
ARTIKEL
Publikationsdatum
27. März 2023
Themen
Drucken
Teilen mit Twitter

Die aktuelle Einspielung von Schumanns (1810–1856) Klavierkonzert in A-Moll Op. 54 kommt von Warner Classics mit Beatrice Rana am Klavier unter Yannick Nézet-Séguin mit dem Chamber Orchestra of Europe. Die Frage ist, ob dies eine weitere redundante Schumann Einspielung ist, von denen es eine unüberschaubare Anzahl gibt – historische und neuere. Mitnichten!

Es fängt schon bei der Zusammenstellung des Albums an: Anstelle von Grieg oder allenfalls Dvořàk präsentiert das Album das Klavierkonzert in A-Moll, Op.7 der 14-jährigen Clara Wieck (1819–1896), Robert Schumanns spätere Ehefrau. Clara war eine in ihrer Zeit hoch beachtete Klaviervirtuosin und begabte Komponistin, die, wäre sie keine Frau und Mutter von 8 Kindern gewesen, nicht bis zur Wiederentdeckung in den 1960er-Jahren hätte warten müssen.

Robert Schumans Werke, besonders sein Klavierwerk, ist stark von Claras Mitwirken an der Entstehung beeinflusst. Sie motivierte, kritisierte, gab Inspiration und spielte die Werke. Ihre eigenen kompositorischen Ambitionen stellte sie hinter Mann und Familie zurück – auch wenn Robert seine Frau als seiner ebenbürtig betrachtet hatte. Es war das klassische Frauenschicksal, das im 19. Jahrhundert die Norm war – und auch heute noch ein aktuelles Thema ist, auch wenn sich seither viel verändert hat.

Clara und Robert Schumann.Clara und Robert Schumann.

Pianistisches Wunderkind

Als Komponistin war Clara Schumann als Frau im 19. Jahrhundert eine Ausnahmeerscheinung. Ihr Klavierkonzert ist keineswegs ein einfach strukturiertes Werk einer Teenagerin. Das feinfühlige wie virtuose Klavierwerk hat durchaus eine beachtenswerte Position im Umfeld reiferer Oeuvres wie jene von Schumann oder Brahms. Claras Konzert ist befruchtet durch ihre Virtuosität. Sie galt als Klavierwunderkind und es überrascht daher nicht, dass ihre Komposition technisch sehr anspruchsvoll ist.

Der junge Robert Schumann, der zeitweise bei Wiecks wohnte, half der jungen Komponistin bei der Orchestrierung. Ohne sich um Konventionen zu kümmern, sind die drei Sätze des Konzertes ohne Pausen nahtlos durch motivische Elemente verbunden. Im Zentrum des langsamen Mittelsatzes steht der innige Solo-Dialog zwischen Klavier und Cello, der durch seine intensive Intimität und Ausdrucksstärke beeindruckt. Man kann hier auch einen Bezug zu Brahms zweitem Klavierkonzert (1881) in B-Dur mit der Cello-Kantilene im Andante sehen. Zumal der junge Brahms (1833–1897) ab 1853 den Schumanns nahestand und auch nach Roberts Tod 1856 einen regen Briefkontakt mit der 14 Jahre älteren Clara pflegte.

Robert Schumann – Klavierkonzert in A-Moll Op. 54

Schumanns einziges Klavierkonzert hat einen festen Platz in der Konzertliteratur und im Konzertbetrieb. Kaum ein Pianist, der es nicht eingespielt hat. Qobuz listet 161 Einträge unter dem Stichwort «Schumann Op. 54». Braucht es da noch eine weitere Einspielung? Selbst neuere Aufnahmen in nativem HiRes-Audio-Format sind zahlreich: Zum Beispiel Melnikov (Harmonia Mundi), Berezovsky (Mirare), Lewis (Harmonia Mundi), Lazic (Channel Classics), Hough (Hyperion), um nur einige zu erwähnen.

Wo liegt der Repertoirewert der neusten Einspielung mit Beatrice Rana und dem Chamber Orchestra of Europe? Diese Frage stellen sich sicher Produzent und Künstler, die sich an eine Neuaufnahme machen. Besonders, wenn es sich um Namen handelt, die dem Musikliebhaber und Konzertgänger nicht als Erstes einfallen, da sich die jüngere Generation erst ihren Platz im Bewusstsein erarbeiten muss.

Sie haben es geschafft!

Was Rana am Klavier und Nézet-Séguin am Dirigentenpult zusammen mit dem Orchester liefern, hat hohen Repertoirewert. Eine Einspielung, die nach Ansicht des Autors in einer Sammlung einen festen Platz einnehmen sollte. Die 1993 in Italien geborene Beatrice Rana begeistert mit einem ungemein feinfühligen Spiel. Dynamisch und impulsiv, wo Schumann dies verlangt – feinfühlig und sanft, wo der Notentext dies vorgibt. Ihre Agogik, ihr Rubato, ist überzeugend und ein zentrales, herausragendes Element in dieser Einspielung. Sie variiert Tempi subtil, wo andere gleichmässig darüberspielen. Dadurch entstehen neue Spannungsbögen, entstehen fein ziselierte Passagen und intensive Motivarbeit, die lyrische wie dramatische Momente beeindruckend herausschälen.

Schumanns Klavierkonzert ist besonders im ersten Satz geprägt durch Tempoveränderungen und oftmals abrupte Stimmungswechsel. Eine Abfolge von nicht weniger als 10 Tempoangaben gliedern den ersten Satz. Rana gelingt es, diese innere Varianz genau auszuarbeiten und die Stimmungswechsel subtil aufzubauen. Dies mit einem technisch sauberen Spiel und gutem Gespür, die kompositorischen Feinheiten von Schumans Op.54 aufzunehmen und umzusetzen.

Wo bei der Melnikov-Aufnahme in der Schlusssequenz (Allegro molto) ein (nicht in den Noten stehender) Trommelwirbel für einen verblüffenden Effekt sorgt, baut Rana dieses stark rhythmisch geprägte Motiv stufenweise über eine leichte, kontinuierliche Tempoverlangsamung aus der Kadenz heraus auf, ins pianissimo gleitend, um mit den nun folgenden Triller-Noten zügig Tempo und Dynamik zu steigern, bis das Orchester nochmals mit einer Temposteigerung den Rhythmus der Schlusssequenz antreibt. Faszinierend, diese Detailarbeit.

Das stark auf Agogik bedachte Spiel der Pianistin erfordert, dass das Orchester, notabene der Dirigent, diese feinen Tempoveränderungen mitträgt, da sonst das Ganze auseinanderfällt.

Bläser, das Salz in der Suppe eines Orchesterwerks

Bei grossen Komponisten sind Bläser ein tragendes Element einer Komposition und nicht nur schmückendes Beiwerk. Schumann notiert in der Partitur seines Klavierkonzerts Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagott, Hörner und Trompeten. Bereits ab dem 4. Takt des ersten Satzes übernimmt ein Bläserquartett (Oboe, Klarinette, Fagott, Horn) solo die Vorstellung des Einleitungsthemas, das anschliessend vom Klavier übernommen und entwickelt wird.

Die Bläserelemente sind stellenweise in diesem Konzert tragender, was die Motivarbeit anbelangt als die sonst dominierenden ersten beiden Streicherstimmen. Bei der vorliegenden Einspielung fällt besonders die Klarinette mit einem souveränen Spiel auf. Der Klarinettist erlaubt sich, dem Klarinetten-Motiv ab der ersten Animato-Stelle eine prägnante, absteigende Achtel-Tonfolge als Verzierung anzuhängen. Später übernimmt die Oboe diese Ausschmückung ebenfalls.

Aufnahmetechnik, Klangeindruck

Die HiRes-Aufnahme bietet einen gut durchhörbaren Orchesterklang. Das Klavier ist breit zwischen den Lautsprechern positioniert. Die Bläser – und hier besonders die Klarinette – sind präsent und in der Positionierung weiter vorne im Orchester abgemischt als dies real der Fall ist. Dadurch sind die Bläserstimmen deutlich wahrnehmbar. Dies trägt dazu bei, dass dieses Album nicht einfach eine weitere Einspielung ist, die Bekanntes wiederholt. Die deutlichere Bläserpräsenz geht zulasten einer etwas eingeschränkten Tiefenstaffelung des Orchesters, aber dennoch ist das Gesamtklangbild recht ausgewogen.

Das Album ist bei Qobuz als Download und Stream im 192-kHz-Format verfügbar. Es hat die für ein Klassikalbum typische spektrale Verteilung, mit einem Frequenzspektrum bis rund 45 kHz, ohne nennenswerte Anomalien. Abbildung: Schumann, OP. 54, 1. Satz.Das Album ist bei Qobuz als Download und Stream im 192-kHz-Format verfügbar. Es hat die für ein Klassikalbum typische spektrale Verteilung, mit einem Frequenzspektrum bis rund 45 kHz, ohne nennenswerte Anomalien. Abbildung: Schumann, OP. 54, 1. Satz.
Allerdings macht eine 192-kHz-Samplingfrequenz keinen Sinn.Allerdings macht eine 192-kHz-Samplingfrequenz keinen Sinn.

Ein Vergleich zwischen einer Datei mit Samplingfrequenzen von 96 kHz und 192 kHz zeigt oberhalb von 48 kHz (Grenzfrequenz für Musiksignale bei 96 kHz Samplingfrequenz) nichts als in der Intensität zunehmendes Rauschen. Die aufgeblasene 192-kHz-Datei ist mehr als doppelt so gross, ohne mehr Informationen zu liefern. Wer nun glaubt, dass die höhere Samplingfrequenz das bereits mit 96 kHz Samplingfrequenz erfasste Musiksignal genauer abbilde, unterliegt einem Trugschluss. Ergänzend noch die MP3-Variante mit einem deutlich datenreduzierten Spektrum und zusätzlichem Informationsverlust ab 16 kHz.

Fazit

Die Einspielung des Schumann-Klavierkonzerts Op. 54 mit Beatrice Rana überzeugt vollumfänglich. Das subtile Spiel und der freiere Umgang mit den Tempi (Agogik/Rubato) zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit Schumanns Komposition. Yannick Nézet-Séguin mit dem Chamber Orchestra of Europe meistert die Aufgabe, der Agogik des Klaviers zu folgen, mit Bravour. Auch die Kopplung mit Clara Schumans Klavierkonzert steigert den Repertoirewert dieses Albums. Die Aufnahmetechnik schenkt den Bläsern einen Tick mehr Präsenz im Klangbild, was dazu beiträgt, dass sich der Hörfokus etwas verschiebt.

Fritz Fabig Gastautor

Fritz Fabig ist passionierter Musikliebhaber mit Schwerpunkt in der Klassik-Epoche. Nach einer elektrotechnischen Ausbildung und Management/Marketing Weiterbildung erfolgte ein Wechsel in die Audio Branche. Beinahe zwei Dekaden war Fritz Fabig Geschäftsführer der B&W Group Schweiz. Seit Ende 2021 ist er als freischaffender Berater tätig.
STECKBRIEF
Besetzung:
Solistin - Beatrice Rana
Dirigent - Yannick Nézet-Séguin
Orchester - Chamber Orchestra of Europe
Albumtitel:
Clara und Robert Schumann Klavierkonzerte
Komponist:
Robert Schumann (1810–1856), Clara Schumann (1819–1896)
Herkunft:
UK
Label:
Warner Classics / Parlophone Records Ltd.
Erscheinungsdatum:
3.2.2023
Spieldauer:
57.22 m/s
Tonformat:
FLAC 24 Bit/192,0 kHz – Stereo (Download: weitere Formate)
Aufnahmedetails:
Aufgenommen im Festspielhaus Baden-Baden, 8-10 Juli 2022
Produzent, Tonmeister, Mastering: Andrew Mellor
Musikwertung:
10
Klangwertung:
8
Bezugsquellen