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Publikationsdatum
23. März 2023
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MEDIEN

Musikliebhaber, die sich intensiv mit der Perfektionierung ihrer Audiokette befassen, tauchen gerne tief in die Materie ein. Auf ihrem Weg treffen Sie oft auf kontroverse Aussagen, bilden sich eine eigene Meinung und verfallen immer mal wieder Irrtümern, die auch gerne von den Marketingabteilungen der Audio-Branche gepflegt werden. Die involvierte Technik wird verzerrt wahrgenommen, befruchtet durch stetig repetierte Trugschlüsse, Meinungen und ungenauem Wissen, wie die Technik denn funktioniert.

Nachdem Christian Wenger mit einem fundierten Artikel die Mythen der analogen Musikreproduktion thematisiert hat, soll es ergänzend hier um die Mythen in der digitalen Domäne gehen. Digital-Mythen überzeugend zu widerlegen, ist keine einfache Aufgabe, da hier die Zusammenhänge einiges komplexer sind und für Nicht-Techniker schwerer fassbar. Eine gute Ausgangslage, um – bewusst oder unbewusst – mit Irrtümern und Vereinfachungen Kasse zu machen.

Mehr Gemeinsamkeiten als man meint

Die analoge und die digitale Audiotechnik lässt sich mit den gleichen vier technischen Grundparametern beschreiben und qualifizieren:

  • Rauschen
  • Verzerrungen
  • Frequenzgang
  • Zeitbasierte Fehler

Somit: Trotz der unterschiedlichen technischen Umsetzung von analogen und digitalen Musikaufnahmen sind die qualitätsbestimmenden Kriterien dieselben.
Der Dynamikumfang einer Tonbandmaschine ergibt sich aus der Frage, wie leise ein Musiksignal sein darf, bevor es im Grundrauschen verschwindet.

Und auf der Gegenseite, wie laut ein Signal sein darf, bevor es wegen der magnetischen Bandsättigung verzerrt. Man erreicht mit einer Bandmaschine unter optimalen Bedingungen ohne Rauschunterdrückung rund 70 dB Dynamikumfang. Dies gilt für das Band der ersten Generation.

Studer A 810 – Studio-Bandmaschine.Studer A 810 – Studio-Bandmaschine.

Rauschen und Verzerrungen sind auch in der digitalen Aufnahme- und Wiedergabewelt die Grenzsteine, die den Dynamikumfang definieren – hier ausgedrückt als Bittiefe (Bit/Wortlänge). Für die 16 Bit der CD ergibt sich ein Dynamikumfang von 96 dB. Die Grenze für das leiseste aufnehmbare Signal ist mit dem kleinstwertigen Bit [LSB] gegeben. Ist diese unterste Stufe erreicht, verschwindet das Signal im Quantisierungsrauschen. Wiederum auf der Gegenseite: Geht das Musiksignal über digital null (höchstwertigstes Bit [MSB]) hinaus, entstehen Verzerrungen. Sie sehen, beide Systeme haben die gleichen Grenzkriterien – also Rauschen und Verzerrungen, wenn es um den Dynamikumfang geht.

Bezogen auf die mögliche Dynamik, liegt der Unterschied zwischen digitalen und analogen Systemen beim Verhalten im Grenzbereich. Analoges Rauschen setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Mit jeder Bandkopie, die notwendig zur Musikproduktion ist, nimmt der Rauschpegel um 3 dB zu – und somit nimmt der Dynamikumfang ab. Und so weiter.

In einem analogen System nehmen am oberen Ende die Verzerrungen bei zunehmender Erhöhung des Aufnahmepegels oder der Abhörlautstärke kontinuierlich zu. Von zuerst kaum hörbar bis hin zur kompletten Verzerrung. In einem digitalen System ist das Signal bis kurz vor der Nullgrenze verzerrungsfrei. Nach dem Passieren der Nullgrenze geht es ohne Zwischenstufen in Verzerrung über. Am unteren Ende ist das Quantisierungsrauschen kein Problem, bis das Signal den LSB-Pegel erreicht. Nun beginnt der Encoder oder Decoder Fehler zu produzieren.

Mehr als Digital-Null geht nicht. In diesem Remaster hat der Tonmeister mit zu hoher Lautstärke gearbeitet. Die Signalspitzen sind abgeschnitten = massiv verzerrt.Mehr als Digital-Null geht nicht. In diesem Remaster hat der Tonmeister mit zu hoher Lautstärke gearbeitet. Die Signalspitzen sind abgeschnitten = massiv verzerrt.

Gepflegte Mythen

Auch Frequenzgang- und Zeitfehler gibt es in analogen (Wow und Flutter) wie in digitalen (Jitter) Systemen. Dies alles ist wichtig zu wissen, um Aussagen wie «ein analoges Signal hat eine unendliche Auflösung» als Trugschluss zu erkennen. Und komplementär: «Der nicht erfasste Bereich zwischen zwei (digitalen) Abtastwerten ist verloren. Daher bildet eine immer höhere Abtastrate das Signal immer genauer ab.» Das ist auch ein Trugschluss. Solche Annahmen werden aus Unkenntnis über die Funktionsweise von zeitkontinuierlicher (analog) und zeitdiskreter (digital) Audiotechnik geboren.

Christian Wenger hat in seinem Artikel erwähnt, dass in den Jahren kurz vor Einführung der CD im Frühling 1983 Schallplatten mit «Digital» ausgezeichnet wurden, wenn die Aufnahme in der digitalen Domäne gemacht wurde. Stand dann noch DMM drauf, freute sich der damalige Musikliebhaber und erwartete ein besonders gut klingendes Album. Digital stand für Zukunft und genauere Musikreproduktion. Die Unzulänglichkeiten der Schallplatte kannte man zu Genüge, Vinyl-Verklärung gabs noch nicht. Vinyl war der normale Alltag.

Dann kam die CD. Man schätzte ihre Vorzüge und die saubere Wiedergabe. Aber eine Minderheit bemängelte einen sterilen Klang, konnte sich mit dem neuen Träger nicht anfreunden. Dass die berechtigte Kritik weniger mit dem Medium selbst und vielmehr mit der Musikproduktion zusammenhing, war für die Konsumenten kaum erkennbar. Die Tonmeister und Toningenieure mussten umdenken. Plötzlich hatte man 96 dB Kanaltrennung, nicht mehr nur rund 30 dB. Der Hochton- und Bassbereich musste im Mastering nicht auf ein fragiles Medium mit zur Rillenmitte abnehmender Auflösung angepasst werden. Wenn nun einfach ein Vinyl-Master auf CD veröffentlicht wurde, dann musste man sich über ein verbogenes Klangbild nicht wundern.

Der digitale Zahlenkrimi beginnt schon früh

Bald nach Einführung der Compact Disc kamen CD-Spieler mit neuen Wandlern auf den Markt. 14 Bit, 16 Bit, 18 Bit mit zuerst zweifachem, dann vierfachem Oversampling. Dies waren technische Argumente, die zum Kauf motivieren sollten. Um die Entwicklung der neuen Technik verständlich zu machen, fanden die omnipräsenten Treppengrafiken Einzug. Komplexe Sachverhalte einfach zu erklären, ist schwierig. So tauchte die simple, aber irreführende grafische Darstellung auf: Je mehr Bit und je höher die Samplerate, desto feiner die Treppenstufen. Aha, nun hatten die Analog-Liebhaber eine brauchbare Erklärung für den sterilen Digitalklang. Diese falsche, zu simple Darstellung der Digitaltechnik hält sich bis heute. Dieses Falschverständnis verleitet zu Mehrausgaben, die unnötig sind.

Treppengrafiken: Diese simple Darstellung über Digitaltechnik ist komplett falsch und irreführend. Irgendeine Marketingabteilung hat sie in den 80er-Jahren kreiert und sie wird seitdem fleissig kopiert und kopiert und kopiert.Treppengrafiken: Diese simple Darstellung über Digitaltechnik ist komplett falsch und irreführend. Irgendeine Marketingabteilung hat sie in den 80er-Jahren kreiert und sie wird seitdem fleissig kopiert und kopiert und kopiert.

Aufklärung bitte – aber fundiertes Wissen muss man sich erarbeiten

Machen wir uns auf, die über vierzig Jahre aufgebauten Fehlmeinungen über digitale Audiotechnik zu entlarven und die resultierenden Trugschlüsse zu erkennen. Dies dürfte auch die etwas frustrierten MoFi-Freunde entspannen, die ihre angeblich digital verseuchten Platten nun doch wieder geniessen können.
Die zwei zentralen Auffassungen über Digitaltechnik sind:

  • Das analoge Signal wird bei der A/D-Wandlung nur unvollständig erfasst, somit ist das Resultat ein treppenförmiger Signalverlauf bei der Rückwandlung.
  • In der Folge bilden immer höhere Samplingraten das analoge Signal immer genauer ab.


Sie ahnen es: Beide Annahmen sind grundfalsch.
Richtig ist: Das Musiksignal ist nach der D/A-Wandlung vollständig rekonstruiert – auch die nicht erfassten Werte zwischen den Samples. Und Formate höher als 24Bit/96kHz bringen keinen Mehrwert, da es oberhalb von rund 40 kHz keine Musikinformationen mehr hat.

Höhere Samplingraten als 96 kHz können bei der Arbeit im Aufnahme- und Mastering-Studio durchaus berechtigt sein, aber als Distributionsformat für die heimische Anlage machen sie keinen Sinn. Sie können das nun dem Autor einfach glauben oder sich die Herleitung im Video anschauen.

Fazit

Wer sich etwas genauer und fundiert mit digitaler Audiotechnik befasst, wird schnell erkennen, dass die gängigen Ansichten, wie diese Technik funktioniert, meistens falsch sind. Es hat keine Treppen und Löcher im zurückgewandelten Signal und auch ultrahohe Samplingraten sind nutzlos. Mit fundiertem Wissen kann man auch Geld sparen oder seine Mittel dort investieren, wo ein klanglicher Mehrwert vorhanden ist.

Fritz Fabig Gastautor

Fritz Fabig ist passionierter Musikliebhaber mit Schwerpunkt in der Klassik-Epoche. Nach einer elektrotechnischen Ausbildung und Management/Marketing Weiterbildung erfolgte ein Wechsel in die Audio Branche. Beinahe zwei Dekaden war Fritz Fabig Geschäftsführer der B&W Group Schweiz. Seit Ende 2021 ist er als freischaffender Berater tätig.