Schon die ersten 12 Sekunden lassen aufhorchen … und dann geht die Post ab: The «Proposal», das Eröffnungsstück von «Trumpets of Michel-Ange» ist der jubelnde Beginn, der zuerst ein Schmunzeln auslöst, dann zum Mitklatschen animiert und schliesslich sogar Sofahocker zum Bewegen einlädt.
Sein neustes Album widmet Ibrahim Maalouf seiner Heimat und vor allem seinem Vater, der 1960 die Viertelton-Trompete entwickelt hatte, die dieses Album erst ermöglichte. Die Trompeten des Michelangelo (wie sie heute genannt werden) sind nun unter der Bezeichnung TOMA weltweit erhältlich.
Ibrahim Maalouf
Der aus dem Libanon stammende Ibrahim wurde am 5. November 1980 in Beirut geboren. Sein Vater Nassim war Bauer und Trompeter, seine Mutter Nada Pianistin und bereits sein Grossvater hatte ein eigenes Orchester, das auf dem Cover zu sehen ist.
Wegen des anhaltenden Bürgerkriegs im Libanon (1975–1990), floh die Familie Maalouf nach Paris. Als Ibrahim sieben Jahre alt war, erhielt er Trompetenunterricht von seinem Vater, der selbst am Konservatorium von Paris Schüler des französischen Startrompeters Maurice André war. Nassim hatte 1960 die «mikrotonale Trompete» erfunden, mit der man, dank eines zusätzlichen Ventils, Vierteltöne erzeugen kann, wie sie in der arabischen Musik vorkommen.
Der Teenager Ibrahim ging mit seinem Vater auf Tournee in Europa und im Nahen Osten. Ihr Repertoire bestand vorwiegend aus klassischer Musik der Barock-Epoche (Albinoni, Purcell, Vivaldi und Bach). Mit 17 schloss Ibrahim seine wissenschaftlichen Studien (erweiterte Mathematik) in Étampes, südwestlich der Hauptstadt, ab.
Maurice André, der erlebt hatte, wie Ibrahim das schwierige «Zweite Brandenburgische Konzert» von J.S. Bach meisterte, empfahl ihm, die Wissenschaften zugunsten der Musik aufzugeben. Und so studierte Ibrahim fünf Jahre am Pariser Konservatorium Trompete und Komposition.
Nachdem er sich als erfolgreicher Interpret klassischer Musik etabliert und mehrere internationale Preise gewonnen hatte, erachtete er die Einschränkungen dieser Musikrichtung als zu gross, fand Interesse an Improvisation, an Jazz, Soul, Hip-Hop und R&B und machte sich daran, diese Stile mit der Musik seiner Heimat zu kombinieren.
Bei einem Konzert am Jazzfestival in Montreux begeisterte er Quincy Jones, der ihn nach Los Angeles einlud. Er arbeitete mit Wynton Marsalis zusammen, stand auf der Bühne mit Stevie Wonder und John Legend und produzierte Musik mit Sting, Vanessa Paradis, Juliette Gréco und Archie Shepp.
Und auch mit seinen Kompositionen sorgte er für Aufsehen. Mehr und mehr gelang es ihm, seine arabischen Wurzeln mit westlicher Musik zu kombinieren. Er integrierte Rapper, R&B-Musiker, Sänger wie Grégory Porter, aber auch brasilianische und frankofone Künstlerinnen und Künstler in seine Musik.
2022 wurde er als erster libanesischer Instrumentalist für einen Grammy nominiert, für seine Zusammenarbeit mit Angelique Kidjo (Queen of Sheba).
«Trumpets of Michel-Ange»
Ibrahim Maaloufs Kommentar (frei zusammengefasst): «Einerseits kann ich mit diesem Album den Traum meines Vaters erfüllen, seine 1960 entwickelte Viertel-Ton-Trompete mit der ganzen Welt zu teilen. Zudem bedeutet dieses Album auch die Verbindung zwischen den Generationen, die Weitergabe von Werten der Eltern an ihre Kinder, der Lehrer an ihre Schülerinnen und Schüler.»
Die «Trumpets of Michel-Ange» wurde ohne Overdubs und nachträglichen Bearbeitungen aufgenommen, was die Lebendigkeit und Echtheit der Darbietung unterstreicht. Die zehn Kompositionen erzählen die Geschichte eines jungen Paares, von ihrer Hochzeit, der Geburt ihrer Kinder bis zum schmerzlichen Abschied, wenn die erwachsenen Kinder das Nest verlassen. Das Lied «The Smile of Rita», seiner dritten Tochter gewidmet, lässt erahnen, dass viele Erlebnisse direkt aus seinem Leben gegriffen sind.
Die Vielseitigkeit der Stimmungen und der Rhythmen sowie die Klangvielfalt machen dieses Album zu einem speziellen Ereignis. Sowohl die komplexen, mit enormer Präzision gespielten Arrangements, als auch die exzeptionellen Soli der Gäste, aber vor allem die mit scheinbarer Leichtigkeit eingebetteten, hochkomplexen Trompeteneinlagen von Ibrahim Maalouf lassen die Bezeichnung «Meisterwerk» zu.
Einige Passagen erinnern – und dies ist nun absolut nicht abschätzig gemeint – an hervorragende Guggenmusik (wohl auch wegen der eingebauten Vierteltöne), die Lebensfreude, gemeinsamen Plausch und mitreissendes Zusammengehörigkeitsgefühl auslöst.
Und so passt denn auch das Cover bestens zu diesem Album von Zusammengehörigkeit, Familie und Liebe: Es ist ein Bild von Ibrahims Grossvater und seiner Band, aufgenommen 1925 in ihrem Dorf im Libanon.
Fazit
Normalerweise bin ich orientalischer Musik nicht besonders angetan, doch Ibrahim Maalouf hat mich mit seinen Michelangelo-Trompeten (so nennt er die Konstruktion seines Vaters) vom ersten Ton an völlig in seinen Bann gezogen.
Ich hoffe, es geht Ihnen ebenso, wenn Sie sich die Zeit nehmen, in dieses Album einzutauchen.