Klang: Hohe Erwartungen übertroffen
Natürlich waren die Erwartungen an die klanglichen Fähigkeiten der neuen Diva Utopia hoch: Der Erstkontakt mit einem High-End-Lautsprecher hat es oft in sich. Ist man davon spontan angetan oder muss man sich erst über längere Zeit «hineinhören» und die Tugenden nach und nach entdecken? Die Focal macht einem den Einstieg leicht: Auf Anhieb beeindruckt sie mit einer ganz besonderen Schönheit und Mühelosigkeit der musikalischen Ansprache, welche den Hörer ohne langes Zögern unwiderstehlich vereinnahmt.
So etwa bei Pergolesis «Stabat Mater» in der Channel-Classics-Aufnahme. Diese lässt sich in sagenhafter Qualität (24-Bit/192-kHz) über Qobuz streamen oder downloaden. Über die Diva Utopia erwacht das legendäre historische Sakralwerk zu neuem Leben und erstrahlt in einer emotionalen Intensität, die selbst weniger religiöse Gemüter in ihren Bann ziehen dürfte. Die superbe Räumlichkeit dieser Aufnahme inklusive natürlicher Hallanteile kommt über die Focal sehr gut zur Geltung und verleiht der Musik – zusammen mit wunderbaren Klangfarben – eine betörende Aura. Man hat bei geschlossenen Augen wirklich den Eindruck, bei der Aufnahme live dabei zu sein.
Männerstimmen erklingen mit Inbrunst und voluminösem, aber nicht übertriebenem Brustton. Streicher kommen richtiggehend süffig und voll, ohne jede Kratzbürstigkeit, dennoch vital und eindringlich. Überhaupt ist dies ein grundlegendes Merkmal der Diva Utopia: Sie klingt zwar bei Bedarf herrlich dynamisch und intensiv, dabei jedoch völlig unangestrengt. Selbst zupackende, dynamische Passagen sind eine Wohltat für die Ohren. Da muss man sich als Musikliebhaber disziplinieren, nicht zu laut zu hören (denn dies schadet der Gesundheit).
Wohlfühlfaktor und Definition werden beim Musikhören also gleichermassen grossgeschrieben. Damit unterscheidet sich die Diva Utopia wohltuend von Lautsprechern, die im Hochtonbereich tendenziell übertreiben und damit anfänglich Eindruck schinden, langfristig jedoch – je nach Musikmaterial – eher ermüden. Die Focal eignet sich somit perfekt zum Langzeithören – eine entscheidende Eigenschaft für eine anhaltende Freundschaft vonseiten eines audiophilen Besitzers.
Auch bei gut aufgenommener Chormusik (Claude Le Jeune) inszeniert die Diva Utopia die Kirchenakustik verblüffend realistisch, in ungeahnter räumlicher Tiefe. Die Chorstimmen entfalten ein anmutiges Timbre, welches dieser ansonsten vielleicht etwas monoton anmutenden Musik einen ganz besonderen Reiz verleiht.
Auch bei Fux’s «Ave Regina» kann man sich kaum satthören: Herrlich dynamisch und emotional, dabei tonal perfekt ausbalanciert mit zarter Hochtonwiedergabe und ausgeprägter Feinzeichnung. So wird die HiRes-Wiedergabe zum anhaltenden Hörgenuss. Einzelstimmen und -instrumente erklingen zum Greifen nah – und bleiben doch harmonisch ins Musikensemble eingebettet. Interessant dabei: Focal empfiehlt eine Aufstellung der Lautsprecher im klassischen gleichschenkligen Dreieck, zum Hörer hin ausgerichtet. Wir probierten unterschiedliche Hörabstände aus und können der Diva Utopia eine hervorragende Tauglichkeit auch als Midfield-Abhörmonitor bescheinigen. Zweifellos werden anspruchsvolle Toningenieure die Utopia ebenfalls in Ohrenschein nehmen.
Dass eine hohe Qualität des Tieftonbereichs auch bei klassischer Musik durchaus eine entscheidende Rolle spielt, beweist die Focal nicht nur bei Orgelmusik. Der perkussive Paukenwirbel bei Charpentiers «Te Deum» verlangt ebenso eine mühelose, dynamisch schnelle Basswiedergabe. Hier agiert die Diva Utopia druckvoll-straff und integriert die tiefen Register perfekt in die Gesamtperformance.
Überzeugend auch die Konturiertheit und Kraft, welche die Aktivlautsprecher im Grundtonbereich an den Tag legen. Davon profitiert etwa Lang Langs Interpretation der Goldberg-Variationen enorm: Lang Langs Flügelspiel erklingt grandios, geradezu majestätisch, dabei exemplarisch klar und differenziert, mit perlendem Diskant. Auch hier überwindet die Aufnahme mühelos die Schwelle zum heimischen Hörraum.
Ähnliche Tugenden sind bei der Wiedergabe von Pop, Rock und Blues gefragt. Auf Ben Harpers und Charlie Musslewhites «No Mercy in this Land» inszeniert die Focal die verzerrten Gitarren authentisch-schmutzig, mit dem notwendigen Biss, jedoch nicht übertrieben aggressiv. Auch hier ist man unwillkürlich versucht, die Lautstärke mal richtig aufzudrehen. Selbst sehr hohe Abhörpegel setzt die Diva Utopia ohne mit der Wimper zu zucken mit viel Elan und Stehvermögen um. Die Bässe kommen druckvoll und tief, bleiben auch bei Live-Pegel sauber und unverzerrt.
Dass die Diva Utopia auch bei akustischem Jazz voll in ihrem Element ist, zeigt sie etwa auf dem neuen Album «Sphere» vom Bobo Stenson Trio (Anspieltipp «The Red Flower»). Sagenhaft, wie differenziert und livehaftig das Trio, bestehend aus Piano, Kontrabass und Schlagzeug, in Szene gesetzt wird. Das klingt nach deutlich mehr als Minimalbesetzung. Man hat wiederum den Eindruck, live bei der Aufnahme dabei zu sein, ein richtig grosses, majestätisches Orchester vor sich zu haben.
Fazit
Die neue Diva Utopia von Focal & Naim ist nicht nur in jeder Hinsicht gelungen, sie ist vielleicht sogar richtungsweisend dafür, wohin sich High-End der Zukunft entwickeln könnte. All-inclusive bedeutet im Fall der Diva Utopia, dass man sämtliche Aspekte modernen Musikhörens auf gleichermassen hohem Niveau serviert bekommt. Dass ein solches Konzept seinen Preis hat, mag schmerzen. Bedenkt man jedoch, dass die gesamte Elektronik integriert ist, steht dieser Streaming-Aktivlautsprecher gegenüber der Konkurrenz von High-End-Passivlautsprechern und separater Einzelkomponenten gar nicht schlecht da. Bleibt nur zu hoffen, dass Focal & Naim das bestechende Konzept auch noch in bezahlbare Preisklassen heruntertransferiert.