«… es fühlt sich a wie Ferie …», so tönt es aus dem Autoradio. Noch will sich bei mir das Ferien-Feeling nicht wie bei Dodos Song einstellen. Dies wohl aus zweierlei Gründen: Mit dem Auto von Zürich nach Bern zu fahren, ist eigentlich nicht wirklich eine geistreiche Idee … Nordring–Gubrist: Stau! Zumal, das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass das SE Musiclab (SE steht für Strauss Elektroakustik) wohl das einzige Tonstudio ist, das einen eigenen Bahnhof hat. Denn die SE Musiclab liegen direkt neben dem Bahnhof Wabern.
Im Stau hatte ich dann auch genügend Zeit, mir das telefonische Vorgespräch mit dem Mitbesitzer und Gründer von SE Musiclab, Jürgen Strauss, durch den Kopf gehen zu lassen. Mit meinem Eingeständnis, dass ich bis dato von seinem SE Musiclab noch nichts gehört habe, war ich wohl in seinen Augen bereits «unten durch». Zudem holte ich keine Pluspunkte, indem ich seine Referenzwerke im Tonstudio-Bereich indirekt abwertete, in dem ich mich auf den Standpunkt bezog, nur meinen eigenen Ohren zu trauen (von dem ich ebenfalls bis zu einem gewissen Grad eines Besseren belehrt wurde).
Wie gesagt, die Anreise mit dem Auto zu SE Musiclab ist keine glorreiche Idee, denn als ortsunkundiger Zürcher findet man den Zugang nur über den Lift eines angrenzenden fünfstöckigen Industriegebäudes. Durchschreitet man die recht nüchtern anmutende Hülle des Gebäudes, landet man aber in einem anderen Kosmos. Und sogleich wird klar, dass Jürgen Strauss neben seinem enormen Wissen über Akustik auch eine grosse Fachlichkeit und Hingabe zur Architektur pflegt.
Der dunkle Raum im Entrée öffnet sich mit jedem Schritt in alle Richtungen und hellt zunehmend auf. Was einem sogleich in die Augen sticht, ist die eigenwillige Konstruktion des grössten Aufnahme- und Wiedergaberaums – dem «The Lab» – welcher aus unzähligen Ton-Zylindern zu einer Art Bienenstock zusammengepresst wurde. Dabei handelt es sich um die erste robotergefertigte Lehmwand, entstanden in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich.
Die akademischen 15 Minuten warte ich denn auch sehr gerne auf Jürgen Strauss, der noch an der Finalisierung einer Präsentation mit einer Gruppe in einem der angrenzenden Studios beschäftigt war. Obwohl im Innern satte Pegel abgespielt wurden, hört man von aussen nichts – nada. Ich betrachte währenddessen die Foto-Story an der Wand, welche von den anderen Referenzprojekten, dem legendären Sony-Musikstudios in Tokio oder dem Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main und anderen erfolgreichen Projekten zeugt.
Jürgen Strauss empfängt mich dann auch schon fast wie ein «Château-Besitzer» in seiner freundlichen, lässigen und souveränen Art. Bei einem Espresso knüpfen wir an unser telefonisches Vorgespräch an. Er spricht offen über seine Vorbehalte gegenüber der Zunft der «Audio-Tester-Schreiberlinge», deren Neutralität und Fachlichkeit zuweilen zu wünschen übrig lassen. Sie würden sich zu wenig eines fachlichen Vokabulars bedienen und sich kaum mehr empirischen Fakten wie objektiven Messungen, sondern nur noch auf subjektive Höreindrücke beziehen – autsch, ein Schlag voll auf die 12 … Aber wo er recht hat, hat er recht, denn Messgerätschaften habe ich heute nicht dabei. Ich wusste also, dass ich mich bei meinem Besuch auf dünnem Eis bewegen würde.
So war denn auch rasch klar, dass man mit ihm nicht über «Kabelklang» oder andere audiophile «Schattenwelten» diskutieren musste. «Messungen lügen nicht», das ist sein Statement, welches bei mir allerdings etwas Widerstand auslöste. Denn ich meinte, mich daran erinnern zu können, dass mein 20-jähriger Surround-Verstärker nach der automatischen Einmessung zwar einen linearen Frequenzgang hergab, aber auch unnatürlich klang.
Jürgen Strauss klärte mich dann bereitwillig darüber auf, dass es natürlich nicht nur um eine Linearisierung des Klangbildes gehe, sondern dass auch noch andere Parameter eine entscheidende Rolle spielen würden: Zeitrichtigkeit aller Chassis, linearer Frequenzgang, Sprungantwort, Komprimierung, Bündelung, Abstrahlung, Überlagerungen etc. Und dies müsse man bereits beim Lautsprecherbau berücksichtigen und nicht im Nachhinein «wegkorrigieren» wollen, was oft zu «Verschlimmbesserungen» führen kann.
Und da sind wir bereits beim Kern meiner Reise: Ich wollte sehen und hören, inwiefern ein offenbar technisch hervorragend gemachter Lautsprecher, der bei zahlreichen Blindtests unter der Teilnahme namhafter Kritiker stets Bestnoten erhielt und als Primus gefeiert wird, auch tatsächlich in meinen Ohren klingen wird. Könnten die Lautsprecher auch etwas für Audiophile sein? Doch bevor es dazu kam, machten wir einen Abstecher ins «The Lab», den grössten seiner drei Akustikräume. Der gemeinsame Gang dorthin mutete so an, wie wenn man in den Ferien eine fremde Kirche betritt. Gemächlicher Schritt, gedämpfte Stimme. Und ja, «The Lab» könnte sowohl als sakraler Raum als auch als Kulisse in einem «Star Wars»-Film dienen. Der Raum ist für ein Tonstudio optimal gedämmt und mit einer konstanten Nachhallzeit von 0,3 Sekunden ohne Klangfärbung ausgerüstet.
Ansatzweise wurde mir vorgeführt, was in diesem Raum alles akustisch reproduziert werden könnte: Nicht nur 3D-Klang, sondern weit mehr Dimensionen, die sich einem offenbaren. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, gleich abzuheben. Über diese unkonventionelle und so einmalige Konstruktion dieses Raums könnte Jürgen Strauss wohl stundenlang dozieren, so wie er es wohl bei seinen Studenten an der ETH Zürich macht. Aber aus Rücksicht auf meine fachliche Unkenntnis verzichtet er generös darauf und führt mich nach draussen in ein anderes «Gemach», dem «The Studio».
Ideal sei dieser Raum für Aufnahmen von kleinen bis mittelgrossen Ensembles, vorzugsweise auch von reinen A-cappella-Formationen. Durch die wabenförmige Architektur des Raums, der sich zusätzlich nach oben hin weitet, sowie diverse Diffusoren, die aktiviert werden können, kann die Nachhallzeit nach Wunsch bestimmt werden. Zudem entfallen störende Raummoden im Bass, weil es keine parallelen Wände gibt, wo sich die Schallwellen aufschaukeln könnten. Für den Hörtest des von mir gewünschten Lautsprechers – der SE-MF-4 – war die Nachhallzeit auf 0,6 Sekunden eingestellt, was für mich absolut richtig, für Jürgen Strauss jedoch etwas zu «hallig» war.
Strauss-Lautsprecher
Bevor es zum eigentlichen Hören ging, erklärte er mir, dem Nicht-Fachmann des Lautsprecherbaus, dennoch schlüssig und nachvollziehbar, worauf sie bei der Konstruktion der MF-4 besonders geachtet hätten. Die Wahl auf einen Zweiweg-Hornlautsprecher hat gegenüber einem Dreiwegsystem den Vorteil, dass es zu weniger Überlagerungen und gegenseitigen Störungen bei den Chassis kommt. Durch das leicht nach hinten versetzte Horn werden die Höhen und Mitten so abgegeben, dass der primäre Schall zeitgleich und linear beim Hörer ankommt und nicht von den Reflexionen des Diffusschalls überlagert werden. Das Tröten von Hornlautsprechern ist heute kein Thema mehr, früher war es eher schlechten Kompressionstreibern geschuldet. Dennoch war das vermeintlich «Einfache» in Perfektion umzusetzen eine grössere Herausforderung.
Es galt, eine möglichst kleine und leichte Kalotte zu konstruieren, die einen breiten Bereich im Frequenzgang verzerrungsarm spielt. Die besondere Aufhängung der 1-Zoll-Membran und der Antrieb über einen ultrastarken Neodym-Magneten ermöglicht dies. Bei 1200 Hz erfolgt die Anbindung an 12-Zoll-Basstreiber mit einer magnetischen Flussdichte von 1,2 Tesla. Die Lautsprecher sollten ihre untere Grenzfrequenz (-3 Dezibel) bei 28 Hertz haben. Interessanterweise wurde unter den vielen unterschiedlichen Materialien, die heutzutage zur Verfügung stehen, ein besonderes «Papiergemisch» aus China gewählt, das leicht und besonders steif ist, gut dämpft und am wenigsten Verzerrungen verursacht.
Die äussere Beschaffenheit der Membran ist gleichmässig wellig, so wie man dies teilweise von den Chassis von JBL her kennt. Im Innern wurde jedoch nochmals getrickst, mit asymmetrischen Ausstülpungen der Membranen. Und die Sicke ist nicht aus Gummi oder Schaumstoff, sondern aus einem straffen Gewebe, das einen besonders geringen Widerstand aufweist. Alle Konstruktionsdetails am Chassis sollen Verzerrungen minimieren. Die Bassreflex-Öffnung ist nach vorn ausgerichtet, sodass die Lautsprecher, so wie oft in den Musik-Studios, wandnah aufgestellt werden können.
Das ist dann auch schon einer von drei Unterschiede zur HiFi-Version, der SE-MF-4S. Sie hat die Bassreflexöffnung nach hinten und wird nach hinten abgewinkelt und direkt auf den Boden gestellt, während die Profi-Version auf Sockeln und somit auf die übliche Abhörposition beim Abmischen (ca. 1,2 m) erhöht geliefert wird. Sie wird serienmässig in der typischen Farbe «nextel anthrazit» von Strauss gefertigt.
Die MF-4S gibt es auch in anderen Farben. Über die Frequenzweiche schweigt sich Jürgen Strauss dann aber aus – ich habe auch nicht mehr nachgehakt, weil ich weiss, dass dieses Wissen schon fast zu einem alchemistischen Geheimnis jedes Lautsprecherherstellers gehört und wohlgehütet bleibt. Das Gehäuse, dessen Form nicht aussergewöhnlich erscheint, ist aus versteiftem MDF, das im Inneren optimal gedämpft wird.
Da standen sie nun, die rund 90 cm grossen (ohne Sockel) und 50 kg schweren MF-4, eingewinkelt und eingemessen. Strauss empfiehlt 1,5 bis 2,5 Meter Hörabstand (daher die Bezeichnung Mittelfeld-Monitore) und warteten darauf, loslegen zu dürfen. Wir hörten eine ganze Serie an verschiedenen Stücken durch. Diese reichte von Pink Floyds «Time» über den Nils-Lofgren-Klassiker «Keith Don’t Go» und noch ein paar CDs aus anderen Genres bis zu meiner Offenbarung: «Thriller» von Michael Jackson – Gold Edition. Alles Stücke, die ich aus meinem Test-CD-Fundus mitgebracht habe, da offenbar CDs bei Strauss immer noch «State of the Art» sind. Doch kurz der Reihe nach.