Zauberhafte Klangwelten
Wir hörten die komplette neue Classic-Serie – bestehend aus Vorverstärker/Streamer NSC 222, Endverstärker NAP 250 sowie Netzteil NPX 300 – zunächst im Zusammenspiel mit einem Paar Focal Sopra No 1 (Paarpreis: CHF 8498). Diese wunderbar designten Kompaktlautsprecher mit exklusivem Beryllium-Hochtöner gehören zu den tonal ausgeglichensten ihrer Klasse und durften auch schon hier auf avguide.ch ihre Referenzqualitäten unter Beweis stellen. Diese zeigten sie auch an den Naim-Classic-Komponenten in eindrücklicher Manier. Eine solche Leichtigkeit und Mühelosigkeit der Klangentfaltung bekommt man nur selten zu Gehör. Auch von der räumlichen Abbildung durfte man schwärmen. So schaffte die Kombi das Kunststück, eine weit- und tiefräumige Abbildung des orchestralen Klanggeschehens mit perfekt fokussierter Nahzeichnung von Soloinstrumenten zu vereinen.
Nomen est Omen: Dass die neuen Naim-Classic-Komponenten bei klassischer Musik würden punkten können, war ja vielleicht zu erwarten gewesen. Der Eindruck von Livehaftigkeit und die enorme Spielfreude bei Jazz- und Popmusik waren jedoch gleichermassen beeindruckend. So hatte die britisch-französische Kombination sehr viel «Fleisch am Knochen» und agierte alles andere als akademisch sezierend. Vielmehr kreierte sie auf fast unnachahmliche Weise eine intime, unmittelbar anrührende musikalische Erlebniswelt. Stets hatte man das Gefühl, dass bei der Darbietung Vollblutmusiker am Werke waren. Dass die Focal Sopra dabei nicht ganz den ultimativen Tiefbass entfalten konnten, war dem Vorführraum geschuldet.
In einem anderen Hörraum generierte das Naim-Trio schier abartigen Druck und Tiefgang im Bass. Dies im Zusammenspiel mit anderen Kompaktlautsprechern der Topklasse: Die 805 D4 von Bowers & Wilkins (Paarpreis: CHF 8800) sind ebenfalls mit einem exklusiven Hochtöner bestückt: Ihre Diamantkalotte entfaltet eine unglaubliche Klangbrillanz und holte allerfeinste Details aus HiRes-Musik heraus. Bei hochtonreichen Aufnahmen kann das durchaus auch mal des Guten zu viel sein. Zumal dann, wenn die Elektronik ihren Teil zum analytischen Charakter beiträgt.
In Kombination der britischen Edelbox mit der Naim-Elektronik blieb die Klangbalance jedoch stets ausgewogen. Die leichte Loudness-Charakteristik, welche die B&W-Ingenieure diesem Lautsprecher verpasst haben, äusserte sich positiv im Sinne einer lebendigen Vorstellung auch schon bei geringer Lautstärke. Schier unglaublich war jedoch, wie grossartig die Kompaktboxen komplexe Klangereignisse wie etwa Sinfonien oder monumentale Instrumente wie Konzertflügel oder Kirchenorgeln in Szene setzten. Bei geschlossenen Augen sah man deutlich grössere Lautsprecher vor sich im Hörraum stehen.
Punkto Transparenz und Auflösungsvermögen steht die Naim-Kombi ebenfalls sehr gut da. Zwar wird der Vorverstärker – nach typischer Naim-Manier – in der Bandbreite ab 27 kHz (-3 dB) nach oben hin sanft begrenzt. Dennoch klingen die Briten in keiner Weise eingebremst. Vielmehr gefallen die Agilität und Spielfreude, mit der sie jedwede musikalische Kost zum Besten geben. Der Wohlfühlfaktor, den sie dabei kreieren, resultiert aus wunderbaren Klangfarben und einem ausgeprägtem Gefühl für natürliches Timbre – sowohl bei Stimmen als auch von akustischen Instrumenten. In bester Naim-Tradition bildet das Trio also nach wie vor den Massstab für besondere Musikalität der Wiedergabe, deren Faszination man sich nur schwer entziehen kann.
Natürlich wollten wir auch noch wissen, wie sich der NSC 222 ohne optionales Netzteil schlagen würde. Schliesslich schlägt Letzteres mit satten CHF 6999 zu Buche. So hörten wir die Kombi NSC 222/NAP 250 über längere Zeit im Zusammenspiel mit einem Paar 703 S3 von Bowers & Wilkins (Test nachzulesen: hier). Diese schlagen zwar «nur» mit CHF 5000 (das Paar) zu Buche, klingen jedoch weit besser, als es die Preisklasse vermuten liesse. Über die Naim-Kombination gehört, wuchsen die Standboxen im wahrsten Sinn des Wortes über sich hinaus und legten eine musikalische Darbietung an den Tag, die man nur als aussergewöhnlich und grossartig charakterisieren kann. Das klingt so gut, dass unwillkürlich Zweifel auftauchen, ob es zur Verwirklichung audiophiler Ansprüche denn immer teurere High-End-Lautsprecher benötigt.
Positiv fällt auf, dass der NSC 222 praktisch jede musikalische Quelle optimal wiedergibt. So war es auch ein veritables Vergnügen, im dedizierten «HiDef»-Webradio-Angebot verschiedene Sender mit Datenraten von bis zu 2 Mbit/s anzuhören. Im Vergleich zu vor zwei Jahren finden sich hier schon deutlich mehr Stationen, gerade auch im Bereich Pop und Hip-Hop.
Der Phono-Eingang ist für MM-Tonzellen ausgelegt. Er kann sich ebenfalls durchaus hören lassen. Wir hörten wieder einmal den audiophilen Evergreen «Cantate Domino»: Das Wiedergabeniveau ab einem Benz Ruby 2, dessen Ausgangsspannung über einen «Reference MC Pre-Preamp» von FM Acoustics vorab auf MM-Niveau gebracht wurde, gab viel Anlass zur Freude. Im Vergleich zur gestreamten Version ab Qobuz (in 24-Bit/192-kHz) wirkte das Timbre etwas samtiger; der Klang aber insgesamt sehr ausdrucksstark und stimmig.
Beim Streamen von HiRes-Musik ab Qobuz darf man dem NSC 222 zweifelsfrei Referenzqualitäten bescheinigen. Auf dieser Plattform finden sich immer mehr Alben in 24-Bit/192-kHz: Absolut faszinierend, welches Niveau heutzutage beim Online-Musikgenuss möglich wird.
Der Naim gibt gute Klassik-Aufnahmen wunderbar feinsinnig, mit reichhaltigem Obertonspektrum und tollen Klangfarben wieder. Die räumliche Abbildung gehört wohl zum Besten, was Technik (nicht nur in dieser Preisklasse) möglich macht. Besser wird es nur noch, wenn man Aufnahmen in DXD-Masterqualität (wahlweise ab NAS, USB-Stick oder via Roon-Server) über den NSC 222 wiedergibt. Zwar gibt der Naim auch DSD128 (nicht aber DSD256) in bestechender Qualität wieder. Den Aufpreis für dieses Format kann man sich jedoch getrost sparen. Beim Anhören einschlägiger Titel im DXD-Format (beispielsweise das anrührende «Blågutten» des Hoff-Ensembles) bleibt garantiert kein Auge trocken.
Fazit
Bleibt noch die abschliessende Frage zu klären: Welchen Stellenwert nimmt das optionale Netzteil NPX 300 im neuen Naim-Classic-Trio ein? Nach langanhaltendem Hörgenuss «nur» mit dem NSC 222 war für den Autor klar, dass dieser Streamer/Vorverstärker rundum und ohne Vorbehalte höchsten Musikgenuss verspricht. Wer damit hört, für den kommt vorderhand nur schwerlich der Wunsch nach «noch mehr» Klangqualität auf. Hat man dann doch mal die Gelegenheit, die Kombination NSC 222 und NPX 300 im Verbund zu hören, wird man unschwer feststellen, dass es eben nochmals deutlich besser geht. Die Kombi mit Netzteil offeriert einfach noch mehr Abbildungsschärfe, Plastizität und räumliche Transparenz. Ob man das wirklich benötigt, muss natürlich jeder potenzielle Käufer selber entscheiden – auch anhand einer kompletten Anlagenplanung. Tatsache ist aber, dass auch schon der «nackte» NSC 222 höchste Ansprüche vollumfänglich zufriedenstellt. Ein eigentliches «Dream-Team» bildet er im Zusammenspiel mit dem neuen Endverstärker NAP 250 – und wahrscheinlich mit jedem guten Lautsprecher.