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Situation der Musikschaffenden

Geld verlieren, oder weniger Geld verdienen, auch die Musiker, präziser 99 % aller Musiker. Die toperfolgreichen 1 % profitieren mehr als früher: Der kanadische Rapper Drake soll laut Spotify im Jahr 2018 allein 8,2 Milliarden Mal gestreamt worden sein. So oft wurden seine Songs insgesamt weltweit mit Musikstreaming angehört. Musiker, die keine Stars sind, aber trotzdem recht bekannt, bekommen mit 0.006 bis 0.0084 USD pro Stream pro 1 Million Streams also ca. 6000 USD in die Kasse gespült – und das muss auch zuerst einmal erreicht werden. Dann ist das ja oft keine Einzelperson, sondern eine Band oder ein Musiker mit Mitwirkenden wie Songschreiber etc. Und mit den Gesamteinnahmen müssen auch die Kosten der Produktion gedeckt werden.

Was hoffnungslos scheint, ist nicht. Der Umbruch hat gerade begonnen: Der Zugang zur Musik ist viel schneller, der Konsument muss nichts kaufen, er hat Zugang dank seinem Streaming-Abo, kann viel häufiger viel mehr Musik konsumieren – und der Musiker bekommt Geld für jeden Stream bis (theoretisch) in alle Ewigkeit. Wer gut und fleissig ist, kann es zu etwas bringen. Die Hürde für den Konsumenten, zuerst CDs kaufen zu müssen, bis das Budget erschöpft ist, entfällt. Der Konsument hat Zugang zu aller Musik zum Preis einer CD pro Monat. Der Musikkonsum steigt rapide an dank Musikstreaming, und langfristig ist das gut für Musikschaffende.

Die Musiker können sich auch in sozialen Medien direkt vermarkten, und das relativ einfach. Die Abhängigkeit von Musik-Labels (aka «Plattenfirmen») nimmt ab. In den USA vermarkten sich heute nur noch 50 % aller professionellen Musiker mit Hilfe der Labels. Dieser Wert lag vor einigen Jahren noch bei über 90 %. Tendenz: weiter abnehmend.

Die Produktionskosten und die Kosten für Recording-Equipment sind massiv gesunken. Musiker können mit wenig Aufwand zuhause oder im Übungsraum brauchbare Demos produzieren und dann online stellen. Inklusive Videos. Die Zeiten des Demo-Tapes (Kassette) und dessen Versand an Radiostationen oder Musik-Labels und das bange Warten bis zur deren Reaktion sind vorbei.

Der Ausnahmemusiker Jacob Collier wurde mit Youtube-Videos bekannt und zählte schon eine grosse Fangemeinde, bevor sein erstes «richtiges» Album herauskam und er die Bühne der Grammy-Verleihung betreten konnte. Das Album wurde von seinen Fans finanziert. Er hat nicht nur seine musikalische Genialität bekannt gemacht, sondern auch sich selbst als Idol.

Potenzial der Streamingdienste

Die Musik-Labels, allen voran die Major Labels, profitieren gerade davon, dass alle Musikstreaming-Dienste von ihnen abhängig sind, weil sie auf 90 % der zurzeit verfügbaren Musik «hocken». Sie können einfach Rechnungen stellen und müssen immer weniger Tonträger produzieren, distribuieren und vermarkten. Die guten Tage der Musiklabels könnten aber schon bald gezählt sein: Je enger die Streamingdienste Musiker direkt an sich binden, desto autonomer werden Sie. Dafür müssen sie aber mehr tun, als Musik für Streaming verfügbar zu halten. Sie müssen produzieren und in neue Talente investieren, um damit Exklusivität zu erlangen. Sie müssen investieren, amortisieren und werden am Ende mit viel tieferen Kosten belohnt. Das Modell kann sich lohnen. Netflix hat es vorgemacht.

Die «Back-Kataloge» der Labels verlieren zunehmend an Bedeutung. Sie veralten mit der Zeit wie ihre Konsumenten. Im Moment ist es noch entscheidend, Musikalben bis zurück in die 1950er-Jahre anbieten zu können. Aber wie lange noch? Hier arbeitet die Zeit für die Streamingdienste – und nicht für die Labels.

Wenn die Qualität der Streams überall hoch sein wird, werden sich die kleineren Qualitäts-Vorreiter warm anziehen müssen. Sie verlieren eines ihrer Alleinstellungsmerkmale und müssen neue Strategien entwickeln, um ihre audiophilen Kunden zu behalten. Das kann Segmentierung sein, die Spezialisierung auf Genres (Musikstilrichtungen). Qobuz zum Beispiel ist heute führend bei Klassik und bietet auch die Original-Booklets der Alben als PDF-Datei sowie viel Musik auch als käufliche Hi-Res-Downloads an. Das kann auch langfristig ein bestimmtes Kundensegment bei der Stange halten.

Die Generierung von Werbeeinnahmen ist für alle Streamingdienste mit Bezahl-Abos schwierig. Die Konsumenten akzeptieren keine Werbung vor dem Beginn eines Tracks. Streamingdienste können mit unseren Präferenzen lediglich die Aktualität ihres Angebots schärfen und ihre Playlisten und Promotionen aktuell halten. Das machen alle.

Provider wie Google auf der anderen Seite beobachten unseren Musikkonsum, den wir von Streamingdiensten beziehen und verwenden die Daten für ihr Profiling. Davon haben die Streamingdienste nichts. Im Gegenteil: Sie bezahlen dafür, um die Musikkonsumenten im World Wide Web mit gezielter Werbung zu versorgen.

Konsumenten auf Social Media – und im Internet im Allgemeinen – werden aber immer werbefeindlicher und rüsten sich in zunehmendem Masse mit Ad-Blockern aus.

Abhängigkeit der Konsumenten von Streamingdiensten

Die wichtigsten Kundenbindungsmassnahme der Streamingdienste ist die persönliche Mediathek des Nutzers, die bei einem Wechsel (zu einem anderen Dienst) verlorengeht. Sie ist quasi die persönliche Sammlung, denn das Gesamtangebot ist unüberschaubar. Die Übertragung einer persönlichen Musiksammlung von einem Anbieter zum anderen braucht Zeit. In meinem Fall ein paar Stunden, als ich von Tidal zu Qobuz wechselte und dort alle gemerkten Alben wiederfinden musste. Das liess sich in meinem Fall verkraften. Wenn es nur noch Musikstreaming gibt, ausser vielleicht noch Vinyl, dann werden wir alle abhängig sein.

Unsere Musik ist dann nicht mehr unser Eigentum zur uneingeschränkten, privaten Nutzung. Unsere Hörgewohnheiten sind auch nicht mehr privat. Auch wenn es nur um etwas Harmloses wie Musikhören geht, Big Brother kann bestimmt etwas damit anfangen.

Und in 20 Jahren? The winner takes it all? Vielleicht … im Moment werden gerade die Karten neu gemischt – und wir beobachten das Spiel.

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