Anpassungsfähig
Die EOS R lässt sich wie sonst keine andere Canon-Kamera beinahe komplett seinen Vorlieben anpassen und so optimal auf die eigene Arbeitsweise ausrichten. Die Tasten und Wahlrädchen sind mit vielen von der Standardeinstellung abweichenden Funktionen belegbar, getrennt nach Foto- oder Video-Einsatz.
Wem diese Anpassungen zu wenig weit gehen, kann auf den drei Speicherplätzen «Individual-Aufnahmemodus C1 – C3» auch die gesamte aktuelle Kameraeinstellung ablegen und bei Bedarf schnell darauf zugreifen. Und schliesslich lassen sich auf der Registerkarte «My Menu» Menüoptionen und Individualfunktionen für das ganz persönliche Menü zusammenstellen. Man kann sogar bestimmen, ob es als erstes erscheinen soll, sobald die Menü-Taste gedrückt wird.
Sehr gut hat Canon bei der EOS R das Problem der unterschiedlichen Einstellungen zwischen Fotografieren und Videofilmen gelöst. Bei manchen Einsätzen muss heute immer öfter kurzfristig zwischen den beiden umgeschaltet werden. Drückt man im Foto-Modus den separaten Videoauslöser, startet eine Videoaufnahme, entweder im Vollautomatikmodus, wenn man vorher damit fotografiert hat, oder in allen anderen Fällen mit den Movie-Voreinstellungen im Anwender-Menü C3.
Beendet man das Filmen, befindet man sich wieder im Foto-Modus und kann sofort mit den vorherigen Foto-Einstellungen weitermachen. Den eigentlichen Video-Modus erreicht man nach Drücken der Mode-Taste im Menü «Aufnahmemodus». Dort gelangt man per Info-Taste oder -Symbol an alle Filmeinstellungen und hat Zugriff auf die Menüs für die Videoaufnahme. Während des Filmens ist kein Fotografieren möglich. Schaltet man den Foto-Modus zurück, stehen einem wieder alle Foto-Einstellungen unverändert zur Verfügung.
Aufgefallen ist zudem, dass sich die Canon-Bedienungsphilosophie immer mehr an der Smartphone- und Tablet-Generation orientiert. So gibt es kein mechanisches Haupteinstellungsrad mit eingravierten Symbolen mehr. Der Aufnahmemodus wird über die «MODE»-Taste oder direkt per Touchscreen ausgewählt.
Neben den Canon-bekannten P-Tv-Av-M- und BULB-Modi gibt es auch einen Fv-Modus. Die Abkürzung steht für «Flexible Automatik» und erlaubt es, die Verschlusszeit, Blende und ISO-Empfindlichkeit manuell oder automatisch einzustellen und diese Einstellungen mit der gewünschten Belichtungskorrektur zu kombinieren. Zu Beginn etwas verwirrend, aber bald eine interessante Alternative zu den herkömmlichen P-Tv-Av-M-Modi.
Das Info-Panel auf der Kamera-Oberseite ist gut ablesbar und lässt sich invers darstellen. Es ist im Vergleich zur 5D IV jedoch etwas klein geraten. Alle Einstellungen darauf werden auch auf dem Bildschirm oder im Sucher angezeigt. Ich habe deshalb fast nie darauf geschaut.
Gleich oberhalb des Auslösers befindet sich eine sehr kleine Multifunktionstaste. Ich würde sie eher als Knopf bezeichnen. Dennoch lässt sie sich gut ertasten und man kann in Kombination mit dem hinteren Wahlrad beispielsweise ISO-Empfindlichkeit, Weissabgleich oder Blitzbelichtungskorrektur einstellen. Natürlich lässt sich auch diese Taste mit anderen Funktionen programmieren.
Belegt man den neuen Objektiveinstellring mit der Belichtungskorrektur, hat man zusammen mit Multifunktionstaste und Wahlrädern die wichtigsten Parameter wie Blende, Verschlusszeit und ISO-Wert immer im direkten Zugriff, ohne den Blick vom Sucher zu nehmen. Dasselbe gilt für die Bildwiedergabe, wenn man sich die Position der Play-Taste gemerkt hat. Dank elektronischem Sucher erhält man auch unter hellstem Umgebungslicht eine zuverlässige Kontrolle über die Bildschärfe.
Eine weitere und ebenso bequeme Bedienungsart läuft über die Schnelleinstellungstaste, kurz mit «Q» für «Quick» bezeichnet. Sie dient gleichzeitig als «SET»-Taste für Menübestätigungen. Nach Drücken von «Q» wählt und ändert man je nach Anzeige-Voreinstellung per Pfeiltasten und Wahlrädern die gewünschten Werte.
Gut gefallen hat auch die automatische Schutzvorrichtung für den Sensor. Sehr praxisbezogen macht der Verschlussvorhang dicht, sobald die Kamera zum Beispiel für einen Objektivwechsel ausgeschaltet wird. Dadurch fällt kein Schmutz und Staub auf den Bildsensor.
Weniger überzeugen konnte die Serienbildgeschwindigkeit der EOS R. Sie ist mit knappen 5 Bildern pro Sekunde und AF-Nachführung definitiv keine Sportskanone. Ohne Schärfenachführung sind es immerhin schnellere 7–8 Bilder pro Sekunde, die dank UHS-II-Standard sehr rasch auf der SD-Karte liegen.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist der fehlende zweite Speicherkartenplatz der EOS R. Für alle, die ihren Datenverlust durch Kartenfehler bereits hinter sich haben oder zwingend auf zwei Slots angewiesen sind, wie etwa sicherheitsliebende Event- und Hochzeitsfotografen, ist die Canon EOS R deshalb aus dem Rennen.
Der lautlose Aufnahme-Modus gefiel dagegen sehr und wäre auch für die vorhin erwähnte Zielgruppe ideal. Damit entfiele endlich das nervige Spiegelgeklappere bei der Ringübergabe in der Kirche. Die EOS R signalisiert mit einem weissen Rahmen ums Bild, dass auch tatsächlich fotografiert wurde, denn jetzt hört man ja nichts mehr!
Leider herrscht nur beim Einzelbild absolute Stille. Dort wo es besonders sinnvoll wäre, bei Serienbildern etwa, kann die Lautlos-Funktion nicht eingesetzt werden. Hier zeigen alle übrigen Mitbewerber, wie es funktioniert. Wieso nicht auch du, Canon?
Dies ist wieder ein typisches Beispiel dafür, wie Canon gute Ideen zwar umsetzt, aber leider nicht zu Ende denkt. Mögen es technische oder finanzielle Gründe gewesen sein, es erinnert mich irgendwie an einen Schritt vor und zwei zurück.
Objektiv betrachtet
In London konnte ich mich bereits von den Fähigkeiten der EOS R bei wenig bis wirklich sehr wenig Licht überzeugen. Hier trumpfte vor allem das lichtstarke 50-mm-f/1.2-RF-Objektiv auf. Bereits bei Offenblende ist es erstaunlich scharf, wenn man damit sehr sorgfältig fokussiert hat, denn der Schärfebereich ist durch Vollformat und bei Blende f/1.2 sehr, sehr klein. Hinzu kommt, dass es keinen eingebauten Bildstabilisator besitzt und dabei trotzdem erstaunlich scharfe Bilder entstehen. Gut, eine ruhige Hand und etwas Atemtechnik oder eine aktive Mitgliedschaft in einem Schiessverein sind dafür immer noch nötig.
In der Schweiz stellte mir Canon eine EOS R mit dem Kit-Objektiv RF 24–105 mm f/4 L IS USM zur Verfügung. Es besitzt einen eingebauten Bildstabilisator, ist wettergeschützt und fokussiert sehr schnell und leise. Durch den zusätzlichen Steuerring lassen sich Blenden-, Verschluss- oder ISO-Werte sehr schnell und direkt anpassen. Trotz relativ hoher Anfangsblende von f/4.0 zeigt diese Zoom-Optik eine sehr gute Abbildungsleistung und ist schon bei Offenblende erstaunlich scharf. In extremer Weitwinkelstellung sind jedoch auch bei stärkerer Abblendung Vignettierungen sichtbar.
Dieses Objektiv verblüffte auch in London unter den schwierigen Lichtverhältnissen. Bei der Künstlerin im rot-weiss-schwarzen Oberteil (siehe Bild in der Fotostrecke) liegt der Fokus perfekt auf dem Gesicht. Einzelne Härchen wie auch die blonden Zöpfchen werden knackscharf abgebildet. Rundherum herrscht sattes Schwarz, Hautton und übrige Farben kommen natürlich daher. Ein Bildrauschen ist kaum wahrnehmbar, und dies bei einem ISO-Wert von 12'800!
Die Qualität der RAW-Bilder der EOS R ist mit denen einer EOS 5D Mark IV vergleichbar, was nicht weiter erstaunt, da ja ein sehr ähnlicher Sensor verwendet wird. Bei den JPEG-Aufnahmen im Standard-Profil schärft die EOS R etwas mehr nach und einige Farben wirken kräftiger als bei der 5D IV. Dies kann auch auf die neuen RF-Objektive zurückzuführen sein. Sonst zeigen die Fotos den für mich angenehmen Canon-Look mit neutralen Farben, hohem Kontrastumfang und guter Detailschärfe.
Farbstörungen an Rändern, die chromatischen Aberrationen, sind auch bei extremen Kontrasten kein Thema und werden perfekt herausgerechnet. Das Bildrauschen hält sich selbst bei höheren Werten in Grenzen, Aufnahmen sind je nach Motiv auch mit ISO 12'800 noch brauchbar. Wer in RAW aufnimmt, hat wie immer noch mehr Spielraum bei einer späteren Bildoptimierung.
Wer bei den RAW-Aufnahmen Speicherplatz sparen möchte, darf in «CRAW» fotografieren. Dieses «Compact RAW»-Format liefert RAW-Bilder mit kleinerer Dateigrösse und soll laut Canon keine sichtbaren Qualitätseinbussen bringen.
Die 30 Megapixel grossen JPEG-Aufnahmen (6720 x 4480 Pixel) in der Fotostrecke sind wie immer nur aufs Web-Format verkleinert worden und stammen sonst unbearbeitet direkt aus der Kamera.