Der 3020 sorgte bei seinem Erscheinen im Jahre 1978 in audiophilen Kreisen für grosse Unruhe. Zum ersten Mal war es gelungen, einen Verstärker zu einem Preis von 440.- Franken anzubieten, der sogar anspruchsvollste Musikhörer begeistern konnte.
Dieser kleine Verstärker lehrte damals weitaus teurere, ja sogar gigantischen Class-A-Boliden bei Klangvergleichen im Stile David gegen Goliath das Fürchten. Natürlich nicht an extrem schwierig zu betreibenden, stromfressenden Elektrostaten, sondern an hochwertigen dynamischen Lautsprechern mit ordentlichen Impedanzen.
Was lag also näher, als die Ur-Version des 3020 mit seinem brandneuen Nachfolger, dem NAD C315BEE mit einem sehr sympathischen Preis von 490 Franken, zu vergleichen?
Legende mit Klangtuning
Nicht nur heute, schon anno dazumal betätigte sich der Schweizer NAD-Importeur Dynavox mit dem Klangtuning. Auch dem zum Vergleich benutzten 3020 spendierten die Dynavox Klangtüftler damals für den Preis von rund 200.- Franken eine Verstärkung des Netzteiles.
Eines dieser Geräte war seit seinem Erscheinen ununterbrochen bei einem Musiker im Einsatz, und hat heute wohl hunderte von Beteriebsstunden klaglos absolviert.
Doch nun genug des Schwärmens für die Legende. Ob es der Nachfolger verdient, gelobt zu werden, zeigt unser Klangvergleich zur Ur-Verison, aber auch anderen, modernen Verstärkern.
Understatement mit Komfort
Wie es sich für ein NAD-Gerät gehört, präsentiert sich auch der C315BEE in schlichtem Understatement-Look. Hier glitzert und blendet nichts. Auch verblüffen keine gigantischen Drehknöpfe und überdimensionierte Kühlbleche.
Während die Fernsteuerung vor rund 30 Jahren bei audiophilen Geräten noch verpönt war, ist sie heute jedoch ein Muss. So lässt sich der Nachfolger der Legende auch vom Sessel aus über eine winzige Fernsteuerung bedienen.
Drei Dinge, eigentliche Spezialitäten der Legende, sucht man bei der neuen Version vergeblich: Auftrennung von Vor- und Endstufe, Phono-Eingang und Soft Clipping-Schalter.
Das Soft-Clipping kann man angesichts der hohen Dynamikreserven des Verstärkers gewiss verschmerzen. Auch dass die Vor - und Endstufen nicht mehr auftrennbar sind, ist wohl kaum ein Nachteil.
Dass der Phonoeingang fehlt, dürfte jedoch manchen Vinylfreund traurig machen. Doch für diese audiophilen Musiclovers scheint bei NAD immer noch die Sonne, denn mit der separaten Phonovorstufe PP2 steht für rund 150 Franken ein Phonoverstärker für MM und MC-Zellen der Topklasse zur Verfügung.
Dafür werden MP3-Freunde die frontseitig angebrachte 3,5mm-Klinkenbuchse für den Anschluss ihres Heiligtums begrüssen.
Power mit Drive
PowerDrive-S nennt NAD die Schaltung, mit welcher es möglich ist, mehr Leistung aus einem Konstrukt zu ziehen, als es eigentlich bei diesen kompakten Abmessungen möglich wäre.
Dabei distanziert man sich aber ganz klar von den Digitalverstärkern und bleibt dem analogen Konzept treu. Schon vor Jahren versuchten die NAD-Ingenieure mittels cleverer Schaltungstechnik den Grenzen der Physik ein Schnippchen zu schlagen.
Die PE-Schaltung (Power Envelope) schaltete bei Bedarf für kurze Zeit die Endstufe auf eine höhere Versorgungsspannung. Sie konnte dann bei Impulsen fast die doppelte Leistung zur Verfügung stellen. Aber auch diese Schaltung hatte so ihre Probleme und war nicht ganz billig zu realisieren.
Während die PE-Schaltung mit relativ teuren Thermistoren arbeitete, kommen im PowerDrive-S preisgünstigere Halogenlampen (longlife quartz halogen light bulbs) zum Einsatz.
Diese Halogenlampen haben im kalten Zustand einen sehr niedrigen elektrischen Widerstand. Steigt die Spannung, so erhöht sich der Widerstand bereits nach einigen hundert Millisekunden. Auch der C315BEE arbeitet mit zwei Versorgungsspannungen, sozusagen einer Normal- und einer Turbospannung.
Halogenlämpchen mit Schutzfunktion
Die Halogenlämpchen sind nur im Turbo-Betrieb bei Pegelspitzen aktiv und begrenzen die Leistung, wenns brenzlig wird. Kurzzeitig leisten die Endstufen pro Kanal 110 Watt an 8 Ohm, 190 Watt an 4 Ohm und an 2 Ohm sagenhafte 270 Watt.
Die Dauerleistung beträgt jedoch "nur" 40 Watt. Aber dieser Wert ist für Musik, die ja praktisch nur aus Impulsen besteht, nicht von grosser Bedeutung.
Die Betriebsdauer der Halogenlampen soll laut Hersteller im Extrembetrieb, bei einer punkto Leistung stark forcierten Benutzung des Verstärkers von drei Stunden täglich, bei mindestens 14 Jahren liegen. Wird das Gerät normal betrieben, halten die Lämpchen weitaus länger.
Steigen sie dann nach etlichen Jahren (ev. Jahrzehnten!) doch mal aus, so arbeitet der Verstärker ganz einfach ohne PowerDrive-S und leistet dann immer noch 40 Watt Dauer- und 60 Watt Impulsleistung an 8 Ohm.
So nach 15 oder 20 Jahren (!) lohnt es sich, nach den verkapselten Lämpchen zu sehen. Von der Seite durch die Lüftungsschlitze betrachtet (Gerät dazu bitte nicht öffnen!), erkennt man ein kurzzeitiges, zartes Leuchten bei Pegelspitzen, welches andeutet, dass die Lämpchen noch intakt sind.
Blick unter die Haube
Während der Oldie nach heutigen Gesichtspunkten nicht gerade schön sondern eher zweckmässig verarbeitet war, überzeugt der blitzsaubere Aufbau des Newcomers.
Ins Auge fallen der kräftige Ringkerntransformator, das motorgetriebene Lautstärke-Potentiometer und die beachtlich hohen Kapazitäten der Sieb-Elkos.
Die Halogenlämpchen für die Leistungskontrolle sitzen in der Netzteil-Sektion. Sie sind gekapselt, damit sie mit ihrem Geblinke den Hörer bei nächtlichen Hörsitzungen nicht stören können.
Gefertigt wird das Gerät - wie könnte es zu diesem Preis auch anders sein - ich China. Doch NAD betont, dass sie die Produktion peinlich genau überwachen.
Sound of the Legends
Im Klangvergleich boten beide Verstärker bei Mozarts Klavier Trios (Harmonia Mundi, Guarneri Trio Prag) ab SACD eine traumhaft schöne Ambiance, verbunden mit einer faszinierenden räumlichen Zeichnung sowohl des Klangkörpers als auch des Konzertsaales.
Der betagte 3020 wirkte in den Höhen keineswegs müde, jedoch eher zurückhaltend. Unter einen sehr transparenten Mitteltotbereich legte er ein stabiles, kraftstrotzendes Bassfundament. Der Newcomer hingegen wirkte weniger grundtönig, dafür ungemein spritzig. Die hohen Streicherlagen brachte er ganz klar feiner, obertonreicher und besser definiert. Und mit mozart-typischem Charme stellte er den Flügel schlank, elegant perlend und fast greifbar realistisch in den Abhörraum.
Diese exzellente Klangdefinition zeigte der C315BEE nicht nur bei Klassik, sondern auch bei perkussiven Instrumenten. So brachte er die feinen Beckenimpulse des berüchtigten Boxenkillers der High End Test Record Impression extrem aufgefächert und mit einem wahren Feuerwerk an Klangfarben.
Allerdings liess sich unser High-End-Fossil bei den Bassimpulsen sein hohes Alter nicht anmerken. Wie er die Bassdrum in den Raum stellte, war eine sehr beachtliche Leistung. Doch ab einem gewissen, sicher beachtlichen Pegel, machte dieser Verstärker dicht, aber aufgrund seiner genialen Soft-Clipping-Schaltung, ohne grässliche gehör- und lautsprecherschädigende Verzerrungen.
Feinzeichnung und Dynamik
Mit deutlich gesteigerter Dynamik und Pegeln, die über längere Zeit in einem normalen Wohnraum wohl kaum zu ertragen sind, konnte der Nachfolger aufwarten. Seine Bass-Drum-Kicks kamen zwar nicht unbedingt tiefer, dafür blitzschnell und knallhart.
Natürlich sind die Leistungsreserven auch eines C315BEE mal zu Ende. Für sehr dynamisches Hören in normalen Wohnräumen, sollte die Leistung jedoch bei weitem ausreichen.
Nach diesen knalligen Sounds, hatten sich die beiden Probanden an der Stimme von Rebecca Pidgeon die Zähne auszubeissen. Die hier zu hörenden Klangergebnisse bestätigten die schon zuvor gemachten Hörerfahrungen: Während der 3020 weniger differenziert, dafür voller und runder musizierte, konnte der C315 mit einer deutlich besseren Feinzeichnung und Dynamik aufwarten. Trotz augeprägterem Obertonbereich wirkte Rebeccas Stimme nie kehlig, kalt oder gar grell, sondern ausgesprochen schön, edel und glockenrein.
Weiter wurde der C315BEE auch mit andern top-modernen Verstärkern verglichen, wo er erneut seine Klasse beweisen konnte. Dabei zeigte sich auch, dass der C315BEE zu den äusserst natürlich klingenden Analogverstärkern gehört, die sich ganz klar von vielen Class-D Digitalverstärkern mit ihrem hochaufgelösten, aber metallisch-brillanten Klangbild unterscheiden.