Als ich beim Durchlesen der Neuerscheinungen die Stückliste des «Black on White»-Albums von Helge Iberg sah, dachte ich: ‹Schon wieder jemand, der sich an Beatles-Liedern vergreift. Es gibt ja bereits unzählige Alben mit selten mehr, aber meist weniger gelungenen Coverversionen der bekanntesten Songs der Fab Four›.
Auch sagte mir der Name Helge Iberg nichts. Und Piano-Solo-Aufnahmen entstanden während den Covid-Restriktionen zuhauf. Nicht Besonderes erwartend wollte ich dennoch ein Ohr voll genehmigen … und sass dann gebannt die knappe Stunde in meinem «Audio-Sessel».
Helge Iberg
Informationen über diesen norwegischen Pianisten und Komponisten gibt es nur wenige: Helge Iberg wurde 1954 in Norwegen geboren. In einem Interview erzählt er, dass ihn sein Vater, ein Amateurmusiker, schon früh, mit vier oder fünf, zum Klavierunterricht ermutigte und ihn überzeugte, möglichst viele Musikarten zu hören. Dies habe sein Interesse an Jazz und an klassischer Musik geweckt. Auch habe er damals davon geträumt, als klassischer Pianist die Welt zu bereisen. Doch neurologische Probleme hätten diese Träume zunichtegemacht.
Iberg studierte dann an der Universität Oslo Religionswissenschaft, Philosophie (die Geschichte der Ideen, des Intellekts) und Musik mit Schwerpunkt Komposition. Er gründete die Jazzband «Fusion», musste sich jedoch nach kurzer Zeit aus den oben erwähnten gesundheitlichen Gründen aus den Live-Auftritten verabschieden.
Nun widmete er seine volle Aufmerksamkeit der modernen Orchestermusik: Seine Werke wurden von diversen, vor allem norwegischen Symphonie- sowie Kammerorchestern gespielt. Für seine Oper «Det ondes problem» (Das Problem des Bösen) erhielt er mehrere Preise und Auszeichnungen, u.a. den «norwegischen Grammy». Neben seinen Kompositionen für bestimmte Musiker und Sängerinnen drückte immer wieder seine Liebe zum Jazz, zur Improvisation durch.
Schon lange hatte er mit der Möglichkeit geliebäugelt, bekannte Melodien neu zu interpretieren. Körperliches und mentales Training über die letzten Jahre ermöglichten ihm eine Art Neustart als Improvisator, als Jazzpianist.
Beatles-Songs
Der Auslöser zu diesem Album kam an einer Dinner-Party, als ihn ein Freund bat, einen Beatles-Song zu spielen. «Ich war überrascht, wie schnell der Funke übersprang, wie einfach es war, meine eigenen Ideen in die Songs einzubinden, und wie positiv das Publikum darauf reagierte.» Bald folgte die Aufmunterung, Aufnahmen von seinen Interpretationen des Beatles-Materials zu machen.
«Die Lieder als solche sind lebendige Evergreens, doch sollten meine erweiterten Versionen Überraschungen und Freude bringen, ohne allzu künstlich oder «kunstvoll» zu wirken. Doch nehme ich mir die Freiheit, diese wunderbaren Songs sowohl harmonisch als auch tonal zu erweitern.»
«The Black on White Album»
Helge Ibergs Interpretationen der Beatles-Hits sind keine Fusswipper. Selten spürt man den Rhythmus des Originals, und doch ist er allgegenwärtig. Und dann kommen noch die musikalischen Farbtupfer hinzu, zum Beispiel, wenn die Amsel (in «Blackbird») förmlich zum Leben erwacht. Und die Liebesgeschichte «Michelle» wird plötzlich dreidimensional, gewinnt an Echtheit, da weitere Gefühlsebenen hinzukommen. Sogar bei Gassenhauern wie «Ob-ladi-ob-la-da» und «Yellow Submarine» funktioniert die Veränderung: In Ibergs Variationen erhalten sie Emotionales.
Beim Geniessen dieses Albums entstand bei mir der Eindruck, als wäre ich an jener Dinner-Party: Der ebenfalls eingeladene Pianist improvisiert gerade im Moment über ihm vorgeschlagene Beatles-Songs. Das Ganze wirkt ungezwungen, spontan, ja direkt intim. Wie bei allen Momentaufnahmen gibt es auch hier überraschende Ecken und Kanten, die jedoch spätestens beim dritten Durchhören Sinn ergeben, da sie sein müssen.
Wenn dann allerdings in «Lady Madonna» plötzlich eine Rhythmusunterstützung zu hören ist, fragt man sich, wer da (mit Besen) den Takt angibt. Antwort darauf habe ich nirgendwo gefunden. Auch gibt es ein paar Stellen, bei denen man hört, dass zwei Aufnahmen ineinander verschmelzen, was bei einem Live-Vortrag nicht möglich wäre. Den positiven Allgemeineindruck schmälert beides jedoch nicht.
Doch in welche Kategorie soll man nun dieses Album einordnen? Jazz, weil improvisiert? Pop, weil die Melodien der Pop-Kultur zugeordnet werden? Klassisch, weil einzelne Teile auch aus einem Klavierkonzert stammen könnten? Vergessen wir eine Klassifizierung! Es ist einfach Musik – faszinierende, überraschende, schöne Musik.
Fazit
Helge Iberg gelang es, elf Kompositionen von Paul McCartney und eine von George Harrison mit klassischem Flair und Fantasie-unterstützenden Farbtupfern zu versehen – und damit diesen Melodien neues Leben einzuhauchen.
Er gehört deshalb nicht zu den vielen Beatles-Trittbrettfahrern, sondern schafft Neues, aus dem oft bekannte Melodienschnipsel die emotionale Verbindung zu den Originalen herstellt.