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Das Design der Bose 901

Bose experimentierte intensiv, welche Art von Lautsprecherchassis für die Umsetzung sinnvoll sein könnte. Es kristallisierte sich der Einsatz von mehreren kleinen 4-Zoll-Breitbandlautsprechern (10 cm) heraus, die in einer Weise angeordnet werden, dass erkennbare Verfärbungen gegen null laufen würden. Durch die Wahl von Breitbändern konnte er auf die bei Mehrweglautsprechern notwendigen Frequenzweichen verzichten, welche potenzielle Fehlerquellen, speziell im Abstrahlverhalten und der Impulsantwort, sind. Um seine Anforderungen an den Frequenzgang im Raum zu erfüllen, müssen Breitbänder jedoch entzerrt werden – heisst, ein Equalizer war als Teil des Konzepts unabdingbar.

Die berühmte 901. Acht Breitbandchassis strahlen in definierten Winkeln nach hinten in einem Breitbandchassis, das nach vorn abstrahlt. Der Equalizer linearisierte Bässe und Höhen.Die berühmte 901. Acht Breitbandchassis strahlen in definierten Winkeln nach hinten in einem Breitbandchassis, das nach vorn abstrahlt. Der Equalizer linearisierte Bässe und Höhen.

Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung war auch die Betrachtung von Verzerrungen. Doch während Verzerrungen von Lautsprechern bis heute quantitativ betrachtet werden, ging Bose einen Schritt weiter und betrachtete mit gezielten Experimenten die Hörbarkeit von Verzerrungen in verschiedenen Situationen und Lautstärken.

Ein erstes Lautsprecherkonzept (Bose 2201), ein Ecklautsprecher mit 22 Breitbandchassis, wurde schon 1966 kommerzialisiert, entpuppte sich aber rasch als wirtschaftlicher Flop. Bose ersann kurz darauf die berühmte 901, die in der Aufstellung flexibler war, kompakter und bewusst die Rückwand einbezog. Das «direct/reflecting»-Konzept wurde mit acht Breitbandchassis umgesetzt, die in definierten Winkeln nach hinten auf eine Wand strahlten und einem Breitbandchassis, das nach vorne strahlte.

Um das Gehäuse auf eine gute Höhe im Raum zu hieven, wurde ein passender Tulpenständer entworfen. Alternativ konnte man das Gehäuse auch von der Decke abhängen. Mit einem Equalizer, der in den Signalweg eingeschlauft werden musste (Tape In-Out), konnte der notgedrungen stark abfallende Frequenzgang im Bass und in den Höhen angehoben werden. Noch heute verblüfft beim ersten Hören speziell die sehr konturierte Basswiedergabe aus dem auch nach heutigen Massstäben kleinen Gehäuse.

Die Rückseite mit den acht Breitbandchassis.Die Rückseite mit den acht Breitbandchassis.

Die 901 kann dank der grossen Anzahl Breitbänder sehr laut spielen, weshalb sie auch in Clubs beliebt war. Der Clou ist jedoch, wie zwei 901 die Musik als glaubhaften Klangkörper in den Raum stellen und damit ein faszinierendes Mass an Live-Feeling vermitteln, egal, mit welcher Musik und egal, wo man im Raum steht. Der Raum wird ins Klanggeschehen einbezogen, ganz anders als Direktstrahler, die eigentlich nur in einer studioähnlichen Akustik oder im Nahfeld optimal funktionieren.

Direktstrahler sind einfach als Schallquellen auszumachen, falls man sich nicht mittig zwischen den Lautsprechern befindet, wogegen die Musik von den 901 völlig losgelöst erscheint. Jedoch vermitteln die 901 nicht die Faszination gut gemachter, räumlicher Aufnahmen, wenn man sich im Sweet Spot von Direktstrahlern befindet. Ihre Wiedergabe ist somit nicht werkstreu, aber pragmatisch auf das Verhalten der meisten Musikhörer ausgelegt. Deshalb kommt man unweigerlich ins Grübeln, warum die Vorzüge der 901 kaum je in andere Entwicklungen eingeflossen sind.

Die Bose 901 wurde zu einer Designikone. Bildquelle: BoseDie Bose 901 wurde zu einer Designikone. Bildquelle: Bose

Das Grundkonzept der 901, die Gehäuseform und die Grösse blieben über die gesamte Produktionszeit gleich. Spätere Versionen der 901 unterschieden sich vom Urmodell lediglich durch den Wechsel von einem geschlossenen zu einem Bassreflexgehäuse und damit zu anderen Chassis. Damit konnte der Membranhub deutlich reduziert werden, was bei Breitbandchassis ein bedeutender Vorteil sein kann. Jedoch hatten die neuen Chassis Schaumstoffsicken, die mit der Zeit zerbröseln, worauf Käufer von Occasionen achten sollten. Die beiden frühen Versionen sind langzeitstabiler. In früheren Jahren wurde auch noch eine passende Endstufe angeboten, denn die Anforderungen an die Leistungsstabilität sind nicht gering.

Werbung

Bose nutzte in der Werbung die Einzigartigkeit seines Ansatzes aus und erlaubte sich eine erfrischende Frechheit, um Aufmerksamkeit zu generieren. Damit provozierte er bewusst die Masse der Hersteller und erzielte ein grosses Echo. Verständlich, dass er seinen Ansatz als einzig Richtigen herausstrich und befand, die anderen Hersteller seien auf dem Holzweg. Bose baute später auch kleinere Modelle nach diesem Prinzip, doch die Ikone blieb die 901. In einer Werbekampagne bemerkte Bose süffisant, wie man den Klang der 901 toppen könne: Man installiere statt zwei 901 gleich vier Stück, um einen noch besseren Räumlichkeitseffekt zu erzielen. Das wurde wiederum mit Untersuchungen untermauert.

Die Bose 901 wurden insgesamt fast 50 Jahre lang produziert, was sie zu einem der langlebigsten und bekanntesten Produkt der Audiobranche macht.Die Bose 901 wurden insgesamt fast 50 Jahre lang produziert, was sie zu einem der langlebigsten und bekanntesten Produkt der Audiobranche macht.

Über die Bose 901 wurde viel geschrieben, so auch in avguide.ch, wo zwei spannende Artikel aus den Jahren 2004 und 2008 im Archiv schlummern.

Bose heute

Über viele Jahre wurde der Mythos 901 gepflegt und der Lautsprecher als «Hallmark» in der Firmengeschichte gefeiert. Heute findet man auf der Bose-Website überhaupt keine Hinweise mehr. Dies mag auf die verschwundene Bedeutung von HiFi für den Massenmarkt deuten.

Und Bose baute immer Produkte für die grosse Masse, mit einem untrüglichen Gespür für Trends. Mit dem Acoustimass-Konzept wurde 1986 das bekannteste Subwoofer-Satellitenkonzept eingeführt – für Musikliebhaber, die möglichst keine HiFi-Anlagen sehen wollen. In den winzigen, fast unsichtbaren «Jewel Cubes»-Satelliten war immer noch ein wenig «direct/reflecting» eingebaut. Oder das 1993 eingeführte Wave-Radio, ein unkompliziertes Tischradio mit für die Grösse sehr voluminösem Klang. Mit ihren Quiet-Comfort-Kopfhörern entdeckte Bose früh den Nutzen von aktivem Noise Cancelling – die Firma wurde führend in dem Bereich.

Aber auch im professionellen Bereich ist Bose einer der bekanntesten Akteure geworden, mit Beschallungslösungen von grossen Konzerthallen bis zu Konferenzräumen, Bühnenlautsprechern und portablen PA-Systemen. Gerade Letztere sind ein typisches Beispiel für den Innovationsgeist, aber auch Pragmatismus von Bose. Statt einer stattlichen Box auf einem Ständer ersann Bose einen langen Säulenlautsprecher als Linienschallquelle, kombiniert mit einem Subwoofer. Dieser schafft nicht nur ein günstiges, vertikal gerichtetes Schallfeld, sondern ist optisch wesentlich weniger störend auf einer Bühne und dank seiner modularen Bauweise leicht zu transportieren.

Heute ist Bose ein breit aufgestellter Technologie-Konzern.Heute ist Bose ein breit aufgestellter Technologie-Konzern.

Bose beschäftigte 2023 weltweit ca. 6000 Mitarbeitende und setzte etwa 3 Milliarden USD um (2019 4 Mia. USD). Dieser Artikel erscheint parallel in der Zeitschrift der AAA-Switzerland.

Markus Thomann Gastautor

Markus Thomann war als Architekt tätig, bevor er vor gut 25 Jahren seine Passion für Audiotechnik professionalisierte und die Firma Klangwerk gründete. Unter diesem Label stellt er exklusive Lautsprecher her und betreibt in Zürich ein Fachgeschäft. Jeden Frühling organisiert er zudem das «Klangschloss», eine Audiomesse im Schloss Greifensee.
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