MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
12. Januar 2020
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Warum denn in die Ferne schweifen … Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bis anhin noch keine Jazz-CD eines Schweizer Musikers vorgestellt habe. Und wieder einmal war ich per Zufall auf ein Album gestossen, das mich in mehrerer Hinsicht interessierte: Einerseits war es auf dem renommierten Schweizer Label Claves erschienen, anderseits stammten alle Kompositionen von Michel Legrand, die mich eh allesamt faszinieren (mein Lieblings-Filmmusical ist «Les Demoiselles de Rochefort»). Doch der Name des Schweizer Altsaxofonisten George Robert war mir nicht geläufig.
Das Internet half weiter.

George Robert (1960–2016)

George Robert kam am 16. September 1960 in Genf zur Welt. Mit neun begann er mit Klavierunterricht, entschied sich jedoch kurz darauf für ein Klarinettenstudium am Konservatorium Genf, das er 1978 abschloss. Daneben war er immer wieder als Pianist gefragt, wenn es darum ging, Solisten (wie Clark Terry oder Harry Edison) an ihren Schweizer Konzerten zu begleiten.

In den USA besuchte er das Berklee College of Music und danach die Manhattan School of Music und nahm zusätzlich Privatstunden bei Phil Woods. Aus dieser Lehrer-Schüler Beziehung wurde eine enge Freundschaft, aus der auch mehrere CDs entstanden.

George spielte bei und mit vielen Grössen der internationalen Jazz-Szene, u.v.a. bei Lionel Hampton, der Lew Tabackin/Toshiko Akiyoshi Bigband und dann auch wieder mit Clark Terry, den er 1990 für eine Live-Aufnahme ins Q4 in Rheinfelden einlud. Die absolut empfehlenswerte CD («George Robert Quartet Live at Q4 featuring Mr. Clark Terry») wurde erst 1995 veröffentlicht. Darauf sind der Pianist Dado Moroni, Isla Eckinger am Bass und Peter Schmidlin am Schlagzeug zu hören, und natürlich der immer witzige Clark Terry.

1995 übernahm George Robert die Leitung der Swiss Jazz School in Bern, gründete 2006 die Jazzabteilung der Musikhochschule in Lausanne und leitete diese bis 2016, lebte jedoch stets in zwei Welten: in Vancouver und in der Schweiz.
George Robert verstarb im März 2016 55-jährig an Leukämie.

George Robert im Element.George Robert im Element.

George Robert plays Michel Legrand.

Wie schon eingangs erwähnt, stiess ich per Zufall auf dieses Album, wählte es, weil Michel Legrand und Switzerland mein Interesse weckten. Der erste Eindruck übertraf meine Erwartungen, da ich eher etwas in Richtung «Smooth Jazz» vermutete. Doch neben den teilweise für meinen Geschmack etwas überladenen Orchester-Arrangements klangen die Soli von George Roberts' Altsaxofon nicht «smooth», sondern hatten die notwendigen bluesigen Ecken und Kanten und wirkten fast durchwegs überzeugend.

Doch irgend etwas dämpfte meine anfängliche Begeisterung: Das Zusammenspiel zwischen dem Saxofon und dem Orchester fehlte; es war kein «Aufeinandereingehen» hör- oder fühlbar. Und je länger ich hinhörte, desto weniger Emotionen löste die Musik in mir aus.

Normalerweise ist das Gegenteil der Fall: Je öfter man ein Album anhört, desto mehr Finessen, musikalische Details, emotionale Ereignisse treten in den Vordergrund und werden erlebbar.

Nach dem Studium des Booklets wurde mir klar, dass es nie ein wirkliches Orchester gab – Torben Oxbol hatte den gesamten Orchesterteppich nicht nur arrangiert, sondern auch eingespielt. George Robert begab sich danach ins Studio, um über den fertigen Background seine Sax-Parts aufzunehmen.

Bei einigen Produktionen, in denen mehrere Solisten beteiligt sind, die sich gegenseitig «beflügeln» können, mag diese Methode vertretbar sein, doch in diesem Fall wirkt das gesamte Resultat – vor allem nach mehrmaligem Anhören – steril, leblos.

Um sicherzugehen, bat ich um eine unabhängige Zweitmeinung von meinem langjährigen Kollegen und Musikkenner Hans-Jürg Baum, der kurz darauf meine Ansicht nicht nur bestätigte, sondern seine Beurteilung sogar mit «musikalisch tot» krönte. Das ist wirklich schade, denn dieses Album ist nicht nur das letzte von George Robert, es ist auch das einzige, das in HiDef-Audio erhältlich ist.

George Robert mit Kenny Barron.George Robert mit Kenny Barron.

Doch immerhin löste es ein intensiveres Interesse an George Roberts musikalischem Schaffen aus und führte mich zu einer Vielfalt von unbekannten Jazz-Perlen: Nicht nur die oben erwähnte Konzertaufnahme mit Clark Terry, sondern auch alle übrigen auf Qobuz erhältlichen Alben sind zwar von unterschiedlicher musikalischer Qualität, doch allesamt mehr als ein Ohr voll wert. George Roberts Zusammenarbeit mit Phil Woods und Kenny Barron beispielsweise auf «Soul Eyes» ist aussergewöhnlich. Leider fehlt im Qobuz-Angebot die CD «Peace», auf der uns Robert nur im Duo mit Kenny Barron mit über 70 Minuten Musik beglückt.

Fazit

Zwar konnte mich «George Robert plays Michel Legrand» nicht überzeugen (als entspannende Untermalung eines ruhigen Abends kann das Album nach wie vor gefallen), doch hat sie mich in die Welt des George Robert geführt, die ich sonst (wahrscheinlich) nicht gefunden hätte, und in der es einiges zu entdecken gibt.

STECKBRIEF
Interpret:
George Robert (as)
Besetzung:
All orchestral & rhythm section parts performed by Torben Oxbol
Albumtitel:
«George Robert plays Michel Legrand»
Komponist:
Michel Legrand
Herkunft:
Schweiz
Label:
Claves
Erscheinungsdatum:
21. März 2016
Spieldauer:
54:34
Tonformat:
FLAC 24/48
Aufnahmedetails:
Recorded on July 26, 2014 at Oceanview Studios in West Vancouver, BC, Canada
Recording, Mixing & Mastering Engineer Torben Oxbol
Medium:
Download/Streaming
Musikwertung:
6
Klangwertung:
6
Bezugsquellen