TESTBERICHT
Neuer Kopfhörer im edlen Retrolook.Neuer Kopfhörer im edlen Retrolook.

Nur wenige audiophile Kopfhörerhersteller haben es in knapp 15 Jahren geschafft, sich einen vergleichbar makellosen Namen unter Liebhabern aufzubauen, wie die Firma Hifiman. Ebenfalls ehrfürchtig wird manch einer beim Anblick der Preise der Referenzprodukte dieser Firma. Neben Spitzenklang wird hier oft auch ein Spitzenpreis erzielt, wie bei dem HE-R10P, der zurzeit 5500 Franken kostet. Gute Neuigkeiten gibt es hier aber bei dessen kleinem Bruder, dem HE-R10D, der abgesehen vom Namens auch nahezu identisch aussieht, allerdings 4200 Franken günstiger ist. Ob der HE-R10D mit seinen 1300 Franken deswegen gleich ein Schnäppchen genannt werden kann, erfahren Sie in diesem Test.

Doch zuerst muss etwas zur geistigen Abstammung dieser Kopfhörer gesagt werden. Diese zollen nämlich mit ihrem Aussehen, ihren technischen Details und ihrem Namen deutlich den (damals) «besten Kopfhörern der Welt» ihren Tribut: den Sony MDR-R10, deren Patent gerade erst ausgelaufen ist. Die HE-R10D haben also beim Gehäuse und beim grossen, 50 mm dynamischen Treiber einen berühmten Vorfahren. Beim dynamischen Treiber aus seltener Erde kommt Hifimans hauseigene Topologie-Membran zu Einsatz, welche Verzerrungen vorbeugen und auch zu mehr klanglicher Finesse verhelfen soll.

Mit dem Preis durchaus gerechtfertigt: die umfangreiche Ausstattung des HE-R10D.Mit dem Preis durchaus gerechtfertigt: die umfangreiche Ausstattung des HE-R10D.

Zum Lieferumfang der HE-R10D gehört ein luxuriöser, verschliessbarer Koffer, der allerdings über keinerlei Tragevorrichtung verfügt. Broschüre und Garantiekarte dürfen natürlich nicht fehlen. Zu mehr Aufregung verhilft der Umstand, dass dem Gesamtpaket des R10D gleich drei Kabel mitgeliefert wurden: eines mit einem 3,5-mm-Klinkenstecker mit einer Länge von 1,5 Meter, einem 3 Meter 6,3-Klinkenstecker und einem 3-Meter-4-Pin-XLR-Kabel. Alle drei Kabel machen den Anschein, von guter Mittelklassenqualität zu sein. Selbstverständlich bietet Hifiman auch hochwertige, aber teure Upgrade-Kabel an mit verbesserten Klangeigenschaften. Wer den Kabeln generell abgeschwört hat, wird sich darüber freuen, dass in diversen Läden dem R10D ohne Aufpreis das Bluemini-Bluetooth-Modul beigelegt wird.

Hörtest und Fazit

Beim Hörtest hat mich der R10D gewaltig überrascht. Dieser bildet Gitarrenanschläge, Perkussion und Zimbeln mit einer luftigen Leichtigkeit ab, die ich nicht von einem geschlossenen dynamischen Kopfhörer vermutet hätte. Diese räumlichen Qualitäten liessen mich bei einem ersten uninformierten Test vermuten, dass es sich beim R10D um einen Magnetostaten kurz vor der 2000-Franken-Grenze handelt. Nachträglich lässt sich diese Täuschung mit den leicht schräg im Gehäuse verbauten Kopfhörertreibern erklären, die zum einen für die Räumlichkeit im Klang und zum anderen für die eigentümliche Ausbuchtung der Verschalung sorgen. Die Klangbühne ist angenehm weit für einen geschlossenen Kopfhörer. Ungefähr gleich gross fällt die räumliche Tiefe aus.

Der Frequenzgang: sehr linear mit einigen kleinen Einbrüchen.Der Frequenzgang: sehr linear mit einigen kleinen Einbrüchen.

Ebenfalls schön in seiner Qualität ist der Bass geraten, der keinesfalls zu präsent ausfällt. Hin und wieder vermisste ich allerdings eine gewisse Aggressivität und Intensität beim Anschlag von Pauken und Bass. Bei Titeln wie «Here comes the king» von Snoop Dogg hat sich dieser Eindruck bestätigt. Trotz dieser Kritik kann der Bass des R10D keinesfalls als Nebensache bezeichnet werden. Vielmehr verleiht dieser den Basssaiten-Anschlägen und Trommeln ein überaus angenehmes, warmes Timbre.

Zentral, aber doch dezent zurückhaltend, sind die Mitten gestaltet. Nahtlos fügen sie sich in das warme Fundament der Tiefen ein. Für Bassliebhaber ist der Einbruch des Frequenzganges um 2 kHz tragisch, den gerade hier entstehen die intensiven Anschlagsgeräusche von Saiten und Trommeln. Ebenfalls vom Geist der höflichen Zurückhaltung geprägt sind die Zischlaute um 5–6 kHz, welche deutlich hörbar gedämpft wurden. Diese Frequenzen werden oftmals als unangenehm scharf wahrgenommen.

Beinahe brillant gelungen sind die Höhen, welche der Luftigkeit des R10D eine klare, wenn nicht gar leicht prickelnde Krone aufsetzen. Gemäss dem Messdiagramm sind die Höhen bis über die Grenzen der Hörbarkeit erweitert.

Der HE-R10 hat sich als ein überraschend edel und ermüdungsfrei klingender Kopfhörer herausgestellt.Der HE-R10 hat sich als ein überraschend edel und ermüdungsfrei klingender Kopfhörer herausgestellt.

Fazit

Der Hifiman HE-R10D hat im Sony MDR-R10 eine noble geistige Abstammung. Vielleicht stellt sich deswegen der Eindruck ein, dass der Hifiman vielleicht allzu sehr zu gefallen versucht. Der Clou dabei ist, dass dies dem R10D aber auch gelingt. Ich habe viele Stunden intensiv zugehört und mich immer wieder bezaubern lassen von dieser wundervoll einlullenden Klangillusion.

Für machen Hörer mag der HE-R10D etwas zu zurückhaltend und zu wenig explosiv agieren, während andere die ausgewogen feinsinnige Klangbalance zu schätzen wissen: Er ist eher der Kopfhörer für feinsinnige Klangschwelger als für den puristischen Klanganalytiker. Notabene eignet er sich mit seinem hohen Wirkungsgrade von 103 dB und einer Impedanz von 32 Ohm besonders gut für portable Audioplayer und Smartphones mit einfachen DAC-Sticks.

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