MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
28. Oktober 2020
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Was gibt es Grossartigeres als eine Orgel, die mit ihrem vollen Pfeifen-Werk losbraust? Konkurrieren könnte da höchstens noch ein Sinfonieorchester in voller Besetzung mit mindestens acht Kontrabässen.

Käme nun ein Komponist auf die Idee, Orgel und Sinfonieorchester vereint zur Höchstform aufspielen zu lassen, könnte ein Klangspektakel der Sonderklasse entstehen. Kein geringerer als Camille Saint-Saëns kombinierte – auf der Höhe seines Schaffens – Orgel und Sinfonieorchester in seiner «Sinfonie No. 3», auch Orgelsinfonie genannt.

Als er sie 1886 fertigstellte, meinte er zu seinem neusten Werk: «Hier habe ich alles gegeben, was ich geben konnte ... so etwas wie dieses Werk werde ich nie wieder schreiben.»

Spektakuläre Klänge in der High-End-Geschichte

Die Helzberg Hall in Kansas City ist eine riesige Konzerthalle. Sie ist der Heimathafen des Kansas City Symphony Orchestra.Die Helzberg Hall in Kansas City ist eine riesige Konzerthalle. Sie ist der Heimathafen des Kansas City Symphony Orchestra.

Doch spektakuläre Klänge sind in der Geschichte von HiFi und High-End nichts Neues. Man denke da an die Ouvertüre Solennelle 1812 von Tschaikowsky, in welcher ein grosses Sinfonieorchester von (echtem!) Kanonendonner brutal übertönt wird. Doch hat Kanonendonner nicht viel mit HiFi zu tun. Es bereitete mir damals auch gar keine Freude zu sehen, wie Pickups aus den Rillen sprangen und sich Schwingspulen unter Abgabe von Rauchzeichen in die ewigen Jagdgründe verabschiedeten.

Nein, da ist diese Orgelsinfonie ein ganz anderes Werk aus der Zeit der Romantik. Sie ist leicht zu verstehen und betört mit zauberhaften Melodien und hochromantischen Akkordfolgen.

Zwar gibt es von dieser Sinfonie bereits dutzende Aufnahmen, aber nur wenige in HiRes und nur ganz wenige, die von echt audiophilen Labeln aufgenommen wurden. An der Spitze steht da meiner Meinung nach die aus dem Jahr 2015 stammende Aufnahme von Reference Recordings. Als Tonmeister zeichnet sich der Reference-Recordings-Grossmeister Keith O. Johnson himself verantwortlich.

Bei Qobuz gibts die Aufnahme in sagenhaften 24 Bit / 176,4 kHz, im CD-Format mit 16 Bit / 44,1 kHz. Bei Reference Recordings selbst stehen dann diverse Formate zur Verfügung, zum Beispiel in HDCD-Compact Disc: einer CD mit aufgepfropftem HiRes-Anteil (siehe Artikel in avguide.ch «Audio-Disc-Nostalgie», Hybrid SACD mit 5.1, HRX, Mastercut LP in 45 Touren, und div. Formate wie 44,1 kHz / 16 Bit FLAC bis 176,4 kHz / 24 Bit WAV.

In meinem Falle organisierte ich mir von Qobuz die Version 176,4 kHz / 24 Bit. Zudem konnte ich mir von jpc die letzte am Lager befindliche Hybrid-SACD erstehen. Dies als die einzige Möglichkeit, diese Aufnahme auch in 5.1 anzuhören. Denn Streaming in 5.1 gibt es für diese Aufnahme (noch) nicht.

Als Abhörmöglichkeiten in meinem eher kleinen Abhörraum stehen vorübergehend folgende Geräte zur Verfügung: Sony IER-Z1R, Kef Stereo Q350 Kompaktlautsprecher, Forte-Audio-Vintage-Verstärker, Kef 2001.3 Kompakt-5.1-Anlage.

HiRes-Spektakel in Stereo

Absolut faszinierend, mit welcher Räumlichkeit und Klangschönheit bereits die ersten paar Takte mit feinen Bläsern über die Kompaktboxen in meinem eher kleinen Abhörraum erscheinen. Diese Atmosphäre packt einen und vermittelt einen guten Teil von Konzertsaal-Stimmung. Und von der Klangdefinition der Streicher darf man schwärmen. Hier glaubt man das Schwingen der Saiten nicht nur zu hören, sondern fast sehen zu können – wie es eben nur echte HiRes-Aufnahmen bieten können. Wie Keith O. Johnson einen brillanten, aber auch im Fortissimo nie grellen Klang hinzaubert, ist grossartig.

Und der Dirigent Michael Stern leitet das Kansas City Symphony Orchestra mit Bravour. Die Organistin Jan Kraybill versteht es, ihr Instrument nahtlos in den Orchesterklang zu integrieren.

Doch wo bleiben die abgrundtiefen Bässe der Orgel, die im zweiten Satz ihren ersten Auftritt zelebriert? Da haben die Kompaktboxen ganz klar ihre Grenzen erreicht. So kommt der sowieso im Abhörraum herumstehende aktive Subwoofer Piega PS 1 zum Einsatz. Nun wird dieser so eingepegelt, dass sich absolut keine Verstärkung des Midbasses ergibt, sondern nur die echten Tiefstbässe phasentreu hinzugefügt werden. Nun endlich geht auch im Frequenzkeller der Vorhang auf und das Zwerchfell wird angenehm durchvibriert.

Die Dynamik wurde von Keith O. Johnson gekonnt wohnraumgerecht limitiert, so dass Pianissimo-Passagen gut hörbar werden und der Volumenregler im Fortissimo nicht panikartig zurückgedreht werden muss. Im vierten Satz, wenn sich Orgel und Orchester vom grandiosen Finale vereinen, ist ein bemerkenswertes Klangspektakel der Superlative zu hören. Doch setzt mein kleiner Abhörraum dem Vergnügen Grenzen. Aus Erfahrung kann ich mir jedoch gut vorstellen, wie diese exzellente Aufnahme in einem grossen Raum über eine entsprechend leistungsfähige High-End-Anlage klingen würde. Doch auch unter den gegebenen Umständen ist es sensationell, was meine kompakte Anlage samt Subwoofer leistet. Zum Glück sind die Nachbarn gerade abwesend ...

Nun bin ich gespannt, wie die Aufnahme über die IEM (In Ear Monitore) Sony IER-Z1R klingen werden. Hier gehts in Sachen Klarheit und Feinzeichnung nochmals eine Ebene höher. Wo bei lauten Stellen halt doch Resonanzen des Abhörraums und der Boxen zu hören waren, herrscht jetzt absolute Klarheit. Die Aufnahme ist absolut phänomenal, wenngleich sich nun die riesige Klangbühne im Kopf (!) befindet, wie das leider bei praktisch allen Kopfhörern ohne spezielle Massnahmen der Fall ist.

Gekonnter Surround-Sound

Die einzige Möglichkeit, diese Aufnahme in 5.1 zu hören, bietet momentan noch diese Hybrid-SACD. Sie enthält einen HiRes-Layer in 5.1, einen HiRes-Layer in Stereo und einen CD-Layer mit HDCD-Ergänzung.Die einzige Möglichkeit, diese Aufnahme in 5.1 zu hören, bietet momentan noch diese Hybrid-SACD. Sie enthält einen HiRes-Layer in 5.1, einen HiRes-Layer in Stereo und einen CD-Layer mit HDCD-Ergänzung.

Nun wird die gute alte und weltweit so erfolglose Hybrid-SACD in den Denon-Universalplayer geschoben sowie der AV-Receiver samt Surroundsystem angeworfen.

Der kleine Abhörraum erscheint nun riesengross! Ja das tut dann schon fast weh, wie nahe der Raumeindruck bei der echten Realität steht (aber leider halt doch nicht ganz ...!).

Das Surround-Konzept, das Johnson anwendet, finde ich genau richtig. Hier werden die Instrumentengruppen nicht wie am Anfang der 5. 1-Technik um den Zuhörer herum gruppiert, so dass dieser glaubt, mitten im Orchester zu sitzen. Diese Platzierung irritiert den Hörer und ist auch nicht praxisgerecht. Nein, hier sitzt man mitten im Konzertsaal, und zwar an einem der besten Plätze. Von den hinteren beiden Kanälen kommen ausschliesslich Rauminformationen wie Schallrückwürfe, welche Informationen über die Raumgrösse liefern.

Wie hier die Orgel samt Orchester in den kleinen Abhörraum gestellt werden, ist sensationell! Wer das gehört hat, muss es doch sehr bedauern, dass sowohl die Quadrofonie in den 70er-Jahren als auch die 5.1-Technik nicht den Erfolg hatten, den sie eigentlich verdient hätten. So oute ich mich nicht nur als Cineast und Freund der klassischen Muse, sondern voll und ganz auch als Surround-Sound-Fan. Dies natürlich nur dann, wenns richtig gemacht wird ...

Fazit

Verwoben in einer romantischen Sinfonie, komponiert von keinem geringeren als Camille Saint-Saëns auf dem Höhepunkt seines Schaffens, interpretiert von hervorragenden Musikern und aufgenommen von Reference-Recordings-Altmeister Keith O. Johnson: Die Kombination aus Orgel und Sinfonieorchester ergeben sowohl in Stereo als auch in 5.1 ein HiRes-Klangspektakel auf einem sehr hohen Niveau, das fast die Grenzen einer heute bestmöglichen Tonkonserve sprengen kann.

STECKBRIEF
Interpret:
Kansas City Symphony
Besetzung:
Orgel und Orchester
Albumtitel:
«Saint-Saëns Symphony No.3 Organ»
Komponist:
Saint-Saëns
Herkunft:
USA
Label:
Reference Recordings
Erscheinungsdatum:
2015
Tonformat:
176,4 kHz / 24 Bit – Hybrid-SACD
Medium:
div.
Musikwertung:
10
Klangwertung:
10
Bezugsquellen