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Publikationsdatum
29. April 2018
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Betrachtungen über die Akzeptanz von HiFi-Anlagen im Allgemeinen und grosse Lautsprecher im Besonderen sind so alt wie HiFi selbst. Schon in den 1950er Jahren, als HiFi die ersten Gehversuche machte, wurde die Frau in der Werbung regelmässig thematisiert, und das zu einer Zeit, als die Männer noch das Sagen hatten, oder es zumindest glaubten.

Die technische Seite von HiFi faszinierte Männer damals deutlich mehr als Frauen. Technische Berufe wurden grossmehrheitlich von Männern ausgeübt. Frauen waren selten zu finden in diesen Berufsbildern, wenn sie überhaupt berufstätig waren oder sein konnten. Der Anteil Hausfrauen war damals viel grösser als heute.

Gleiches galt für die Hobbys von Mann und Frau. Ein typisches Werbebild der 1960er Jahre zeigt die Frau, die zufrieden strickt, und daneben den Mann, der mit Feierabend-Tabakpfeife bewehrt, seinem Plattenspieler huldigt. Beide sind zufrieden und machen einen glückseligen Eindruck.

Mit der Zeit änderte sich die Rolle der Frau in der Werbung für HiFi-Produkte. Sie passte sich dem Zeitgeist an und zeigte die Frau im besten Fall als selbstbewusst emanzipierte und überzeugte Anhängerin von HiFi und im schlechteren Fall als Sexobjekt, analog zum Pirelli-Kalender und der Werbung für Autos.

In allen Fällen richtete sich die Werbung aber an die Männer, um sie zum Kauf zu bewegen. Wozu war Werbung sonst gut? Das Spektrum der werberischen Ansprache war breit: Das ging von «kaufe unsere Geräte und deine Frau wird dich dafür mögen» bis zu «kaufe unsere Geräte und die Damen liegen dir zu Füssen».

JBL-Werbung (Ausschnitt).JBL-Werbung (Ausschnitt).

Und dann kam der WAF

Der WAF schlug in der einschlägigen Fachpresse und im Handel vermutlich etwa in den 1980er Jahren auf, soweit ich mich erinnern kann. Das partnerschaftliche Beziehungs- und Ehe-Modell funktionierte immer besser und die damaligen Lautsprecher und Anlagen hatten ein Design-Problem, welches auch auf die Herstellungsverfahren zurückzuführen war.

Die Branche musste umdenken, aber der WAF war schon damals ein Mysterium. Die Schuld am entgangenen Geschäft des grossen Lautsprechers wurde etwas gar leichtfertig den Frauen in die Schuhe geschoben. Das Verständnis seitens der Frau gegenüber dem (leider gut sichtbaren) Hobby des Mannes war nicht immer unterentwickelt. Sie, die Frau, wollte mitentscheiden. Das war alles.

Die Männer waren es, die den WAF kultivierten. Manche mochten die grossen Lautsprecher-Kisten, im Volksmund dann «Boxen» genannt, auch nicht besonders oder sie entschuldigten ihren Kaufverzicht mit ihrer Frau, die ja meistens nicht anwesend war. Die Frau wurde zur HiFi-Spielverderberin und Spassbremse stilisiert und damit vielleicht sogar diskriminiert.

Die Branche reagierte mit besserem Design, wohnraumkonformen und bedienungsfreundlichen Produkten, sprich Produkte mit einem hohen WAF, und tat wohl, über alles gesehen, das Beste, mit dem Zeitgeist des schönen Ambiente zurechtzukommen.

Doch war das keineswegs nur an die Frauen gerichtet: Das Wohndesign änderte sich für alle Bewohner. Die berüchtigten hohen Wohnwände, Bücherregale und diese übergrossen Sofas wichen funktionaleren, leichteren Einrichtungen. Spannteppiche wichen dem Parkett, dem Stein und den Keramik-Fliesen. Alles wurde leichter und transparenter und heller. Grosse «Boxen» passten nicht mehr hinein.

Das Wohnzimmer meiner Eltern der 1970er Jahre würde ich heute nicht bewohnen wollen und wenn ich es müsste, dann wären die «Boxen» das kleinste Problem.

Die Rolle der Frau heute

Ich finde heute eine zunehmende Zahl von Frauen unter den Besuchern der Audio-, HiFi- und auch der High-End-HiFi-Messen und Veranstaltungen, und sie wirken auf mich weit interessierter als der Mann, der die Frau ins Modegeschäft begleitet, mitunter gelangweilt auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit.

Die Frauen begleiten durchaus nicht immer nur ihre Männer. Man trifft sie auch alleine an und sie interessieren sich bei weitem nicht nur für Grösse und Optik, sondern auch für den Klang.

Zuweilen nehme ich Frauen auch als urteilssicherer wahr als ihre Männer. Das hängt womöglich damit zusammen, dass sie etwas vorurteilsloser sind, weil sie sich tendenziell weniger um technische Aspekte wie Funktion und Musikformate kümmern, sondern mehr um die Musik selbst.

Männer wirken in Gesellschaft ihrer Damen dagegen manchmal etwas gar zurückhaltend. Ich stelle das fest, wenn ich ihr Verhalten ohne und im Beisein der Partnerin vergleiche... Die Herren scheinen sich sogar etwas unwohl zu fühlen, manchmal.

Über alles gesehen nehme ich heute die Rolle der Partnerin im Selektions- und Entscheidungsprozess einer solchen Anschaffung als differenziert und konstruktiv wahr. Und deshalb erkläre ich den WAF für «ausgedient».