Das Prinzip ist schon seit längerem bekannt und wird sowohl in der Armee als auch bei der Feuerwehr eingesetzt. Denn dort hängt das Überleben oft sowohl von der Kommunikation ab – und davon, dass man hört, was um einen vorgeht. Deshalb findet die Beschallung über den Schädelknochen statt, während die Gehörgänge offen bleiben.
Und dann kam mir unser Chorleiter in den Sinn, der, um die richtige Stimmlage zu finden, die Stimmgabel zückte, diese sanft anschlug und auf seinen Schädel setzte, um den Kammerton A440 zu hören. Auch in der Medizin werden (allerdings wesentlich komplexere) Stimmgabeln verwendet, um z. B. Hörproblemen auf die Spur zu kommen.
Und nun wird diese Technik eingesetzt, um Sportlern, Joggern oder auch Wanderern, die gerne mit Musik, Podcasts oder Hörbüchern unterwegs sind (und/oder telefonisch erreichbar sein möchten), mehr Sicherheit zu geben. So bleiben sie dank offener Gehörgänge mit der Umwelt verbunden.
Shokz OpenRun Pro
Die Firma Shokz (ehemals Aftershokz) gilt seit längerer Zeit als führend in der Entwicklung dieser Knochenschall-Kopfhörer für Sportler. Und da erst vor kurzem eine neue, (und wie ich las) stark verbesserte Version der OpenRun-Pro-Kopfhörer auf den Markt kam, bat ich den Schweizer Vertrieb um ein Testexemplar.
OpenRun Pro gibt es zwar in vier verschiedenen Farben, doch war momentan nur die Farbe Beige verfügbar. Zwischen den Farben gibt es keine Qualitäts- oder Ausstattungsunterschiede.
Angekommen
Stabil in einer schwarzen Kartonschachtel mit bunter Ummantelung verpackt, ist der Lieferumfang relativ gering: Die Kopfhörer sind in einem wertig wirkenden, schwarzen Schutzetui verpackt. Zudem befinden sich ein Spezial-Ladekabel und eine mehrsprachige, minimalistische Kurzanleitung sowie eine Garantiekarte unter dem Faltkarton. Was fehlt – und das scheint im Trend zu liegen – ist ein 5V-USB-Netzteil, wahrscheinlich in der korrekten Annahme, mindestens ein Exemplar sei ohnehin in jedem Haushalt vorhanden.
Normalerweise steht im Quick Guide, dass vor Gebrauch der Akku geladen werden muss. Da eine Vollladung jedoch nur eine Stunde dauern soll und ein Überlastungsschutz integriert sei, schliesse ich die Hörer mittels des magnetischen, sicher sitzenden Ladekabels und einem (in meinem Fundus vorhandenen) USB-Adapter ans Netz. Der Ladevorgang wird mit der kleinen roten LED bestätigt. Nach rund 50 Minuten wechselt die LED auf Blau, der Ladevorgang ist abgeschlossen.
Ein voller Akku soll für 10 Betriebsstunden reichen, was sich in meinem Test mehr als bewahrheitete. Wer nicht warten kann: Dank des Schnellladevorgangs reichen schon 5 Minuten für ein 50- bis 60-minütiges Training.
Da die mitgelieferten Informationen wie erwähnt knapp ausgefallen sind, hole ich mir auf der deutschen Shokz-Website die Bedienungsanleitung. Obgleich «Deutsch» im Link steht, ist es die englische Version. Die technischen Daten gibt es allerdings nur auf der Website, die ich mir (leider) erst später zu Gemüte führte.
Im Einsatz
Die Paarung via Bluetooth mit meinem iPhone funktioniert schnell und problemlos, indem ich den «Vol+»-Knopf so lange drücke, bis Audrey «pairing» sagt. Natürlich sollte das Bluetooth-Sendegerät ebenfalls zur Verbindung bereit sein.
Im ersten Moment bin ich überrascht, wie klar die Musik rüberkommt, auch wenn eine gewisse Wärme fehlt und der Bass etwas dünn ausfällt. Bei höheren Lautstärken hört man zwar nicht mehr Bass, verspürt jedoch im Kopf ein leichtes Kribbeln, etwa, wie wenn man die elektrische Zahnbürste benützt.
Doch nun also nichts wie nach draussen. Es ist gewöhnungsbedürftig, zugleich Musik, Hundegebell und Vogelgezwitscher zu hören. Doch dass ich den von hinten nahenden Traktor frühzeitig realisiere, ist schon beruhigend.
Wer sich zum Beispiel auf dem Fahrrad im Strassenverkehr bewegt, ist mit dem OpenRun Pro wesentlich sicherer unterwegs als mit Stöpseln im Ohr. Doch der Musikgenuss ist dadurch natürlich eingeschränkt. Konstanter Verkehrslärm kann die Musik überdecken.
Bedienung und Komfort
Die drei Tasten (zwei für ein/aus und Lautstärke sowie die Multifunktion) sind nach kurzer Eingewöhnungszeit schnell und sicher bedienbar. Anrufe können auf Knopfdruck angenommen (oder verworfen) werden, die integrierten, geräuschunterdrückenden Mikrofone funktionieren gut, wie mir ein Gesprächspartner versicherte – obwohl er auch ein paar Umweltgeräusche mitkriegte.
Der Tragekomfort ist erstaunlich gut, auch für Brillenträger. Ohne Ton vergisst man schnell, dass man die Kopfhörer immer noch trägt. Der Bügel hinter dem Kopf steht zwar etwas weit ab, doch merkt man dies nur, wenn man eine Kapuze überzieht oder eine seltsame Kopfbedeckung (z. B. eine Baseball Cap verkehrt herum) trägt. Bei Velohelmen stört der Bügel nicht. Möchte man allerdings ein Hörbuch auf dem Sofa geniessen und dabei immer noch erreichbar sein, kann der Bügel je nach Höhe der Rückenlehne in die Quere kommen.
Zusätzliche Ausstattung
Zum OpenRun Pro (und nur zum Modell Pro) gibt es auch eine App (Android / iOS), die allerdings ausser einem Firmware-Update nichts kann, was man nicht auch über die Tasten erledigen könnte: Der Equalizer hat zwei Presets, Musik («Standard») und Sprache («Vocal booster»). Der Unterschied ist jedoch gering. Im Sprachmodus werden tiefe Frequenzen etwas gedrosselt, die hohen leicht angehoben. Zusätzlich kann Multipoint, also die Verbindung zu zwei Geräten, aktiviert werden.
Etwas befremdend finde ich, dass man zwar die englische Ansage von Audrey umstellen kann, doch stehen als zusätzliche Sprachen nur Chinesisch, Koreanisch und Japanisch zur Verfügung – eine nicht eben europafreundliche Auswahl.
Da man ja, wenn man die Kopfhörer trägt, die kleinen LEDs nicht sieht, ist es gut, dass man beim Einschalten nicht nur begrüsst, sondern auch über den Status des Akkus und die aktivierte Verbindung informiert wird. Auch die akustische Ausschaltbestätigung «Power off» ergibt Sinn.
Die OpenRun Pro verfügen zudem über eine Feuchtigkeitswarnung: Die Kopfhörer sind zwar gegen Schweiss und Regen immun (jedoch nicht zum Schwimmen geeignet), doch sollte man den Akku nur im trockenen Zustand laden. Werden die Shokz allzu feucht mit dem Ladekabel verbunden, erklingt ein Warnton und die LED blinkt.
Zwischenfazit
Wann immer man trotz Musik- oder Podcastgenuss beim Sport nicht von der Umwelt abgeschirmt sein möchte, sind die OpenRun Pro von Shokz erste Wahl, auch wenn technische Daten wie 20–20’000 Hz falsche Vorstellungen wecken könnten. Knochenschall-Kopfhörer sind nun mal nicht in der Lage, gleichen Musikgenuss zu produzieren wie gute OverEar- oder InEar-Kopfhörer. Doch der Sicherheitsfaktor, dass man sich gehörmässig nicht vollständig von der Aussenwelt isoliert, finde ich enorm wichtig.
Eine weitere Anwendung wäre z. B. bei Garten- oder Hausarbeiten, wenn man das Handy an einem sicheren Ort ablegt, dabei aber (mit oder ohne Musik/Podcast) keinen Anruf verpassen möchte.
Kleine, aber nicht unerwartete Enttäuschung
Nach dem überraschend grossen Interesse an meinem «Oskar» Testbericht stellte ich mir die Shokz als ideale TV-Kopfhörer vor: leicht, ideal für ein verbessertes Sprachverständnis … und eben immer noch offen für Konversationen mit Mitmenschen.
Sowohl bei Videos auf dem iPhone als auch auf dem iMac waren kaum Tonverzögerung wahrnehmbar. Schliesslich kann man bei diesen Geräten nur «entweder/oder» wählen, die Latenz ist also nicht sicht- und hörbar. Versuche mit TV-Geräten waren angesagt, bei denen meine Erwartungen entsprechend hoch waren. Ohne den Originalton bewegte sich die Verzögerung beim neusten LG-TV in ähnlichem Rahmen. Doch sobald die Lautsprecher hinzugeschaltet wurden, war der Echoeffekt zu gross für einen wirklichen Fernsehgenuss, vergleichbar mit der Latenz beim Oskar. Dieselbe Erfahrung machte ich mit dem neusten Fernseher von Panasonic. Bei beiden Fernsehern ist ein gleichzeitiger Ton via Lautsprecher und Bluetooth möglich.
Um auch Fernseher ohne Bluetooth einbeziehen zu können, besorgte ich gleich zwei Modelle der «State-of-the-Art»-Bluetooth-Transmitter/Receiver der Firma Avantree, die mir freundlicherweise vom Schweizer Vertrieb zur Verfügung gestellt wurden. Und nun musste ich mit Bedauern feststellen, dass das Studium von «Technischen Daten» für solche Unterfangen eben wichtig gewesen wäre: Die OpenRun Pro sind zwar mit Bluetooth 5.1 ausgerüstet, verfügen jedoch nur über den SBC-Codec. Mit den hervorragenden Avantree-Transmittern, die mit den neusten Bluetooth-Codecs ausgerüstet sind, entstand eine gar unerträglichere Tonverzögerung.
Schlusspunkt
Die Zielgruppe der Shokz OpenRun Pro ist klar: Sportler jeglicher Couleur werden sowohl den Tragekomfort, den sauberen Klang und vor allem die erhöhte Sicherheit schätzen, die diese Bone-Conduct-Kopfhörer bieten. Auch die qualitativ ausgezeichnete Verarbeitung sowie die lange Akkulaufzeit von über 10 Stunden bei Vollladung sowie die einfache, durchdachte Handhabung sprechen für die Shokz-Hörer.
Unverständlich, dass nur der simple SBC-Codec implementiert wurde, der zwar für die Sportanwendungen (Musik/Podcasts) perfekt funktioniert, jedoch Anwendungen mit Bild einschränkt.
Und für vollen Musikgenuss in sicherer Umgebung eignen sich unsere Trommelfelle immer noch besser als unsere Schädelknochen.
avguide.ch meint
Nicht immer ist die digitale Technik der analogen überlegen. Aus «Gwunder» schloss ich uralte AKG-Funkkopfhörer (K 405 UHF, Sender zu Empfänger via justierbarer UHF-Frequenz) an den TV an. Resultat: Absolute Synchronizität; auch wenn man den Ton über die Lautsprecher ausgibt und nur eine Kopfhörermuschel benützt, entsteht nicht der geringste Echo-Effekt. Da alles analog geschieht, also keine aufwendigen Wandlungen notwendig sind, werden auch keine kostbaren Millisekunden vergeudet. Leider gab es damals noch keine Knochenschallkopfhörer …