Erinnern Sie sich an die Hochzeitsfest-Szene im 1991 erschienen Film «Father of the Bride» mit Steve Martin? Sie war untermalt mit einer (damals) unbekannten Version des American Classics «The Way You Look Tonight».
Dieselbe Stimme war zu hören in der Folgeversion der Brautvatergeschichte, diesmal mit dem Song «Give Me the Simple Life». Es war die Stimme von Steve Tyrell, die aufhorchen liess und die eigentliche Gesangskarriere des damals bereits 46-Jährigen so richtig in Schwung brachte.
Steve Tyrell
Stephen Louis Bilao III wurde im Dezember 1944 in Palo Pino County (TX) geboren. Schon früh war für ihn klar, dass er etwas in der Musikindustrie werden wollte. Er «vereinfachte» seinen Namen und spielte und sang in lokalen R&B-Bands in Houston und Umgebung. Auf der Suche nach «Grösserem» zog er nach New York, wo er, achtzehnjährig, bei Scepter Records eine Stelle fand. Bald stieg er dort zum A&R-Verantwortlichen auf und produzierte u. a. Burt Bacharach/Hal David-Songs mit Dionne Warwick. Er «entdeckte» auch den Sänger B.J. Thomas und produzierte dessen Hit «Raindrops Keep Falling on My Head» (ebenfalls eine Bacharach/David-Komposition) für den 1969 erschienenen Film «Butch Cassidy and the Sundance Kid» mit Paul Newman und Robert Redford.
Doch auch als Komponist war Tyrell erfolgreich: Neben dem Gold-Hit «How do You talk to an Angel» kreierte er Musik für weitere Filme und auch für TV-Serien, was ihn zum Umzug nach Los Angeles bewog. Dank seines positiven Engagements lernte er eine Vielzahl «wichtiger Leute» im Musikbusiness kennen, engagierte seine Lieblingsmusiker für Produktionen mit Sängerinnen und Sängern, was ihm Jahre später wieder zugutekommen sollte.
Doch erst 1991 trat er wieder persönlich in Rampenlicht bzw. im Studio auf, als er die Songs für die eingangs erwähnten «Father of the Bride»-Filme aufnahm. Doch dauerte es weitere acht Jahre, bis er diese und weitere Songs des American Songbooks auf dem Album «A New Standard» bei Concord Records veröffentlichte.
Dank des (unerwarteten) Grosserfolgs folgten bald weitere Alben: 2001 kam «Standard Time», 2002 ein weihnächtlich motiviertes «This Time of the Year» und 2003 «This Guy’s in Love» mit poppigen Evergreens. Es folgten beinahe Schlag auf Schlag weitere Alben, die viele der bekannten Lieder des American Songbooks in neuer Form enthalten, meist mit eingebetteten, aufwendigen Big-Band- und Strings-Arrangements.
Es erstaunt also nicht, dass hinter dem dritten Album von Rod Stewarts «The Great American Songbook» Steve Tyrell als Produzent die Fäden zog. Neben seinen Jobs als Produzent und Komponist hat er eine regelmässige Sendung bei KJazz und tourt mit seiner Band – diesen Oktober/November zum Beispiel sogar wieder in der Toscana in Monteverdi.
«Shades of Ray»
Die meisten Alben von Steve Tyrell haben ein Thema. So singt er die Songs von Bacharach (soeben in HiRes-Audio mit fünf zusätzlichen Songs neu aufgelegt), oder Disney-Film-Standards und Songs of Sinatra (mit spezieller Unterstützung der Sinatra-Familie).
Diesmal sind es die Songs von Ray Charles. Und das hat einen besonderen Grund: 1989 wurde Steve Tyrell beauftragt, einen Titelsong für eine neue TV-Serie zu schreiben: Die CBS-Serie «Snoops» wurde zwar bald wieder abgesetzt, doch für den Titelsong «Curiosity» hatte sich Steve einen Jugendtraum erfüllt: Er fragte Ray Charles an, ob er mit ihm im Duett «Curiosity» aufnehmen würde. Zu seiner Überraschung sagte Ray Charles, nachdem er den Song in der Demoversion gehört hatte, zu. Die damals entstandene Version wurde nie veröffentlicht … bis heute. Natürlich fällt der Unterschied sowohl in der Instrumentierung als auch in der Aufnahmequalität auf, doch als Bonus Track und Zeitdokument macht er sich gut auf dieser Sammlung von Ray-Charles-Songs.
Die Liederauswahl trifft meinen Geschmack nicht hundertprozentig, doch zeigt sich einmal mehr, wie breitgefächert Steve Tyrells Liebe zu Songs ist. Er, der neben Jazz- und Popgrössen auch Country-Stars wie Dolly Parton und Linda Ronstadt, aber auch Latin-Grössen wie Aaron Neville produziert hatte, fühlt sich in all diesen Musikgenres zuhause.
«Shades of Ray» ist ein vielschichtiges Album, teilweise mit mitreissenden, jazzigen Versionen, doch auch mit (für meinen Geschmack) etwas zu süssen Interpretationen, in einer Mischung von Smooth Jazz und Country. Auch die Klangqualität ist nicht einheitlich: Einige Songs verdienen eine 10, andere wiederum nur eine 6.
Fazit
Steve Tyrells Stimme hat mich von Anfang an fasziniert. Im Gegensatz zu vielen Sängern erkennt man ihn – was immer er auch interpretiert – nach wenigen Takten. Das hebt ihn von der Masse ab.
Ob man seine Musik respektive seine Stimme mag, ist (wie immer) Geschmacksache. Doch die Tatsache, dass sich auf «Shades of Ray» so viele unterschiedliche Stile finden, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass viele Geschmäcker abgedeckt werden. Schliesslich hat sich auch Ray Charles in vielen Musikgenres zuhause gefühlt.
Also: Ein abwechslungsreiches Wohlfühlalbum mit swingenden, schwülstig schönen und groovigen Stücken.