Geschmäcker sind verschieden, und gerade unter Jazzfreunden herrschen oft tiefe Gräben, wenn es um die Klassifizierung des Stils geht: Ein Akkordeon im Jazz? Naserümpfen. Ein Jazztrio ohne Bass und Schlagzeug? Kaum denkbar. Glücklicherweise sind die meisten Musikliebhaber heute nicht mehr so stur. Und wer immer noch auf althergebrachten Vorurteilen beharrt, verpasst mit dem Album etwas ungemein Schönes, träumerisch Betörendes, aufwühlend Sanftes … wie eben nur das Meer sein kann, das Mare Nostrum.
Ich kannte die Musiker von Audio- und Videoaufnahmen in ihrer eigenen Umgebung. Vor allem Richard Gallianos Musik faszinierte mich immer wieder. Leider hatte ich die erste "Mare Nostrum"-CD verpasst. Umso schöner war die unerwartete Entdeckung dieser europäischen Kollaborationsperle: Jeder der drei Musiker steuert eigene Kompositionen bei. Daneben werden ein traditionelles Lied (arrangiert von Jan Lundgren) sowie je ein Werk von Erik Satie (arr. von Richard Galliano) und Claudio Monteverdi (arr. von Paolo Fresu) interpretiert.
Schon im Eröffnungssong «Apnea» (Atemstillstand) wird eine beinahe meditative Atmosphäre geschaffen, der Übergang vom Akkordeon zur Trompete (mit Dämpfer) ist kaum wahrnehmbar.
Immer noch ruhig bleibt die einzige Komposition mit englischem Titel, «Blue Silence»: Die weichen Flügelhornklänge gefolgt vom nasal-strengen Akkordeon, abgelöst vom Klavier und aufgelöst in einem Flügelhorn-Akkordeon-Unisono. Vorwiegend ruhig jedoch immer abwechslungsreich und spannungsgeladen geht es weiter, bis uns «Leklåt» mit einer rhythmisch akzentuierteren und fröhlich anmutenden Weise überrascht, die in mir Bilder von buntem Strandleben weckt.
In «Le Livre d’un Père Sarde» wird man als Hörer wieder mit Traurigkeit und Altersweisheit konfrontiert. Das Werk schliesst mit dem bittersüssen «Si dolce è il tormento» von Claudio Monteverdi.
Die Zusammenarbeit («Arbeit» klingt schon beinahe zu negativ, nur gibt es das Wort «Zusammengenuss» nicht) ist erlebt, nicht erkrampft, zieht den Zuhörer unmittelbar in diese faszinierende Klangwelt hinein. Von bezauberndem Himmelblau bis zur gischtigen Wellenbahn dürfen wir alles erleben, was das Meer hergibt, auch wenn die traurig-fröhliche Sinnlichkeit überwiegt, ein Gefühl, das wahrscheinlich jeder kennt, der schon alleine am Strand sitzend ins unendliche Meer hinausblickte. Da braucht es weder Bass noch Schlagzeug, der Rhythmus ist einfach da: Oft nur angedeutet, doch dann wieder akzentuiert und klar.
Und obgleich da eine ungewohnte Trio-Formation mit ungewohnten Melodien spielt: Man braucht keine lange Anlaufzeit, um in "Mare Nostrum II" eintauchen zu können. Mein Rat: kopfvoran!