Wes Montgomery gilt unbestritten als einer der wichtigsten Gitarristen des Jazz, hat er doch in den 50er- und 60er-Jahren die Rolle der Gitarre als Soloinstrument neu definiert und somit die nächste Gitarristen-Generation von George Benson über Pat Metheny und Russel Malone bis hin zu Graham Dechter beeinflusst. Nicht nur seine Oktaven-Soli und erweiterten Akkorde, sondern auch seine Spielweise – ohne Plektrum, mit dem Daumen – wurden von vielen jüngeren Musikern übernommen.
Doch wer war Wes Montgomery, der vor 100 Jahren in Indianapolis das Licht der Welt erblickte?
Wes Montgomery
Um genau zu sein: John Leslie Montgomery wurde am 6. März 1923 in Indianapolis (Indiana) geboren. Sein Kurzname «Wes» soll eine kindliche Abkürzung seines Mittelnamens Leslie gewesen sein. Sein zwei Jahre älterer Bruder Monk (eigentlich William Howard) lernte erst als er 30 Jahre alt war, Bass zu spielen. Er entdeckte die damals neuen und revolutionären Fender-E-Bass-Modelle und wurde zu einem der einflussreichsten E-Bassisten der 50er- und 60er-Jahre. Wes hatte auch einen jüngeren Bruder, Buddy (eigentlich Charles), der zuerst Klavier und später ausschliesslich Vibrafon spielte.
Als sich die Eltern trennten, zogen Wes und seine Brüder mit dem Vater nach Columbus (Ohio). Zu seinem zwölften Geburtstag erhielt Wes von Monk eine gebrauchte, viersaitige Tenorgitarre geschenkt. Er übte zwar fleissig damit, betrachtete Musik jedoch nur als nettes Hobby. Er kehrte mit seinen Brüdern nach Indianapolis zurück, fand als 19-Jähriger eine Stelle als Schweisser und heiratete.
In einem Tanzlokal, das er mit seiner Frau besuchte, hörte er zum ersten Mal eine Platte von Charlie Christian. Da wusste er, dass er eine richtige, sechssaitige Gitarre benötigte, was jedoch einen radikalen Neuanfang bedeutete. Eigentlich hatte er immer noch nicht die Absicht, Musiker zu werden. Doch nach der Anschaffung dieser (teuren) Gitarre übte er in jeder freien Minute, versuchte Charlie Christian nachzueifern und brachte sich auf diese Weise das Gitarrenspiel bei. Er erhielt nie Unterricht in irgendeiner Form und konnte auch nicht Noten lesen.
Schon ein Jahr später spielte er nachts in Clubs (Charlie Christians Soli nachspielend) und arbeitete nun tagsüber in einer Molkerei.
1948 war Lionel Hampton in Indianapolis, hörte Wes, der wie Charlie Christian spielte, und engagierte ihn gleich. Montgomery tourte zwei Jahre mit Hampton, kehrte dann – zwar reicher an Erfahrungen, jedoch müde und irgendwie entmutigt – nach Indianapolis zu seiner Familie zurück.
Es folgten weitere Jahre, in denen er ab und zu spielte, vor allem mit seinen Brüdern, die, nun in Kalifornien niedergelassen, einen Schallplattenvertrag mit Pacific Jazz abschliessen konnten und unter dem Namen «The Mastersounds» ein paar LPs produzierten.
Für Wes Montgomery war die Familie wichtiger als alles andere. Er und seine Frau hatten mittlerweile sieben Kinder. Wes arbeitete wieder als Schweisser, spielte jedoch nachts in einer kleinen Formation im lokalen Jazzclub. Dort hörte ihn Cannonball Adderley und war dermassen begeistert, dass er Orrin Keepnews überzeugte, Wes für Riverside Records unter Vertrag zu nehmen. Und nach rund 20 Jahren als Musiker konnte Wes Montgomery seine erste LP unter eigenem Namen aufnehmen: «A Dynamic New Sound, the Wes Montgomery Trio».
Keepnews war überzeugt, dass Montgomery mit besseren Begleitmusikern zu mehr fähig war. 1960 organisierte er Tommy Flanagan, Percy Heath, und Albert Heath für eine Studio-Session mit Wes. So entstand das mittlerweile legendäre Album «The Incredible Jazz Guitar Of Wes Montgomery».
Von nun an lief es rund in Wes Montgomerys Musikkarriere. Drei Jahre nach seinem Grosserfolg, vielen Auftritten sowie Live- und Studioaufnahmen mit weiteren Jazzgrössen unterschrieb Wes einen Vertrag mit Verve Records. Sein Produzent wurde nun Creed Taylor, der 1964 mit «Moving Wes» Montgomery zum erfolgreichen Crossover-Musiker machte: Das Album wurde 100'000-fach verkauft. Doch auch der Jazz kam nicht zu kurz: 1965 entstanden drei Live-Alben mit dem Wynton Kelly Trio (alle sehr zu empfehlen), 1966 zwei mit Jimmy Smith. Doch die riesigen (Verkaufs-)Erfolge waren LPs wie «California Dreaming» und «Going Out of My Head».
Zwischen all den musikalischen Verpflichtungen kehrte Wes regelmässig zu seiner Familie zurück. Die Hektik des Erfolgs forderte jedoch ihren Zoll: Am 15. Juni 1968 starb Wes Montgomery zu Hause an einem Herzinfarkt 45-jährig.
«The Incredible Jazz Guitar Of Wes Montgomery»
Es heisst, dass Wes Montgomery eher ängstlich zu diesem Gig ins Studio kam, da er ja nicht Noten lesen konnte und bis anhin noch nie ein solch illustres Trio zu seiner Begleitung hatte. Doch sei die Nervosität nach wenigen Takten verflogen.
Schon das rasante Eröffnungsstück «Airegin» (eine Sonny-Rollins-Komposition) klingt völlig entspannt. Im «D-Natural Blues», der ersten der vier Montgomery-Kompositionen, offenbart Wes’ Solo die gesamte Palette seines persönlichen Stils und seiner improvisatorischen Fantasie.
Ob Balladen wie die Standards «Polka Dots and Moonbeams» oder «In Your Own Sweet Way», Uptempo-Stücke, eine Latin-beeinflusste Komposition wie «Mr Walker» oder Montgomerys Signature Song «West Coast Blues» im 3/4-Takt: Wes spielt alles mit einer bewundernswerten Leichtigkeit, Gewandtheit und erfrischenden Musikalität.
Die insgesamt acht Stücke zeigen auch auf, wie wohl sich Tommy Flanagan und die Heath-Brüder auf diesen Aufnahmen fühlten, wie rasch man zueinander fand.
Die Arrangements halten sich in Grenzen, sind eigentlich nur auf die Melodie am Anfang und am Ende beschränkt. Doch das ist gut so, lässt es doch genügend Freiraum für ausführliche Improvisation aller Musiker – und vor allem für Wes, der diesen Raum voll nutzt.
Fazit
Auch wenn die Crossover-Produktionen von Creed Taylor die eigentlichen kommerziellen Erfolge für Wes Montgomery bedeuteten, ist das vorliegende Album aus meiner Sicht das «echteste», jazzigste und – zusammen mit den «Smokin’ at …»-Live-Aufnahmen mit dem Wynton Kelly Trio – das beste Beispiel für die aussergewöhnliche und innovative Art von Wes Montgomerys Gitarrenspiel.
Wenn die Musik dermassen hochkarätig ist, werden Diskussionen über «klangliche Transparenz» und «fehlende Räumlichkeit» hinfällig. Kurz: ein Album, das in keiner seriösen Jazzsammlung fehlen darf.