Das grösste Problem, das durch Streamingdienste verursacht wird, besteht darin, dass die Musiker für ihre Werke kaum Geld erhalten. Besonders krass ist dies beim Weltmarktführer Spotify. 380'000 Streams müssen von Spotify-Nutzern monatlich gestreamt werden, damit ein Musiker für seine Arbeit den Mindestlohn (USA) bekommt. Die Verdienstmöglichkeiten der Angestellten hingegen sind sehr gut: Der Durchschnittslohn eines Spotify-Mitarbeitenden soll 14'000 USD pro Monat betragen.
Betroffen ist vor allem die Mittelklasse der Musiker und Musikgruppen. Dazu gehören Professionals, die keine Stars sind, aber doch so bekannt und beliebt, dass sie früher mit dem Verkauf von Alben ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Sie müssen heute ihr Geld mit Konzertauftritten und anderen Einkünften bestreiten. Das ist zwar okay, denn die Fans wollen sie ja auch live erleben, aber ein Buchautor lebt ja auch nicht nur von seinen Vorlesungen.
Nielsen Soundscan berichtet über ein sattes Wachstum von 3 % im US-Musik-Business (2015/2016) und benennt Streamingdienste als Wachstumstreiber. Bezahlte Downloads und CDs hingegen verlieren massiv, und die Schallplatten bewegen sich trotz Wachstum auf einem tiefen Niveau. Es geht bei den Erhebungen immer nur um Absatzzahlen, nie um Geld. Schon gar nicht darum, wer das Geld verdient.
Goliath hat Probleme
Spotify ist der Goliath unter den Streamingdiensten. Das Unternehmen hatte ein steiniges Jahr. Die öffentliche Wahrnehmung, das Image, hat sich zum ersten Mal nicht verbessert. Mehrere Klagen wurden deponiert, es gab Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe. Der Vorwurf: Systematische Urheberrechtsverletzungen im grossen Stil. Zudem wurde publik, dass Spotifys Abgaben pro Stream an Musiker gesunken ist. Mitarbeitende von Spotify verdienen sich aber eine goldenen Nase.
Dann wurde publik, wie der Spotify-Gründer Daniel Ek sein initiales Vermögen machte: Mit 23 war er CEO von uTorrent, einer Piraten-Plattform, die später zu BitTorrent wurde – vermutlich der grössten Tauschbörse ohne Urheberrechtsabgeltung weltweit. Sein Team verwendete dieselbe Software für die neue goldene Gans: Spotify.
Last but not least wurde es grossen Teilen der Öffentlichkeit plötzlich klar, dass Spotify eigentlich gar nichts produziert. Ganz im Gegensatz zu Netflix. Netflix, das Quasi-Film-Pendant zu Spotify, produziert viele, zum Teil erstklassige Serien und Filme. So etwa «The Crown», um ein Beispiel zu nennen. Damit beschäftigt Netflix nicht nur gut verdienende Schauspieler, sondern massenhaft Filmleute in allen Funktionen. Netflix schafft Arbeitsplätze.
Spotify aber steckt 30 % der Einnahmen in die eigene Tasche – und macht sonst gar nichts.
Börsengang und Bettelgang
Dem Vernehmen nach möchte Spotify in den nächsten Monaten an die Börse. Damit das geplante Going Public im grossen Stil gelingt – also um Investoren anzuziehen – braucht es ein gutes Image. Spotify muss ihnen glaubhaft rüberbringen, dass sie viel Geld verdienen können.
Da aber die titanische Ambition von Spotify, ein Börsengigant zu werden, von Musikbusiness-Insidern zunehmend bezweifelt wird (auch aufgrund der Klagen gegen Spotify), könnte dies den «Goliath» in die unvertretbare Lage bringen, vom US-Kongress noch tiefere Abgaben an die Musiker zu fordern – um dann mehr zu verdienen.
Spotify muss der einen Seite verkünden, dass das Unternehmen zu arm ist, um zu überleben. Um aber an mehr Geld zu kommen, muss Spotify gleichzeitig der anderen Seite kommunizieren, dass viel Geld verdient werden wird, damit der Börsengang gelingt.
Vielleicht könnte man ja den gefallenen Goliath des Internet-Radios, Pandora, fragen, wie das so läuft ...
Das wirkliche Problem
Aus einen geschlossenen Meeting bei Spotify, an das Musikschaffende eingeladen waren, wurde möglicherweise das eigentliche Problem von Spotify erkannt: Das Unternehmen weiss nicht, was das eigentliche Produkt ist. Die Verantwortlichen glauben, das Produkt sei ... Spotify.
Das Produkt von Starbucks ist Kaffee in vielen Varianten. Starbucks ist eine Marke. Spotify ebenfalls. Das Produkt von Spotify ist Musik. Die Kunden von Starbucks gehen dorthin, weil sie Kaffee trinken möchten. Die Kunden von Spotify wollen Musik geniessen, deshalb abonnieren sie Spotify. So weit, so gut.
Starbucks macht aber ihren Kaffee selbst. Netflix mach Filme und Serien teilweise selbst, doch Spotify macht keine Musik. Spotify nimmt die Musik von Musikschaffenden zum Beinahe-Nulltarif und vermietet die Nutzung an die Nutzer. Musikhörer sind aber keine Nutzer, genauso wenig wie Kaffeetrinker.
Spotify selbst ist der Nutzer der Musik – und die Verantwortlichen scheinen dies, wie besagtes «closed-door-meeting» gezeigt haben soll, noch nicht begriffen zu haben. Dabei ist doch bekannt: «Nicht was wir nicht wissen, bringt uns Probleme. Was wir glauben zu wissen und sich dann als falsch herausstellt, bringt uns Probleme». Mark Twain soll das einst gesagt haben.
Was tun?
Guter Rat ist teuer – vor allem dann, wenn er umgesetzt werden soll. Spotify ist heute weltweit der grösste Streamingdienst – und zwar nur deshalb, weil das Unternehmen ein Pionier war. Spotify ist deshalb aber nicht «systemrelevant». Nun hat Spotify ein Imageproblem, und mittlerweile gibt es viele Streamingdienste. Spotify und andere müssen einen Mehrwert schaffen. Sie müssen erkennen, was ihr Produkt ist.
Der Mehrwert muss denen zu Gute kommen, die das Produkt schaffen, also den Musikern. Spotify könnte Musik produzieren und die Musiker angemessen daran beteiligen. Sie müssen etwas schaffen, einen wichtigen Beitrag zu Gunsten der Musikvielfalt leisten – und zwar auch zum Wohl der Musikschaffenden.
Ob der geplante Börsengang das Richtige ist?
Quellen: Blake Morgan, Musikschaffender. Huffpost. Nielsen Soundscan.