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Publikationsdatum
12. August 2024
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Der Wissenschaftler und Unternehmer Bose

Was muss dies für ein Lautsprecher sein, der nach bald 70 Jahren immer noch seine Liebhaber findet? Es gibt nicht wenige Musikfreunde, die mit keinem anderen Lautsprecher Musik hören mögen und für die der Quad-Werbespruch «for the closest approach to the original sound» absolute Gültigkeit hat. Kurz gesagt, wird bei einem Elektrostaten das gesamte Musiksignal von einer hauchdünnen Folie erzeugt, welche vollflächig angeregt wird. Ein Gehäuse entfällt, wodurch das Signal nach vorne und hinten abgestrahlt wird (Dipol).

Von dem gerne «Heizstrahler» genannten Kult-Objekt wurden im englischen Huntingdon zwischen 1957 und 1985 (und in kleinen Stückzahlen sogar bis 1995) etwa 54'000 Stück gebaut.

Sehr viele Quad-ESL werden bis heute betrieben, doch der Zahn der Zeit nagt an diesen Lautsprechern. So ist es zwingend, dass sie nach so vielen Jahren rundumerneuert werden müssen, um hören zu können, welche Qualitäten wirklich in ihnen stecken. Wer den Klang eines Musikinstrumentes im Ohr hat, wird sofort erkennen, dass das elektrostatische Prinzip, vor allem wenn es den gesamten Frequenzbereich überträgt, einen Grad von Authentizität erlaubt, der bis heute unerreicht ist.

Quelle: Bose Corp.

Sein Doktorvater motivierte ihn, die Forschungen zu kommerzialisieren, und so gründete Bose 1964 die Bose Corporation. In einer 17-seitigen Schrift für die AES (Audio Engineering Society) von 1968 stellte er die Grundzüge der 12-jährigen Forschung seines Teams dar und leitete daraus seine Erkenntnisse für die 901-Lautsprecher ab.

Die Quad-Musikwiedergabe in Deutschland hat sich seit 1995 auf die Restauration sämtlicher Quad-Geräte und insbesondere der Elektrostaten spezialisiert.

Weltweit schicken Besitzer ihre Preziosen in das kleine Dorf Gering in der Eifel. Es ist die Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der Verkauf der englischen Firma Quad im Jahre 1995 an die chinesische IAG (International Audio Group) und die folgende Auslagerung der gesamten Produktion nach China es den Eifelern erlaubt haben, mit der Restauration eine wichtige Nische zu belegen.

Ein Schlüsselelement war der Ankauf von «Mr. Stretchy», der Maschine, mit der in England die Folien gespannt, mit dem Rahmen verklebt und gebacken werden. Dies gelang dank der guten Beziehungen zur Gründerfamilie Walker und der vormaligen Tätigkeit als Quad-Vertrieb für ganz Deutschland.

Allerdings richtete es «Mr. Stretchy» nicht alleine und es musste viel, teilweise vergessenes Know-how erarbeitet werden, um die geforderte Qualität zu erreichen und auch neue technische Möglichkeiten in die Fertigung einfliessen zu lassen. Heute wird eine Qualität erreicht, von welcher selbst die im englischen Huntingdon übriggebliebene Quad-Servicestelle sagt, dass diese in England nie erreicht wurde.

Selbstredend bezieht die Stelle die Panels für die «Heizstrahler» aus der Eifel. Man übt sich dort aber in englischem Understatement und sagt nur: «according to the original specs».


Mit «Mr. Stretchy» werden die Folien gespannt, mit dem Rahmen verklebt und gebacken.Mit «Mr. Stretchy» werden die Folien gespannt, mit dem Rahmen verklebt und gebacken.
Amar Bose war 45 Jahre lang mit Auszeichnung an der MIT-Fakultät tätig.Amar Bose war 45 Jahre lang mit Auszeichnung an der MIT-Fakultät tätig.

Von seinem Kollegen am MIT, Professor Alan V. Oppenheim, erhielt Bose höchstes Lob: «Was ich im Laufe der vielen Jahrzehnte unserer Beziehung von ihm über Lehre, Forschung und Leben gelernt habe, hat mich in einer Weise beeinflusst, die zu zahlreich ist, um sie zu beschreiben. Er setzte in allem, was er tat, die höchsten Massstabe, und seine Leistungen als Lehrer, Erfinder und Unternehmer sind legendär.» Auch Tonmeister Jürg Jecklin vertraute mir einmal an, dass Bose der sympathischste Mensch gewesen sei, den er in seiner Audio-Karriere kennenlernte, dabei blieb er sehr bescheiden. Amar G. Bose half Jecklin zu Beginn der Vermarktung seines Float-Kopfhörers mit der Promotion.

Erkennbar wurde Boses Credo durch seine strikte Weigerung, die Firma an die Börse zu bringen. Auch wollte er dem MIT vor seinem Tod die Aktienmehrheit verkaufen, jedoch ohne Stimmrecht und mit der Auflage, dass diese nie verkauft werden dürfen. Damit wollte er der Forschung auch nach seinem Tod einen entsprechenden Stellenwert einräumen – eine Idee, die er später jedoch aufgrund eines Streits seines Sohnes mit dem MIT aufgab und eine Stiftung gründete.

Lautsprecher in Wohnräumen

Mit den 901-Lautsprechern wurde Bose in der Audiowelt als Querkopf und Rebell wahrgenommen. Bose legt in der zitierten AES-Schrift schrittweise dar, welche Anforderungen ein Lautsprecher in einem Wohnraum zu erfüllen habe. Bei der objektiven Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Lautsprechern ortet er eingangs zwei Problemfelder: Einerseits würde der Bezug von objektiven Messwerten zum subjektiven Höreindruck von Musik und Sprache fehlen. Und andererseits würden weitergehende Messwerte zur Beurteilung des Lautsprechers selbst fehlen, etwa das sinnvolle Verhältnis von Direkt- zu Indirektschall und die Art, wie sich dies in unterschiedlichen Räumen auswirke und die Qualität der Wiedergabe beeinflusse.

Raumklang zum Wohnen statt strenges Stereo-Dreieck. Die 901 passt mit ihren Tulpenständern auch gut ins damalige Wohndesign. Bildquelle: BoseRaumklang zum Wohnen statt strenges Stereo-Dreieck. Die 901 passt mit ihren Tulpenständern auch gut ins damalige Wohndesign. Bildquelle: Bose

Bose rieb sich an der konventionellen Lautsprechertechnik mit dem Fokus auf den Direktschall – und folglich dem Frequenzgang als wichtigste Messgrösse. Dieser mache bei einer Reproduktion in schalltoten Räumen bzw. in Situationen, bei denen der Direktschall dominant ist, Sinn. Er sei jedoch in realen Wohnräumen mit üblichen Hördistanzen fragwürdig. Rasch wird die Konzertsaal-Situation in die Argumentation eingeflochten, welche ein gänzlich anderes Schallfeld zeige. Diese Analogie taucht später immer wieder in seiner Argumentation auf und spiegelt wohl auch Boses Vorliebe für klassische Musik wider.

Direct/Reflecting

In der AES-Schrift leitet Bose systematisch das «direct/reflecting»-Konzept her, welches die Basis für die folgenden Lautsprecherentwicklungen der Firma wurde, nicht nur der 901. Er startet bei beiden Extremen, dem Direktstrahler im schalltoten Raum und dem Rundumstrahler im reflektierenden Raum. Dann nähert er sich dem als richtig empfundenen Optimum an. Dabei fliessen zahlreiche eigene, aber auch fremde Experimente ein, die auch stark von der Wahrnehmung von Klang im Raum geprägt sind und von der Beschaffenheit von Räumen. Schliesslich kristallisiert sich das Konzept von 89 % Indirekt- und nur 11 % Direktschall als Optimum heraus – somit einem Lautsprecher, der vornehmlich in definierten Winkeln nach hinten an eine Wand strahlt und nur wenig nach vorne zum Hörer.

Beim Bose Direct/Reflecting wird ein Grossteil des Schalls indirekt nach hinten abgestrahlt und verteilt sich so im Raum.Beim Bose Direct/Reflecting wird ein Grossteil des Schalls indirekt nach hinten abgestrahlt und verteilt sich so im Raum.

Bose leitet daraus auch die Anforderung an den Frequenzgang ab, nämlich, dass es weniger entscheidend ist, welcher Frequenzgang auf Achse erzielt wird, sondern der Summenfrequenzgang, der durch das spezielle Abstrahlprinzip im Raum entsteht. Dieser müsse flach sein. Bose weist auf die Schwierigkeiten hin, einen Lautsprecher so auszulegen, dass er in unterschiedlichen Räumen effektiv funktioniert, wie auch auf die Probleme der Raummoden. Das sind alles Diskussionsfelder, die noch heute aktuell sind.

Mit seinem Ansatz setzt er sich aber auch vom Rundumstrahler ab, den er als nicht optimal betrachtet, weil das Verhältnis von Direkt- zu Indirektschall nicht ausgewogen sei. Offensichtlich ist auch, dass sein Prinzip in einem akustisch stark bedämpften Raum wie einer Tonregie nicht funktionieren wird. Es ist für übliche Wohnräume mit stärkerem Nachhall gedacht. Damit wirkt es auch heute noch aussergewöhnlich und singulär. Die allermeisten Lautsprecher werden auch heute noch als Direktstrahler gebaut und gemessen, wie es Bose in seiner Zeit als untauglich kritisierte. Der Wohnraum als physikalische Grösse für das akustische Design bleibt aussen vor. Bose ging einen anderen Weg und war damit sehr erfolgreich.

Der 2201-Lautsprecher war der erste Direkt/Reflexions-Lautsprecher, den Bose produzierte. Er ebnete den Weg für das legendäre 901-Lautsprechersystem.Der 2201-Lautsprecher war der erste Direkt/Reflexions-Lautsprecher, den Bose produzierte. Er ebnete den Weg für das legendäre 901-Lautsprechersystem.

Was hingegen in seinen Betrachtungen fehlt, sind Besonderheiten der stereofonen Wiedergabe mit vom Toningenieur bewusst gewählten Phantomschallquellen und virtuell erzeugten Räumlichkeitseffekten. Der Begriff Stereo fehlt in der AES-Studie völlig. Bose beschränkt sich auf die Wirkung des Lautsprechers als Schallquelle im Raum. Stereo sind dann einfach zwei Schallquellen. Die Idee, zuhause akustisch nachzuvollziehen, was im Studio ausgetüftelt wurde, blieb Bose fremd. Vielleicht hätte er eine andere Richtung eingeschlagen, wäre er Jazz- oder Rockfan gewesen. In diesen Musiksparten greift die Konzertsaalanalogie zu kurz.

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