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Magerkur für die Musikanlage

Weil vollaktive Lautsprecher mit eingebauten DSP das Signal digital verarbeiten, liegt es auf der Hand, gleich ein Streaming-Modul einzubauen; fertig ist die komplette Hifi-Anlage und verschwunden sind externe Komponenten und Kabel. Bedient wird per Smartphone oder Tablet.

Was im Consumer-Hifi mit dem Erfolg von Marken wie Sonos begonnen hat, findet immer mehr auch im oberen Preissegment statt. Die traditionellen Lautsprecherhersteller taten sich lange schwer damit. Innovative Newcomer wie Kii Audio oder brandneu Syng Cell nutzen die Lücke. Mittlerweile haben aber auch grössere Hersteller solche Modelle entwickelt, bezeichnenderweise eher in den günstigeren Preisklassen, um die teuren Referenzprodukte nicht zu konkurrenzieren. Beispiele sind die Lautsprecher von Cabasse, Piega, Nubert, Canton oder Bowers&Wilkins.

Die Botschaft: Aktivtechnik ist für preiswertes High-End und hochintegrierte Anlagen eine tolle Lösung, aber für wirklich extravagante Musikanlagen sind nach wie vor klassische Komponentenanlagen mit Passivboxen das Mass der Dinge. Nur dort würden die besten Materialien verwendet und der grösste konstruktive Aufwand getrieben. Nur dort tummeln sich Entwickler-Legenden mit originellen Konzepten.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Zudem besteht der Vorteil der Langlebigkeit: Passive Lautsprecher gehen kaum kaputt. Baut man Elektronik ein, droht schneller ein Defekt. Ist Digitaltechnik oder gar Streaming drin, so mutiert die Musikanlage zum kleinen Computer mit unliebsamen Folgen von ständigen Updates, Fehleranfälligkeit und schneller Alterung. Es ist an den Herstellern zu beweisen, dass sie dies im Griff haben.

Aktivtechnik aus dem professionellen Bereich

In Tonstudios hat sich die Aktivtechnik schon länger durchgesetzt. Auch dort sind kompakte Lautsprecher willkommen, da man sie öfters herumtragen muss. Jedoch sind die Ansprüche an die Wiedergabequalität andere als zuhause. Ein Studiomonitor muss höhere Pegel anstandslos verkraften, betriebssicher sein und eine hohe Genauigkeit der Wiedergabe leisten. Als Werkzeug stehen Kosten/Nutzen und Robustheit im Vordergrund. Schönklang ist nicht das Thema, und trotzdem darf stundenlanges Musikhören nicht nerven. Die Optik ist schnörkellos, meist ein Quader, der auf einen hohen Ständer gestellt wird. Sex-Appeal geht anders.

Weil sowohl die Nahfeld- wie die grossen Hauptmonitore in den stark bedämpften Studios hohe Pegel liefern müssen, sind Verzerrungsarmut, Energiemanagement und damit der Wirkungsgrad wesentliche Kriterien. Dies favorisiert die effizienteren Bassreflexkonstruktionen. Deren schlechtere Impulsantwort verglichen mit geschlossenen Systemen wird durch die deutlich niedrigeren Verzerrungen wegen niedrigeren Auslenkungen der Chassis aufgewogen.

Mit einer aktiven Hochpassfilterung lassen sich die drohenden Auslenkungen im subsonischen Bereich unterhalb der Abstimmfrequenz des Reflexkanals eliminieren. Dies im Unterschied zu passiven Reflexkonstruktionen. Soll das Reflexsystem auch hohe Pegel bis in tiefste Lagen liefern, sind der Magerkur aber Grenzen gesetzt. Denn in unterdimensionierten Reflexkanälen drohen Strömungsgeräusche. Mehr Spielraum bieten passive Membranen.

Aktive Schweizer Studiomonitore von PSI Audio, die sich auch fürs Wohnzimmer eignen.Aktive Schweizer Studiomonitore von PSI Audio, die sich auch fürs Wohnzimmer eignen.

Auch bei Studiomonitoren haben sich Class-D-Endstufen und DSP als Frequenzweichen und zur Raumanpassung etabliert. Die digitale Frequenzweiche erlaubt eine flexible Filterung und die zeitrichtige Perfektionierung der Wiedergabe. Der Aufwand zum Ertrag ist hervorragend. Renommierte Firmen wie Genelec, PMC oder Adam-Audio sind auch bei HiFi-Hörern beliebt. Nicht von ungefähr orientieren sich innovative High-End-Newcomer wie die schon erwähnten Kii Audio oder Airplain Acoustics an diesem Ansatz, verfeinern ihn aber mit eigenen Konzepten.

Unter den Herstellern von Studiomonitoren gibt es auch Traditionalisten, die der Analogtechnik die Treue halten und mit analogen Aktivfiltern und Class-A/B-Endstufen arbeiten. Die Möglichkeiten der Signalbearbeitung sind eingeschränkter, aber ein analoges Eingangssignal muss nicht digitalisiert werden und die schnelllebigere Digitaltechnik bleibt draussen.

In renommierten Studios weltweit findet man etwa den englischen Hersteller ATC, der auch High-End-Angebote führt. Ebenfalls analoge aktive Studiomonitore baut PSI Audio seit dreissig Jahren in der Westschweiz, neu auch eine Standbox fürs Wohnzimmer. Auch analog gelingt eine saubere Impulsantwort durch die Kombination aus phasenlinearer Filterung mit spezieller Regeltechnik für sämtliche Membranen. Ich selbst darf seit zwanzig Jahren auf die Dienste von PSI Audio für die extravagante Aktivbox Ella zählen.

Die Aktivlautsprecher «Ella» von Klangwerk bilden mit der Classé Vorstufe das komplette AudiosystemDie Aktivlautsprecher «Ella» von Klangwerk bilden mit der Classé Vorstufe das komplette Audiosystem

Studiomonitore wirken nicht unbedingt mager, doch sind die meisten Monitore bezüglich ihrer Grösse ziemlich basspotent. Sie nutzen also auch Kniffs, um aus kleinen Gehäusen einen grossen Klang zu zaubern – wenn auch in einer anderen Grössenklasse. Kombiniert werden Monitore mit (Streaming-/DAC-) Vorverstärkern, was ebenfalls die Musikanlage schrumpfen lässt.

Es bleibt spannend zu beobachten, wie die traditionellen High-End-Hersteller mit diesem Trend umgehen bzw. welchen Nutzen sie aus der Aktivtechnik ziehen werden. Das gut moderierte und nerdige «Forum für aktives Hören» ist eine Fundgrube, um sich mit dem Thema weiterführend zu beschäftigen.

Markus Thomann Gastautor

Markus Thomann war als Architekt tätig, bevor er vor gut 25 Jahren seine Passion für Audiotechnik professionalisierte und die Firma Klangwerk gründete. Unter diesem Label stellt er exklusive Lautsprecher her und betreibt in Zürich ein Fachgeschäft. Jeden Frühling organisiert er zudem das «Klangschloss», eine Audiomesse im Schloss Greifensee.
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