Nach dem Grosserfolg der LP «Getz/Gilberto» (1963), dem zweiten Stan-Getz-Album mit brasilianischen Einflüssen und Rhythmen, das eine wahre und weltweite Bossa-Nova-Welle im Jazz auslöste, und auf dem eine (noch) unbekannte Astrud Gilberto mit kindlich-naiver Stimme zum «Girl from Ipanema» wurde, wollte Verve-Produzent Creed Taylor mehr:
Schon im Mai 1964 trat das kurz vorher zusammengestellte «New Stan Getz Quartet» im Café Au Go Go in New York City auf. Eigentlich war für das neue Stan Getz Quartet Lou Levy als Pianist vorgesehen, doch der hatte sich bereits anderweitig verpflichtet und empfahl Stan den 21-jährigen Vibraphonisten Gary Burton – ein superber Ersatz, wie sich herausstellte.
Und um den «Girl from Ipanema»-Erfolg auszudehnen, wurde Astrud Gilberto für ein paar Songs integriert, interessanterweise auch mit Liedern aus dem American Songbook, denen Bossa-Nova-Rhythmen unterlegt wurden.
Stan Getz (1927–1991)
Ein weiterer Jazzmusiker mit einem unglaublich bewegten Leben: Als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine spielte er schon als 16-Jähriger Altsaxophon bei Jack Teagarden, dann in Benny Goodmans Band, bei Lionel Hampton und vielen anderen.
Zusammen mit Gitarrist Jimmy Raney wurde er zu einem der bekanntesten Vertreter des West-Coast- resp. Cool Jazz und feierte seine ersten Grosserfolge als Tenorsaxophonist in Woody Hermans Second Herd als einer der «Four brothers».
Nach einem drogenbedingten Gefängnisaufenthalt in den USA zog er sich 1957 mit seiner schwedischen Frau nach Kopenhagen zurück.
Anfang der 60er-Jahre kam der Welterfolg mit Bossa Nova, zuerst mit «Desafinado», zusammen mit Charlie Byrd (1962 auf dem Album «Jazz Samba») und danach folgte sein grösster Erfolg mit «The Girl from Ipanema» (1963 auf dem Album «Getz/Gilberto» und als Single ohne João Gilbertos Gesang). Nach der Bossa-Nova-Welle spielte er in verschiedenen Gruppen, oft auch in Europa.
Für mich eines seiner schönsten Alben ist das kurz vor seinem Tod aufgezeichnete Live-Album «People Time», das er im Duo mit dem Pianisten Kenny Barron im März 1991 im Café Montmartre in Kopenhagen aufnahm.
Astrud Gilberto (*1940)
Die Tochter einer brasilianischen Mutter und eines deutschen Vaters heiratete 1959 João Gilberto und begleitete ihn kurz darauf in die USA, um «unerwarteterweise» bei den Aufnahmen zu «Getz/Gilberto» mitzuwirken. Vor jenen Aufnahmen habe sie nie professionell gesungen. Doch ihre «unschuldig» klingende Stimme wurde dermassen geliebt, dass sie bis Anfang dieses Jahrtausends aktiv blieb und weltweite Erfolge feierte.
Da sich viele Geschichten und Gerüchte um ihre Person verbreiteten, empfehle ich interessierten Leserinnen und Lesern das 2002 entstandene, seltene und ausführliche Interview (in Englisch) auf Astrud Gilbertos Homepage.
Hervorragendes Konzert
Nicht nur die Aufnahmequalität dieses Konzertes ist erstaunlich gut, auch alle Musiker sind in Hochform, begleiten und ergänzen perfekt und solieren brillant. Und was mich am meisten überraschte: Astrud Gilberto, deren Intonationen auf anderen Aufnahmen (besonders live) oft etwas zu wünschen übrig lassen, singt hier alle Songs ohne Fehl und Tadel. Doch halt: Wer spielt denn auf «Corcovado» Klavier? In allen Informationen zu diesem Album, das übrigens ohne Booklet geliefert wird, ist nirgendwo ein Pianist erwähnt. Nun begann ich zu recherchieren und stiess auf eine Vielzahl kontroverser Aussagen. Am meisten überzeugten mich die Bemerkungen, die Gary Burton 2010 in einem Interview zu diesen Aufnahmen machte: «... wir mussten zwei der Aufnahmen in Rudy Van Gelders Studio wiederholen ... der Zuhörer-Sound wurde dazugemischt ...»
In seinem Blog von 2013 behauptet Steve Cerra – ein Bewunderer von Stan Getz und Freund von Gary Burton –, dass Astruds Stimme gar erst nachträglich in die Live-Aufnahmen eingepflanzt worden sei.
Und der US-Jazz-Historiker, Archivar und Produzent Phil Schaap schreibt, dass die Originalaufnahmen zwar vom 22. Mai 1964 stammen, Frau Gilberto jedoch die Vocals im Oktober nochmals im Van Gelder Studio nachaufzeichnete, drei Tage vor ihrem erneuten Auftritt mit dem Stan Getz Quartett in der Carnegie Hall (»Getz/Gilberto #2»).
Trotz allem
Wie dem auch sei, Manipulationen hin oder her: Das Album «Getz au Go Go» ist von A bis Z eine Freude, und verglichen mit heutigen technischen «Verbesserungs»-Möglichkeiten sind damalige Manipulationen kaum erwähnenswert. Und falls ... Rudy Van Gelder hat so oder so ganze Arbeit geleistet.
Nicht nur für Sammler, sondern für alle Jazzfreunde ist «Getz au Go Go» ein schönes Zeitdokument mit vielen Highlights, wie z. B. Gary Burtons Begleitakkorde und Soli.