Falls Sie noch auf der Suche nach geeigneter Sommermusik sind – und da Sie diese Rezension lesen, nehme ich an, dass Sie sich nicht mit einem 08/15-Sommerhit zufriedengeben – hier mein Vorschlag: Nicht Jazz im eigentlichen Sinn, eher Steely-Dan-beeinflusste Singer/Songwriter-Lieder mit bildhaften Texten, neu und zeitgemäss verpackt und interpretiert von Leo Sidran.
Leo Sidran
Irgendwie kam mir der Name Sidran bekannt vor, doch war das nicht Ben Sidran? Ben Sidran (Jahrgang 1943), der Pianist, Organist und Sänger, der 1967 mit der Steve Miller Band und seinem «Space Cowboy» erste Erfolge feierte, sich später dem Jazz zuwandte und sich als Journalist und Produzent einen Namen machte?
Und nun tritt Leo, sein Sohn (Jahrgang 1976), in seine Fussstapfen. Leo begann früh eigene Lieder zu schreiben. Sein erstes Instrument war das Schlagzeug, zu hören auf diversen Alben seines Vaters. Und auch für die Steve Miller Band schrieb Leo einige Songs. Es war Steve Miller, der dem High-School-Studenten das Gitarrenspiel beibrachte.
Schon in früheren Zeiten begann Leo Sidran seine Songs selbst einzuspielen, lud Gastmusiker ein und mischte die Endprodukte im Alleingang in seinem kleinen Studio. Nach einem Studienjahr in Spanien (Madrid) entstand sein erstes zweisprachiges Album. Und nach Madrid zog es ihn immer wieder zurück.
Auf «Cool School» spielt Leo Sidran die meisten Instrumente selber, lässt sich jedoch gesanglich sowie instrumental von diversen Freunden unterstützen. Aussergewöhnlich ist, dass er diesmal keine eigenen Lieder vorstellt, sondern ausschliesslich Songs von Michael Franks interpretiert, die er neu arrangiert, also sozusagen neu verpackt hat.
Michael Franks
Der Name Michael Franks war mir zuvor nicht geläufig. Als ich in der Stückliste auf «Popsicle Toes» stiess, stutzte ich: Das kannte ich doch von Diana Krall (zu finden auf ihrem 1998 erschienen Album «When I Look in Your Eyes»). Nun wollte ich mehr wissen.
Michael Franks (*1944 in La Jolla), der übrigens auf diesem Album in «The Cool School» seine Geschichte erzählt/singt, hat unzählige Songs geschrieben, u. a. für Carmen McRae, Patti LaBelle und The Carpenters. Viele Songs hat er auch auf eigenen Alben veröffentlicht. Und eben erschien sein neustes Werk «The Music in my Head». Seine Texte sind originelle Bildcollagen und Denkanstösse, sie weisen auf sein Literaturstudium hin, die Melodien klingen einfach, sind es jedoch nicht.
«Cool School»
Leo Sidran ist es gelungen, den Michael-Franks-Songs, denen man im Original die Jahre anhört, neues Leben einzuhauchen, ohne sie allzu sehr zu verändern. Mit viel Geschmack verpasste er den Arrangements Swing, Groove und eine Prise Latin Feeling, ohne je laut oder gar aufdringlich zu werden. Seine Stimme wirkt eher durchschnittlich, verfügt jedoch eben gerade dadurch über das gewisse Etwas, das diese Covers so attraktiv macht. Und natürlich sind es all die hervorragenden Gastmusiker und -sängerInnen, die der gesamten Produktion noch ein glänzendes Finish verpassen.
Verglichen mit «Mucho Leo» (2015), auf der Leo Sidran sämtliche Instrumente selber spielte und auch alle Vocals übernahm, klingt «Cool School» einiges ausgereifter, raffinierter und ist auch von der Abmischung, vom gesamten Klangeindruck her, klarer und professioneller.
Fazit
«Cool School» kommt so unverkrampft, entspannt – eben cool – daher, dass man nach den rund 50 Minuten gerne nochmals von vorne beginnt. Beim zweiten Hören merkt man dann, wie viele Details man beim ersten Durchgang verpasste … und muss ein drittes und viertes Mal eintauchen, um auch beim fünften Mal immer noch Neues zu entdecken.
Für mich ist «Cool School» das ideale Sommer-Liegestuhl-Kopfhöreralbum.