Um in diesen eher düsteren Zeiten etwas Leichtes, Beglückendes zu besprechen, dachte ich an be-swingenden «Gypsy Jazz». Natürlich wäre da die Erwähnung einer «Hot Club de France»-CD ideal, doch die bestehenden Aufnahmen aus den 30er-Jahren sind zwar Zeit- und Klangdokumente von unschätzbarem Wert – Django Reinhardt war ein einmaliges Übertalent –, doch gibt es leider immer noch keine überzeugend restaurierten Audiodokumente dieser Gruppe.
Dafür war Stéphane Grappelli, Gründungsmitglied des Hot Club, noch als 80-Jähriger aktiv, und so existiert eine Fülle hervorragender Alben dieses aussergewöhnlichen Musikers.
Stéphane Grappelli (aka Stephane Grappelly)
Am 26. Januar 1908 begann in Paris Stéphanes bewegtes Leben: Grappellis Mutter war Französin, sein Vater Italiener, genauer ein italienischer Marchese, der in Paris Italienisch unterrichtete und Artikel für lokale Zeitungen schrieb.
Mit fünf Jahren verlor Grappelli seine Mutter, zwei Jahre später wurde sein Vater, der nun für ihn sorgte, wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs in die italienische Armee eingezogen. Stéphane überlebte die Kriegsjahre in einem katholischen Waisenhaus in Frankreich.
Ende 1918 kehrte sein Vater aus dem Krieg zurück. Um seinem Sohn eine bessere Zukunft zu ermöglichen, kümmerte er sich um dessen französische Staatsangehörigkeit: Am 18. Juni 1919 wurde aus Stefano Stéphane.
Stéphane interessierte sich schon früh für Musik. Mit 12 erhielt er seine erste (3/4) Geige und einige Unterrichtsstunden, doch er wollte dieses Instrument lieber auf eigene Faust entdecken und erlernen. Als er selber nicht mehr weiterkam, meldete ihn sein Vater am Pariser Konservatorium an, wo Grappelli 1923 promovierte.
Mit 15 war Grappelli auf sich selbst gestellt. Er spielte während zwei Jahren sechs Stunden am Tag mit dem Live-Orchester zu Stummfilmen im Théâtre Gaumont. Nach einem Paul-Whiteman-Konzert mit dem Violinisten Joe Venuti wollte Stéphane Jazz spielen.
Doch dann folgte eine Zeit, in der Grappelli der Geige den Rücken kehrte und sich dem Klavier widmete, da er damit mehr verdienen konnte. Er wurde Pianist in einer Big Band, deren Leader ihn später zur Violine und zur Improvisation zurückbekehrte.
1930 führte ihn der Zufall erstmals mit Django Reinhardt zusammen. Die zwei verstanden sich musikalisch auf Anhieb, doch da beide mit ihren Bands vertraglich verpflichtet waren, ergab sich aus diesem Nachmittags-Jam keine unmittelbare, weitere Zusammenarbeit.
Erst vier Jahre später entstand in Paris das legendäre «Quintette du Hot Club de France», das bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 existierte. Grappelli gründete eine Band in London, und 1940 engagierte er einen Jazz-Pianisten namens George Shearing.
Nach Kriegsende kam es zu diversen Wiedervereinigungen von Django und Stéphane und sogar zu einer kurzen Italien-Tournee. 1953 verstarb Django Reinhardt 43-jährig nach einem Schlaganfall.
Die nächsten 18 Jahre waren eher mager für Grappelli, da sein Stil nicht besonders gefragt und er nicht an Be-Bop interessiert war. Von 1967 bis 1972 lebte und spielte er im Pariser Hilton Hotel eine Art «Lounge Jazz».
1973 konnte der britische Gitarrist Diz Disley Grappelli zu einem «Hot-Club»-Revival überreden. Der Erfolg am Cambridge Folk Festival war so riesig, dass Grappelli von nun an die Welt bereiste. Die Grössten des Jazz wurden auf ihn aufmerksam und wollten mit ihm spielen. Stéphane Grappelli ist auf hunderten von Aufnahmen zu hören, u. a. mit Duke Ellington, Oscar Peterson, Gary Burton u. v. m.
1997 erhielt Grappelli den Grammy Lifetime Achievement Award und wurde in die Down Beat Jazz Hall of Fame aufgenommen. Am 1. Dezember 1997 verstarb Stéphane Grappelli 89-jährig in Paris.
Die britische Jazz-Pianistin und Radio-Moderatorin Marian McPartland (1918–2013) lud für ihre Sendung «Jazz Piano» Jazzgrössen ein. Neben den Gesprächen entstanden auch die überraschendsten Kollaborationen zwischen der Pianistin und dem Gast.
Die am 5. Oktober 1989 aufgezeichnete, beinahe einstündige Sendung mit Stéphane Grappelli (in Englisch) mit viel improvisierter Musik kann man heute noch auf NPR geniessen.
«Violinspiration»
Dieses Album ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Es wurde zwei Jahre nach der ersten Begegnung von Diz Disley und Grappelli aufgenommen. Mit von der Partie ist der Schweizer Multiinstrumentalist Isla Eckinger, hier am Bass. Dazu ist die Session hervorragend aufgenommen.
Doch «interessant» ist hier beinahe fehl am Platz: «Violinspiration» ist von A–Z ein Aufsteller, ein Gute-Laune-Verbreiter, ein Fussmitwipper, ein Schmunzelerzeuger – kurz: ein Glücklichmacher. Jeder der vier Musiker kommt voll zum Zug (am wenigsten wohl der Rhythmusgitarrist Ike Isaacs) und steckt die anderen mit seinen Soli an.
Zwar sind 12 der 13 Stücke bekannte Swing-Nummern, die Grappelli zuvor und danach mehrfach interpretiert hatte, doch gelingt es dem Violinisten, sogar die Themen jedes Mal leicht differenziert zu spielen. Die Improvisationen sind bei jeder Session meist grundverschieden, voller Abenteuerlust und Spielfreude.
Jazz Reviewer Scott Yanow (AllMusic.com) schreibt am Schluss seiner begeisterten Beurteilung: «Diese LP wird schwer zu finden sein, aber sie belohnt jeden, der eine Kopie erwerben kann.» Das war vor der Neuauflage durch MPS/Edel und vor Streaming-Services wie Qobuz.
Übrigens: Ein Jahr nach dieser Aufnahme gab es – nach 30 Jahren – eine «Reunion» mit George Shearing. Falls Sie nach mehr Stéphane Grappelli dürsten: auch dieses Album ist eine echte Empfehlung.
Fazit
Unter den vielen, meist ausgezeichneten, aber zumindest immer guten Alben von Stéphane Grappelli, gehört «Violinspiration» zu meinen Favoriten, auch weil die Aufnahme von HGBS dank dessen Sohn u. a. digitalisiert in Hi-Res-Audio verfügbar wurde.
Ich bin mir bewusst, dass die Geschmäcker verschieden sind, doch für mich ist dies ein wirklicher Corona-Blues-Vertreiber.