MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
18. März 2024
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Maurice Ravels (1875–1937) «Le Tombeau de Couperin» (Couperins Grabmal), ursprünglich für Klavier komponiert und hier in der viersätzigen Orchesterfassung von 1919 eingespielt, ist eine Reminiszenz an François Couperin. Die Suite greift barocke Themen, teilweise Tanzformen, auf. Jeder der Sätze ist einem von Ravels im 1. Weltkrieg gefallenen Kriegskameraden gewidmet. Ravel, Berkeley und Pounds stehen in einer Mentor-Newcomer-Beziehung zueinander. So entsteht ein Bogen über 300 Jahre Kompositionstechnik. Das alles wird unter dem Begriff Klassik eingeordnet. Falsch, richtig oder einfach nur verwirrend?

Unter Klassik versteht man in der engeren Auffassung die Epoche zwischen ca. 1730 bis 1830. Dies assoziiert folglich mit Haydn, Mozart oder Beethoven. Weiter gefasst versteht man unter Klassik eher komplex komponierte, notierte Musik, geschaffen von einem Komponisten und gespielt von Ensemblemusikern. Gespielt wird primär mit dem akustischen Instrumentarium früherer Epochen. Klassische Kompositionen erstrecken sich über viele unterschiedliche Werkgattungen: rein instrumentale Orchester- oder Kammermusik, aber auch Gesangskompositionen von der grossen Oper bis hin zur einfachen Liedform. Im Gegensatz dazu bedient sich die populäre Musik einzig der Werkgattung Lied; Interpret und Songwriter sind mehrheitlich identisch.

Klangaura

Dies alles sagt aber nichts über den Stil aus, über die effektiv angewandte Kompositionstechnik und die Wahrnehmung (Anmutung/Empfinden) durch den Hörer. In allen Musikepochen und Genres variieren die Kernelemente der Musik – Harmonik, Rhythmik, Tonalität, Tempo und Dynamik – erheblich. Bis hin zur Atonalität, bei der keine Grundtonart (die Basis für die harmonische Abfolge) mehr besteht.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lösten sich die Komponisten vermehrt von den kompositorischen Regeln der Klassik-Epoche. Klangeindrücke und Stimmungen traten in den Vordergrund (Impressionismus), Form und Struktur in den Hintergrund. Ungewohnte Harmonien, Intervalle, die früher als Regelverletzung und entgegen dem guten Geschmack galten, finden nun Anwendung, erzeugen neue Klangwahrnehmungen. Dies führt im Extremfall zur völligen Abkehr von jeglicher Konvention, ja sogar das Einbinden von Geräuschen kann Teil einer Klangaura sein.

Kompositionen dieser Art finden denn auch kaum Hörer. In Konzerten werden sie selten bis nie gespielt. Teilweise grenzen solch experimentelle Kompositionen an auralen Masochismus. So hat denn auch kontemporäre Klassik bei vielen Musikfreunden einen eher abschreckenden Charakter. Sich darauf einzulassen erfordert Offenheit und auch eine Portion Durchhaltewillen, um sich an Neues zu gewöhnen.

Die vorliegende Aufnahme mit dem Divertimento von Lennox Berkeley und der Symphonie von Adam Pounds gehören nicht in die extreme Kategorie der modernen Klassik. Es sind Kompositionen, die auf Gewohntem aufbauen und daraus neue Klangformen entwickeln. Ravels Suite verbindet barocke Strukturen mit impressionistischen Klangvorstellungen.

Maurice Ravel « Le Tombeau de Couperin » (1919)

Ravels Suite ist in der Orchesterfassung eine faszinierende Verschmelzung von Stilmitteln aus zwei rund zweihundert Jahre auseinanderliegenden Epochen. Der zweite, mit «Forlane» bezeichnete Satz bedient sich der Harmonien des 20. Jahrhunderts, bei Melodik und Rhythmus dominiert das Barockzeitalter. Forlane oder Forlana ist ein beschwingter italienischer Volkstanz, der im 18. Jahrhundert populär war. Ravel setzt die Unbeschwertheit mit einem abwechslungsreichen Orchestersatz überzeugend in Szene.

Das nachfolgende Menuett erzeugt mit seiner melancholischen Stimmung und Wehmut einen tiefgründigen Kontrast. Der Schlusssatz ist dann wieder ein fröhlicher Kehraus in klassischer Tradition, bei Ravel hier in Form eines lebhaften und schnellen Paartanzes, dem Riguadon. Dennoch klingen im Mittelteil des Satzes wieder ruhigere, nachdenkliche Töne an, geprägt von faszinierenden Harmonien.

Maurice Ravel.Maurice Ravel.

Lennox Berkeley Divertimento Op.18 (1943)

Unter Divertimento verstand man im 18. Jahrhundert eine leichtere Komposition zur Unterhaltung, die man so nebenher genoss. Mozart hob die Gattung später in die höhere Sphäre anspruchsvoller Musik (Divertimento KV 563). Die Gattung kam zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus der Mode und tauchte erst etwa 100 Jahre später wieder auf. Bernstein und Bartok griffen auf diese Gattung zurück. Und 1943 auch Lennox Berkeley (1903 in Oxford, 1989 in London), der das hier aufgenommenen Divertimento als Auftragskomposition für das BBC Symphony Orchestra schrieb.

Das viersätzige, Nadia Boulanger gewidmete Werk ist eine formlose Reihung von Tanzsätzen. Die Komposition fällt durch sparsame Orchestrierung auf, geprägt von kreativen Dialogen zwischen Streichern und Bläsern, dies besonders im dritten Satz. Das Nocturne (2. Satz) gibt dem sonst eher leichten Werk einen tiefgründigen Gehalt.

Lennox Berkeley 1943.Lennox Berkeley 1943.

Die Kaskade

Berkeleys Ansinnen, von Ravel unterrichtet zu werden, lehnte dieser ab, da er Berkeley zu einem Zeitpunkt kennenlernte, als Ravel bereits dem Ende der eigenen Laufbahn entgegensah. Berkeley konnte trotzdem von der Bekanntschaft mit dem Meister des französischen Impressionismus profitieren und hatte so auch Zugang zu Pariser Künstlerkreisen. Diese französische Prägung hielt lebenslang. Adam Pounds (*1954, London) wiederum nahm in den späten 1970er-Jahren Privatunterricht bei Berkeley.

Adam Pounds – Symphonie Nr. 3 (2021)

Pounds dritte Symphonie entstand im Zeitfenster der globalen Covid-Pandemie – mit dem erzwungenen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben in die Kleinräumigkeit des engsten Umfeldes. Die daraus resultierenden Emotionen beschreibt Pound als «Traurigkeit, Humor, Entschlossenheit und Auflehnung».

Die Symphonie hat die klassischen vier Sätze (I. Largo – Poco piu mosso, II. Tempo die Waltz, III. Elegy, IV. Allegro moderato – Largo – A Tempo I). Der langsamen, aber durchaus dynamischen Einleitung folgte das rhythmisch prägnante Hauptmotiv mit ungewohnten, aber prickelnden Harmonien. Nach einer kurzen Überleitung setzt das zweite, ruhige und sinnliche, an Sibelius erinnernde Thema Akzente. Subtile Stimmungen. Unvermittelt dann die Rückkehr zum Hauptthema.

Im ersten Teil des zweiten Satzes «Tempo die Waltz» dominiert der ¾-Takt mit der für Walzer typischen klaren Betonung der ersten Note. Im Mittelteil verliert sich dann diese Prägnanz und geht in eine eher düstere, bedrohliche Stimmung über, die dann leise abebbt und mit einer Solovioline und Querflöte leise ausklingt, um dann erneut mit Wucht das Walzerthema aufzunehmen.

Die beiden letzten Sätze bringen den Gegensatz zwischen einer ruhigen, getragenen Stimmung, typisch für einen langsamen Satz, mit der Beschwingtheit und dem Tempo eines Schlusssatzes — von der Struktur her also das klassische Modell. Modern aber ist die Tonalität mit den steten Stimmungswechseln und Tempovariationen, was sich deutlich im Largo-Teil des Schlusssatzes zeigt.

Adam Pounds.Adam Pounds.
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