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Publikationsdatum
10. August 2017
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High-End-Audio sollte in Ländern wie der Schweiz eigentlich ein blühendes Geschäft sein. Hier gibt es so viel Privatvermögen wie kaum in einem anderen Land, und viele Einkommen sind hoch. Viele Schweizer könnten sich High-End-Audio problemlos leisten. Aber sie leisten sich lieber einen Zweitwagen, eine Zweitwohnung und dann bestenfalls ein Heimkino oder eine Multiroom-Anlage für die konstante Musikberieselung.

Wenn sie denn aber tatsächlich Interesse an der hohen Kunst des kultivierten Musikhörens haben, dann wird es kompliziert. Sie betreten ein Fachgeschäft und versuchen "etwas" zu kaufen. Doch dabei lernen sie, dass die Sache bei HE-Audio nicht so einfach ist. Man kann nicht einfach etwas kaufen, das Produkt mit nach Hause nehmen und dann 10 oder 20 Jahre zufrieden damit sein. So funktioniert es nicht.

Sie werden aufgeklärt, worauf es ankommt, wie wichtig jede einzelne Komponente ist. Sie sollen ein ganzes System kaufen, ein Sammelsurium an Komponenten und wohlklingenden Extras. All das soll zum gewünschten Ergebnis beitragen, wenn man denn auch alles korrekt aufstellt, ausrichtet, einrichtet und optimiert. Der Weg zum grossartigen Musikgenuss ist steinig und lang. Das Bessere ist der Feind des Guten – will heissen: Der Vergleich ist der Beginn der Unzufriedenheit.

Die HE-Audio-Branche gründet auf diesem Konzept. Nach dem Kauf ist vor dem Kauf. Der Vorgang endet nie. Der Verstärker klingt toll, aber mit der externen Stromversorgung wirds noch besser – und das neue Modell klingt natürlich noch besser als das alte. Und ein teures Digitalkabel kann alles ändern, bis zum nächsten teuren Digitalkabel. Darum wächst der Markt für gebrauchte HE-Audiogeräte langsam ins Unermessliche. Gut für alle, die warten können und nicht immer das Neuste wollen. Schlecht für jene, die neue Geräte an den Mann zu bringen versuchen.

Bei vielen Produkten führte Innovation zum Besseren: Autos, Geschirrspüler, Heizungen, Telefone, HDTV-Geräte. Bei HE-Audio ist Innovation (= Integration) unbeliebt. Sie führt zu weniger Geräten und Komponenten und damit zu weniger Umsatz, weil das Bessere plötzlich besser ist, als das Althergebrachte, und zudem einfacher und wohnraumfreundlicher. Wenn man als Hersteller oder Händler Geschäfte machen will, muss man immer neue Kunden finden, denn die alten Kunden sind plötzlich zufrieden und für lange Zeit.

Die meisten Anbieter lebten aber über lange Zeit von wenigen Stammkunden, die immer wiederkamen, wiederkauften. Man brauchte bloss zu warten, bis die Kunden wiederkamen und neue Produkte kauften und alte Geräte in Zahlung gaben. Der Stammkunde liebt Geräte und Technik und wird damit alt, bis er nicht mehr kaufen kann oder will. Neue Kunden wollen das nicht. Sie wollen von Anfang an "das Richtige": Kompakt, gut, einfach und wohlklingend, ohne Verwandlung des Wohnzimmers in einen Studioraum als Voraussetzung. Nicht billig bitte, aber zahlbar. Einmal 15'000 CHF ausgeben, aber bitte nur einmal in 20 Jahren. Sie wollen einfach gut Musikhören, sie brauchen kein neues Hobby.

Zähneknirschend stellt man sich als Hersteller darauf ein – oder auch nicht. Streaming und "Netzwerkfähiges" fegt teure HE-Geräte vom Platz, wie einst der CD-Player den Plattenspieler und das Tapedeck überflüssig machte. Software lehrt Hardware das Fürchten. Teure Vor/Endstufen-Kombinationen verschwinden: Ihre Funktion ist plötzlich im Lautsprecher integriert. Frequenzweichen werden digital. Das DSP löst "unlösbare Probleme". Der analoge Signalweg wird immer kürzer und problemloser. Kabel verlieren deshalb an Bedeutung.

Die wenigen Hersteller, die es begriffen haben, kommen zum Schluss, dass man mit innovativer Technologie Probleme überzeugend lösen kann – wenn man die Technologie versteht und beherrscht. Darum erwachet! Erfindet audiophile Audiogeräte, die in unsere Zeit und unsere Räume passen. Findet neue Kunden. Die alten leben nicht ewig.

Empfängt die neuen Kunden in den Studios, macht daraus einen Wohnraum und schaut, dass nicht so viel Zeugs herumsteht. Greift zum iPad und spielt Musik – egal, woher sie strömt. Nach fünf Minuten muss man wissen, wo der Hammer hängt und was der Schaden kostet. Es muss Spass machen. Philosophie ist fehl am Platz.

Liebe Anbieter: Sie müssen das Gute nicht "herbeidemonstrieren". Das Gute überzeugt ohne grosse Worte.