MAGAZIN
ARTIKEL
Publikationsdatum
8. April 2002
Themen
Drucken
Teilen mit Twitter
Hinter den drei Begriffen Sound, Image und Space verbirgt sich das ganze Geheimnis einer guten Surround-Aufnahme. avguide besuchte Tonmeister Jürg Jecklin anlässlich einer Aufnahme in der Tonhalle Zürich und erfuhr das Neuste in Sachen gutem Ton.

Problemkind Surround Sound

Himmel voller Mikrofone: An der Decke Jecklin-Stereo-Scheibe. Auf Ständer: Front-Scheibe für OSS 3-2-1-Technik
Himmel voller Mikrofone: An der Decke Jecklin-Stereo-Scheibe. Auf Ständer: Front-Scheibe für OSS 3-2-1-Technik
Im Frühjahr 2002 gab das Sinfonieorchester Musikhochschule Winterthur Zürich in der Tonhalle Zürich ein Konzert. Tonmeister Jürg Jecklin hatte den Auftrag, davon eine konventionelle CD in Stereo zu realisieren. Insgeheim benutzte Jecklin jedoch die Gelegenheit, seinen Erfahrungsschatz punkto Surround Sound zu erweitern. avguide besuchte Jürg Jecklin in der Tonregie und sprach mit dem Erfinder des Jecklin Floats, Transdyns sowie der legendären Jecklinscheibe über seine neusten Ideen in Sachen mehrkanaliger Aufnahmetechnik. Eines wurde dabei ganz klar: Es braucht weitaus mehr als eine möglichst grosse Anzahl Mikrofone, die man nach Gutdünken irgendwie auf fünf Kanäle abmischt, um den perfekten Raumklang zu realisieren.

Die Grundgedanken der "OSS 3-2-1" Technik

Der Mackie 24-Kanal HardDisk-Recorder (unten) arbeitet hochauflösend mit 24 Bit und 96 kHz Samplingfrequenz. Oben: Stereo-DAT.
Der Mackie 24-Kanal HardDisk-Recorder (unten) arbeitet hochauflösend mit 24 Bit und 96 kHz Samplingfrequenz. Oben: Stereo-DAT.
Mit OSS 3-2-1 bezeichnet Jürg Jecklin seine Surround-Aufnahmetechnik, deren Versuchsphase noch nicht ganz abgeschlossen ist. Doch die Grundgedanken sind klar formuliert, und die Aufgabenverteilung für die verschiedenen Tonkanäle klar umrissen. Um international verstanden zu werden, bedient sich Jürg Jecklin des in der Filmindustrie üblichen Vokabulars bezüglich Ton.

Mit "Sound" ist die Klangqualität gemeint. Dass sie möglichst gut sein sollte, ist selbstverständlich. Unter der Bezeichnung "Image" versteht man die Abbildung des Direktschalles, also zum Beispiel die akustische Projektion eines Orchesters. Der Begriff "Width" bezeichnet die Links-Rechts-Abbildung. Die Tiefenabbildung "Depth" gibt es in 5 Layers:
Layer 0 liegt dort, wo sich die Lautsprecherebene befindet. Layer 1 beschreibt den normalen Abstand, wo man eine Geige, einen Sänger plazieren und anhören würde.
Im Layer 2 befinden sich zum Beispiel ein kleines Kammerorchester, oder die Streicher eines grossen Sinfonieorchesters.
Die hinter den Streichern positionierten Bläser sitzen im Layer 3.
Im Layer 4 wird die hinten im Orchester plazierzte Schlagzeuggruppe und eventuell ein Chor abgebildet.
Layer 5 dient der Darstellung von Fernorchestern, die vorwiegend räumlich wahrgenommen werden.
"Space" ist die Räumlichkeit einer Aufnahme. Eine monofone Aufnahme hat keinen "Space".
Bei "Space" unterscheidet man zwischen Front-Space, Side-Space, Back-Space und Full-Space. Eine überzeugende Surround Aufnahme kann man in Full-Space machen. Eine Stereo-Aufnahme besitzt lediglich einen Front-Space. Das wäre etwa so, wie wenn man aus einer Loge ein Konzert anhört. Side-Space wäre in einer schlechten Surround Aufnahme zu hören, bei welcher der Sound nur von Links-Rechts kommen würde. Back Space kommt nur von hinten.
Full Space kann nur mit 5 Kanälen richtig realisiert werden, Sound jedoch auch Mono. Image lässt sich stereophon realisieren. Mit dem Surround Sound hat man den Vorteil, dass man vorne drei Kanäle hat. Dies ermöglicht eine definierte Mitte.

Die Zeit der Zweikanalaufnahme ist vorbei

Nicht mit dem Sound zufrieden?
Nicht mit dem Sound zufrieden?
Auch Stereo-Aufnahmen sollte man dreikanalig machen. Die Situation hat sich verändert: Sogar mit der klanglich mittelmässigen Surroundwiedegabe eines 5-Kanal Kompakts-Systemes ergeben sich gegenüber einer Stereowiedergabe Vorteile. Der Sound ist natürlich mit einem teuren Lautsprecher besser. Doch der Full-Space fehlt.
Die Frage ist: Will man einen besseren Sound oder Fullspace? Space wird vielfach unterschätzt. Wir sind kontinuierlich in einer akustische Umgebung und stehen immer in einem Full-Space drin. Der Full-Space, den wir dauernd haben, ist derjenige der Stube und nicht derjenige des Konzertsaales oder der Kirche. Mit einer gelungenen Surroundaufnahme gelingt das Versetzen in den Konzertsaal.
Natürlich sollten alle verwendeten Lautsprecher klanglich hochwertig sein. Gibt man jedoch den Betrag von 2 teuren High-End-Boxen für fünf gute Lautsprecher aus, so ist man besser bedient als nur mit deren zwei.
Die Welt sieht jetzt anders aus. Trotzdem geht es mit dem Surround Sound sehr harzig vorwärts. Die Läden sind immer noch voller CDs und nicht voller Musik-DVDs, oder SACDs. Die Tonmeister und die Industrie machen nur halbherzig mit. So hat der Konsument auch lediglich ein sehr kleines Angebot zur Auswahl.
In naher Zukunft kann man davon ausgehen, dass immer mehr Leute eine 5.1-Anlage zu Hause haben, aber gewiss daneben keine zweite in Stereo aufstellen. Die Sache wird um den Fernsehapparat herum gruppiert. Nun müssen Aufnahmen für AV-Verstärker und 5.1 Boxenkonfiguration gemacht werden. In Wien am Institut für Elektroakustik und experimentelle Musik sind in allen Tonregien AV-Verstärker mit kleinen Tannoy-Monitoren im Einsatz. Es muss auch darauf geachtet werden, dass eine über eine solche Anlage abgespielte Stereoaufnahme gut klingt. Dafür ist jetzt zum Beispiel Dolby Pro Logic 2 eine sehr gute Wiedergabemöglichkeit.

Aufgabenverteilung

Jürg Jecklin mit zwei Studenten
Jürg Jecklin mit zwei Studenten
Betrachtet man die Sache aus der Video-Filmseite, hat man mit den fünf Kanälen im breiten Sinne "Sound, Image und Space". Der Centerkanal übernimmt den Dialog. Front-Links und Front-Rechts werden für den Off-Ton (Fachausdruck aus der Filmbranche) verwendet, also für Schallerzeuger, die sich vorne, aber nicht auf dem Bilde befinden. Die Rear-Kanäle erzeugen Umgebungsgeräusche. Der .1-Kanal spielt nur im tiefen Frequenzkeller sogenannte "Low Frequency Effects". Diese Aufgabenverteilung funktioniert, ist überzeugend und vom Konsumenten akzeptiert.
Auch bei Jecklins OSS 3-2-1-Technik gibt es eine sehr ähnliche Aufgabenverteilung. Anstelle des Dialogs käme der Solist und anstelle des Off-Tones das Orchester. Diese beiden Informationen werden strikte getrennt aufgenommen und eine Verkoppelung wäre verhängnisvoll. Grund: Die Links-Rechts-Balance kann jeder blitzschnell einstellen, also auch ein Laie. Aber die optimale Balance zwischen Links/Rechts und der Mitte, ist sehr schwierig zu finden. Man muss davon ausgehen, dass der Centerlautsprecher mal etwas lauter, mal etwas leiser ist. Also muss man eine Aufnahme unempfindlich auf Pegelunterschiede im Bereich des Centerkanals machen. Dies ist dann der Fall, wenn etwas völlig anderes auf dem Centerkanal vorhanden ist, als auf den Links-Rechts-Kanälen. Ist der Solist also von Links-Rechts getrennt, kann man ihn lauter oder leiser wählen ohne dass das Klangbild in sich zusammenbricht.
Im Klartext: Man muss mit dem mittleren Kanal die Lautstärke variieren können, ohne dass sich im Off-Ton etwas tut. Dies ist beim Filmton mit dem Dialog in Centerkanal der Fall. Bei Musikaufnahmen ist es schwieriger, weil es kaum möglich ist, den Solist völlig zu separieren. Wenn man in der Folge den Centerkanal lauter macht, verändern sich die gesamten räumlichen Verhältnisse. Da kommt nun die Aufgabenverteilung OSS 3-2-1-Technik mit Image (3), Space (2) und Low Frequency-Effekt (1) zum Zuge.

Mikrofonierung

Zwei Scheiben für einen optimalen Surround Sound
Zwei Scheiben für einen optimalen Surround Sound
Für den Off-Ton setzt Jecklin eine seiner Scheiben mit zwei Kugelmikrofonen ein.
Ein in der Mitte montiertes Supernieren-Mikrofon übernimmt die Information für den Centerkanal. Dies ermöglicht, dass der Centerkanal im Pegel variiert werden kann, ohne dass sich an der Abbildung des Off-Tones etwas ändert. So ist es möglich einen Solist in der Mitte heranzuziehen, und das Klangbild des Orchesters bleibt unangetastet. Wäre aber im Centerkanal zum Solist auch noch zum Beispiel die hinten positionierte Bläsergruppe des Orchesters dabei, ergäbe eine Pegelvariation eine drastische Veränderung, eventuell sogar ein Zusammenbrechen des Gesamt-Klangbildes. Stützmikrofone dürfen also nur dem Off-Ton zugeordnet werden.

Die Sache mit dem Space

Von hinten muss ein gespenstiger Space-Eindruck enstehen, also eine virtuelle Realität von einem anderen Raum. Die gespenstigste Realität hat man mit einem Kunstkopf, zumindest was die Räumlichkeit anbelangt. Man muss nun ein Simulationsverfahren anwenden. Was von vorne kommt, ortet man sofort als Abbild. Was zwingend von der Seite erscheint, empfindet man als Räumlichkeit. Nach Jecklins Ansicht sollten die den Raumeffekt produzierenden Lautsprecher nicht hinter, sondern seitlich des Hörers aufgestellt werden. Das ganze soll aber auch in der klassischen 5.1 Boxenaufstellung funktionieren.
Jecklin setzt nun für den Space eine zweite Scheibe ein, deren Mikrofone nach hinten gerichtet sind und Nierencharakteristik haben. Dies hat folgenden Grund: Das Space-Signal darf keine Direktschallanteile enthalten. Mit zwei Kugelmikrofonen käme immer noch zuerst der Direktschall vom Orchester, bevor die Reflexionen eintreffen würden. Folglich stellt Jecklin jetzt zwei Nieren parallel auf und trennt diese intensitätsmässig durch eine Scheibe. So wird nur der hintere Halbraum aufgenommen, das Orchester wird vollständig ausgeblendet.

Abschliessende Gedanken

Was im Moment noch fehlt, ist eine Surround-Aufnahmetechnik, die generell überzeugt. Nun gibt es punktuell gute und leider viele nicht so gute Aufnahmen. Jeder experimentiert oder schaut, was der andere macht. Über die von Jürg Jecklin entwickelte OSS-3-2-1-Aufnahme-Technik wird bei avguide weiter berichtet. Geplant ist sogar eine Bauanleitung für ein Surround-Aufnahme-Set, welches auch vom Amateur mit vollem Erfolg eingesetzt werden kann. Eines ist gewiss: Jürg Jecklin hat mit seiner stereofonen Jecklin-Scheibe für Furore gesorgt. Die Zeit für eine Surround-Konfiguration ist gekommen.

Tonmeister Jürg Jecklin

- Arbeitete 30 Jahre bei Radio DRS, davon 10 Jahre als Cheftonmeister. Daneben
Free Lance –Tätigkeit für die Schallplattenindustrie.

- Für seine Tätigkeit als Tonmeister entwickelte er den elektrostatische Kopfhörer Jecklin FLOAT, die OSS-Aufnahmetechnik mit der sogenannten Jecklin-Scheibe, sowie den Sound Processor TRANSDYN.

- Während 9 Jahren war er technischer Berater der Firma MB in Obrigheim (D) und unterrichtete während 15 Jahren an der Musikhochschule Basel, Fach Akustik und "Arbeit mit denMedien"

- Lehrtätigkeit bei der berufsbegleitenden Ausbildung zum Tontechniker des ZNM und
des ZEPRA

- Publizierte Rund 400 Fachartikel in diversen in- und ausländischen Fachzeitschriften
3 Bücher: das Lautsprecherbuch, Musikaufnahmen, Mono-Stereo-Quadro
in Arbeit: die Aufnahme und Wiedergabe von Musik.

- Aktuelle Tätigkeit: Professor an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, Lehrstuhl für Theorie der Tontechnik. Leiter des Instituts für Elektroakustik und experimentelle Musik (3 o. Professoren, 4 Assistenten, 39 Lehrbeauftragte und 150 Studenten.

Laufende Entwicklungen: Kleinmonitorbox, professioneller Kopfhörer, Verfahren zur
objektiven Qualitätsbeurteilung von Lautsprechern

- Wohnsitz:Hauptwohnsitz 7603 Vicosoprano, Zweitwohnsitz Wien

- Email-Adresse: floatsound@cs.com