So verrückt es klingen mag, aber die verordnete Zwangspause scheint der High-End-Szene gar gutgetan zu haben. Nicht, dass Sie uns missverstehen: Wir sind alle mehr als froh, grösstenteils wieder die «alte» Normalität zurückbekommen zu haben. Aber der Rückzug der Menschen in ihr Heim in den letzten zwei Jahren hat der High-End-Szene einen neuen Schub gegeben und die Wertschätzung einer guten Musikanlage gesteigert. High-End-Händler haben uns wiederholt bestätigt, dass sie Rekord-Verkäufe in den Jahren 2020 und 2021 hatten. Lieferschwierigkeiten der Hersteller haben den Run auf High-End-Ware zusätzlich geboostet.
Nach dem Fall der Massnahmen gab es auch auf die nur begrenzt verfügbaren Greifensee-Schlosszimmer einen Run. Der umtriebige Veranstalter Markus Thomann war gezwungen, trotz zusätzlichen Räumen im Landenberghaus, eine Warteliste der Interessenten zu führen. Schön für den Veranstalter, unglücklich für die nicht berücksichtigen Kandidaten. Sollte er für 2023 auch wieder mehr Buchungen als Räume haben, versucht er nach Alternativen Ausschau zu halten.
Pünktlich am Freitagmittag, 8. April, öffnete das Klangschloss, Ausgabe 2022, seine Tore. Schon bald erklangen vielfältige Musiktöne aus den Zimmern und waberten durch die alten Gemäuer und das Treppenhaus. Es war das Klangschloss, wie es die Stamm-Besucher kennen und lieben. Der Charme dieses historischen Gebäudes, umrahmt von der schönen Natur des Greifensees, verzaubert fast jeden Besucher. Die Stimmung im Schloss war denn auch supergut.
Dass solch ein Anlass wieder möglich war, beflügelte alle: das Publikum und die Aussteller. Die, die sich lange, zu lange, nicht mehr gesehen hatten, begrüssten sich freudig und konnten sich austauschen. Die Digitalisierung bietet zwar auch Vorteile, sie wird aber – jedenfalls nach Meinung des Verfassers – nie den zwischenmenschlichen Kontakt ersetzen können. Auch eine High-End-Anlage muss physisch erlebt werden. Der wertvolle Austausch zwischen Audiophilen findet im optimalen Fall im reellen und nicht nur im virtuellen Leben statt.
Bereits nach den ersten paar Stunden im Klangschloss konnte man feststellen, dass die Besucherzahlen sicherlich gut waren. Die Schloss-Räume waren zum Teil schon am Freitag gut besucht und versprachen für Samstag und Sonntag voll zu werden.
Rundgang
Wir machen nun einen kleinen Streifzug durch die Musikräume und versuchen Ihnen unsere Impressionen wiederzugeben – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und komplette Objektivität.
Raum «Stenheim und Neukomm»
Im Parterre gleich links, wo früher die Plattenbörse ihre Stände hatte, standen nun Stenheim-Lautsprecher (aus dem Wallis). Angetrieben wurden sie von ebenfalls aus der Schweiz stammenden Neukomm-Elektronik und hatten einen glanzvollen Auftritt. Gleich der erste Raum bot also eine edle Bühne für Schweizer Produkte, was wir sehr positiv finden. Überhaupt waren Schweizer Produkte in der Klangschloss-Ausgabe 2022 fast in der Mehrzahl. Diese Entwicklung finden wir grossartig. Kleinere und auch grössere Schweizer Hersteller suchen bewusst nach Möglichkeiten, mit der Kundschaft in direkten, persönlichen Kontakt zu kommen. Dafür ist das Klangschloss ideal. Der Raum war akustisch sicherlich einer der besseren Räume, die Klangqualität der dargebotenen Musik war dementsprechend auch auf hohem Niveau.
Allgemein lässt sich sagen, dass die Klangschloss-Räume sicherlich sehr viel Charme haben und Geschichte ausstrahlen, aber akustisch eine Herausforderung darstellen. Teilweise fast nur aus Mauerwerk, teils nur aus Holz und teilweise Mischvarianten boten sie den Ausstellern doch einiges Kopfzerbrechen, um ihre Anlage auch akustisch vorteilhaft präsentieren zu können. Der Aufwand für die klanglichen Optimierungen war zum Teil beträchtlich, Respekt!
Kopfhörer-Küche
Die akustischen Begebenheiten im Klangschloss waren für die Kopfhörer-Küche (ebenfalls in der Bel Etage angesiedelt) kein Thema. Kopfhörer sind, wie das Wort schon sagt, eben genau dazu da, das akustische Umfeld auszuschalten, die Wiedergabe ist unabhängig vom Raum. An der Kopfhörer-Bar konnten die Besucher ungezwungen und locker die edlen Kopfhörer aufsetzen und sich abseits vom Klangschloss-Trubel musikalisch verwöhnen lassen. Renommierte Kopfhörer-Marken wie Focal, Stax, Hifiman, Audeze, Stax, Focal, Denon, Earline und Sendy Audio waren vertreten. Sie verführten auch Kopfhörer-Abstinenzler und entführten sie in ihre Klangwelten. Kopfhörer erfüllen für die High-End-Szene nämlich eine sehr wichtige Aufgabe, denn sie sind für junge Menschen sozusagen die Einstiegsdroge in die High-End-Szene! Somit ist die Kopfhörer-Bar eine unverzichtbare Komponente im Klangschloss.
Dachraum, 1. Teil: PSI Audio & Dspeaker
Den volumenmässig grössten Raum im obersten Stock des Klangschlosses teilten sich die Firma PSI Audio (mit Dspeaker Elektronik) und Soundrevolution mit den Produkten Dartzeel (Genf) und Audionec (Paris), akustisch optimiert mit Sound-Tuning von Steinmusic und den Bass-Fallen/Absorbern von PSI. Die beiden Aussteller wechselten sich alle 30 Minuten bei den Vorführungen ab.
Das PSI-Setup war reduced to the max. Das heisst, der finnische Dspeaker-Vorverstärker-Prozessor-DAC mit Streamer steuerte die neuen Aktiv-Lautsprecher Héritage3 an. Das Ganze klang sehr gut, räumlich und musikalisch – speziell in Relation zum Preis und dem getriebenen Aufwand!
Dachraum, Teil 2: Audionec-Lautsprecher an Dartzeel-Elekronik
Das Setup des Soundrevolution-Vertriebs vis-à-vis war rein optisch ein ganz anderes Kaliber – sozusagen am anderen Ende des Regenbogens, auch preislich. Die edle und optisch sehr auffällige Dartzeel-Elektronik im charakteristischen Gold/Rot sowie die ebenfalls exotischen Audionec-Lautsprecher mit dem Duopol-Mitteltöner waren nicht zu übersehen und überhören. Der mit Steinmusic-Devices und PSI-Audio-Bassfallen akustisch optimierte Raum war ein echtes Erlebnis. Für die avguide.ch-Redaktion war es der «Best-Sound-of-the-Show». Ein Interview mit Mr. Dartzeel, Hervé Deletraz, ist auf Mitte Jahr geplant.
Bürkli Hifi: Spatial-Lautsprecher an Cayin-Elektronik
Bürkli Hifi stellte die Spatial-Lautsprecher, ein gehäuseloses «Open-Baffle»-Konzept aus Bayern, vor. Angetrieben wurde es von Cayin-Röhren-Elektronik. Der Klang der Spatial-Open-Baffle-Lautsprecher war dynamisch, schnell und hatte etwas Direktes, das nur offene Schallwände bieten können (falls sie gut konstruiert sind). Es war also ein spannendes Konzept!
Sfers mit B&W an Classé-Elektronik
Das Schweizer B&W-Urgestein Fritz Fabig präsentierte zusammen mit Marcel Gahler von Sfers die B&W 802D4 an Classé-Elektronik, dazu das digitale Quell-Gerät Linn Klimax, verkabelt mit Chord. Fabig glänzte einmal mehr mit seinem immensen Fachwissen und so wurde der Sfers-Raum für die Klangschloss-Besucher klanglich, optisch und wissensmässig zu einem Erlebnis.
Raum de Haller & Wattson Audio
Die aus der Romandie stammenden Hersteller de Haller und Wattson Audio brachten mit ihren interessanten Produkten frischen, frankofonen Wind ins Klangschloss. Die de-Haller-Lautsprecher wurden von den beiden hauseigenen Verstärkern angetrieben. Als Quelle kam die Wattson-Digital-Elektronik zum Einsatz. Der Klang war ähnlich wie das Open-Baffle-Konzept von Spatial – also direkt, schnell und dynamisch. Feinheiten kamen aber trotzdem nicht zu kurz. Das de-Haller/Wattson-Setup ist der Runner-up für den «Best-Sound-of-the-Show». avguide.ch plant übrigens demnächst einen Testbericht dazu. Schauen Sie also wieder rein bei uns!
Soundrevolution mit Manger, Merason und Line Magnetic
André Aebischer und Daniela Manger betreuten diesen kleinen, aber feinen Schloss-Raum. Die Manger-Lautsprecher wurden von Line Magnetics Röhren-Elektronik angetrieben, Quelle waren der Schweizer Merason-DAC sowie Rockna-CD-Player. Alles war verkabelt mit Brandt-Kabeln. Der Klang war hochaufgelöst, musikalisch und kohärent.
Raum JB Swiss AG
Auch im JB-Swiss-Raum wurde das Schweizer High-End-Schaffen hochgehalten. Verschiedene kleinere und grössere JB-Modelle wurden an Vincent-Elektronik betrieben – und für einen feinen, runden, ausgewogenen Klang im Klangschloss-Raum war gesorgt. Der Gründer von JB, Bruno Jeker, ein Urgestein in der Schweizer Szene, führte die Anlagen höchstselbst vor. JB Swiss produziert alle Lautsprecher selbst und beliefert Endkunden ausschliesslich direkt. Gemäss Roger Röös, Eigentümer von JB Swiss, werden sie übrigens des Öfteren von den Kunden «genötigt», auch Elektronik mit zuliefern. Das ist doch ein tolles Signal und ein Vertrauensbeweis!
Riverside-Audio mit Swissonor-Produkten
Wenn ein Raum den «Vintage-Klangschloss-Preis» verdient hat, dann ganz sicher dieser. Thorens-Plattenspieler, teilweise 60 Jahre jung und perfekt revidiert, spielten via Single-Ended-Röhrenverstärker von Swissonor an Hochwirkungsgrad-Hörnern. Das groovte und soundete und man sah viele ältere Besucher mit glänzenden Augen und wehmütigen Erinnerungen an die guten alten Zeiten. Sascha Zeier von Riverside Audio und Urs Frei von Swissonor haben den Vintage-Groove richtig drauf. Sie sind hoffentlich auch nächstes Jahr wieder mit ihrer Vintage-Truppe dabei.
Seidenton-Lautsprecher an Nagra-Elektronik
Wenn langjährige Erfahrung auf enthusiastische Newcomer trifft, dann reden wir vom Nagra-Elektronik und Seidenton-Lautsprechern. Musik und Form präsentierte diese spannende Kombination im Klangschloss. Der Klang der Seidenton-Avertura-Lautsprecher war dementsprechend seidenweich – nomen est omen. Und Nagra ist unter Audiophilen eh eine Bank. Danke für das exquisite Musikerlebnis!
Grammofile präsentiert Kudos-Lautsprecher, Vertere-Analog-Laufwerk und Chord/Melco-Elektronik
Der Grammofile-Raum war im Landenberghaus platziert, da das Klangschloss infolge der grossen Nachfrage aus allen Nähten platzte. Grammofile präsentierte ein fein abgestimmtes High-End-System an Kudos-Lautsprechern. Abwechselnd wurde als Quelle Vinyl mit einem Vertere-Laufwerk und digital mit einem Melco-System vorgeführt. Vinyl bleibt der High-End-Gemeinde noch lange erhalten und bietet eine hochwertige Alternative zu digitalen Quellen. Das toll klingende Grammofile-Setup war hierfür der beste Beweis.
Airplain-Lautsprecher mit Weiss Elektronik
Die weltbekannte Digital-Koryphäe Daniel Weiss von Weiss Engineering liess es sich nicht nehmen, höchstpersönlich seine Elektronik am Klangschloss zu präsentieren. Als Neo-Lautsprecher-Hersteller war Audioexperte Thomas Flammer mit seinen Airplain-Acoustics-Aktiv-Lautsprechern am Start.
Entwicklung und Fertigung der Airplan-Lautsprecher erfolgen im Startup-«Valley» im Kemptthal. Auf der ästhetischen Seite ist ebenfalls Swissness angesagt. Nebst verschiedenen Speziallacken werden Ausführungen aus heimischem in Holz und Leder angeboten. Der Stoff für die Abdeckungen wird in St. Gallen von Jakob Schläpfer hergestellt. Vorerst sind zwei Modelle erhältlich, die Phli mit 53 cm Höhe und die Phi Mini mit 45 cm.
Professionell und souverän wurden die Besucher in die Vorteile von Aktivlautsprechern mit integrierten DSP-Filtern eingeführt. Veränderungen im Digital-Setup konnten live akustisch gleich nachvollzogen werden.
Klangschloss Analog
Im neuen Landenberghaus warb die Analogue Audio Association Schweiz (AAAS) mit einer Schallplattenbörse und einem Analog-Treff im obersten Klangschloss-Geschoss für den Charme der analogen Musikkultur. Über die drei Tage gesehen war die Schallplattenbörse sehr gut besucht. Und die Vinyl-Liebhaber schauten nicht nur, sie kauften auch fleissig. Man sah also viele glückliche Gesichter an den Ständen. Und auch die Vinyl-Jäger, die nach erfolgreicher Jagd ihre Beute stolz im Klangschloss spazieren führten, waren zufrieden. Festzuhalten ist, dass sich die AAAS auf faire Preise geeinigt hatte, was audiophilen Fantasiepreisen einen Riegel geschoben hatte, bravo!
Klangschloss Live Recording von 3 Live-Acts
Das Klangschloss 2022 bot viele Neuigkeiten und sicherlich betrat man mit den drei Live-Acts an den drei Ausstellungstagen weiteres Neuland. Am Freitag wurde das Ensemble Fratres, am Samstag das Trio Anderscht & Boller und am Sonntag die New-Orleans-Jazz-Gruppe Nicole Johänntgen & Henry vor Live-Publikum in vier 20 Minuten dauernden Live-Sessions aufgezeichnet. Und on top wurde alles live als Stream auf die High-End-Anlagen in die Klangschloss-Zimmer übertragen. Auch wenn nicht alle Streams bei dieser Premiere im Klangschloss ankamen, die Idee ist wundervoll und zog viele Neugierige an. Wir freuen uns schon auf die Version 2023!
Klangschloss Live Recordings
Als Kirsche auf der 2022er-Klangschloss-Torte kam schliesslich der bekannte Studio-Produzent Ralf Zünd von straight2tape® ins Spiel. Im neuen, akustisch optimierten Konzertsaal des Landenberghauses fanden unter seiner Regie Aufnahmesessions mit Publikum statt, von denen eine straight2tape® Doppel-LP entstehen wird, welche die Besucher im Klangschloss Webshop vorbestellen können. Die Auslieferung ist ab Klangschloss 2023 geplant, die Presswerke sind zurzeit leider heillos überlastet!
https://www.klangschloss.ch/product-page/klangschloss-landenberg-sessions
Jeden Tag spielte also ein anderes Ensemble und wird nun auf einer LP-Seite verewigt. Mehr Authentizität und live geht einfach nicht!
Klangschloss-Vorträge
Als Abrundung des bunten Klangschloss-Strausses wurden Vorträge angeboten.
Als Hommage an den kürzlich verstorbenen bekannten Tonmeister Jürg Jecklin wurde statt seinem geplanten Vortrag auf die spannende Aufzeichnung «von Edison bis Surround» aus dem Jahre 2014 verlinkt. Wir alle vermissen den fachkundigen und humorvollen Jürg Jecklin sehr! Ich hoffe, es klingt gut, wo Du jetzt bist, lieber Jürg!
Lothar Brandt, der bekannte Audio-Journalist und Rezensent, erzählte kompetent und humorvoll wie immer über die Anfänge der Rockmusik in den goldenen 70er-Jahren. Er kennt Gott und die Welt, traf Tina Turner zum Interview und der Fundus seiner Musik-Erfahrungen ist riesig. Eine weitere Bereicherung des tollen Klangschloss-Events!
avguide.ch meint
Machen wir es kurz: Ähnlich wie das olympische Komitee, das jeweils nach den Spielen ein Verdikt über die beendeten Spiele abgibt, so verkünden wir von avguide.ch: Das Klangschloss 2022 war klar das beste Klangschloss ever! Angefangen bei der Rekord-Besucherzahl von über 800 Eintritten und neu drei Klangschloss-Genuss-Tage, den vielen liebevoll eingerichteten Musik-Zimmern mit fantastischen High-End-Anlagen, zudem viele neue Musikangebote wie zum Beispiel Live-Musikdarbietungen, die direkt als Stream in die Klangschloss-Zimmer übertragen wurden.
Neu wurden analoge Live-Aufnahmen produziert, die als DLP vorbestellt werden können. Abgerundet wurde das Klangschloss-Angebot durch den Analog-Treff mit Plattenbörse und einem sehr gut besuchten Klangschloss-Beizli. Ein Lob an Markus Thomann: Das Klangschloss war absolute spitze und wir sind froh, dass du das Klangschloss unermüdlich so grandios zu einem Mekka der Musik weiterentwickelt hast und immer daran geglaubt hast. Vielen herzlichen Dank!