Es war auf der LP «A Night at Birdland», die Blue Note Records von Art Blakey und seinen ersten Jazz Messengers 1954 im wohl berühmtesten Jazzlokal New Yorks aufgenommen hatte, als ich zum ersten Mal den Trompeter Clifford Brown hörte. Und bestimmt auch wegen der unvergesslichen Einleitung von Pee Wee Marquette, der Clifford Brown als «the new trumpet sensation» vorstellte, imponierte mir der neue, erst 23-jährige Trompeter. Und obgleich die Aufnahme von damals klanglich kaum mehr heutige Erwartungen erfüllt (und deshalb wohl nie überarbeitet/remastered wurde), ist vor allem das Vol. 1 ein absolut empfehlenswertes Zeitdokument.
Für mich ist diese LP immer wieder ein Genuss (obgleich in Mono und ohne HiRes): Art Blakey stellte immer wieder Jazz Messengers mit neuen Talenten zusammen, die unter seiner Leitung zu Höchstleistungen fanden. So auch hier: Sowohl Clifford Brown als auch Lou Donaldson spielen entfesselte Soli, während der 26-jährige Horace Silver nicht nur das solide Fundament beiträgt, sondern bereits seinen eigenwilligen Klavierstil offenbart, den er weitere 59 Jahre pflegen wird. Ich war begeistert!
Clifford Brown
Clifford Benjamin Brown wurde am 30. Oktober 1930 in Delaware in eine musikalische Familie geboren. Zusammen mit seinen drei Brüdern bildete er schon in seiner Kindheit ein Gesangsquartett. Fasziniert von der golden glänzenden Trompete seines Vaters begann Clifford mit 10 Jahren in der Brassband der Schule Trompete zu blasen. Drei Jahre später war sein Vater überzeugt von der Begabung seines jüngsten Sohnes, kaufte ihm ein gutes Instrument und finanzierte Privatunterricht. Bald spielte dieser in diversen Gruppen, u. a. in der Jazz-orientierten Maryland State Band.
1950 wurde er bei einem Autounfall verletzt und musste für längere Zeit auf seine geliebte Trompete verzichten. Deshalb konzentrierte er sich aufs Klavier. Unterstützt und ermutigt von Dizzy Gillespie und seinem Vorbild Fats Navarro startete Clifford kurz darauf seine Musikkarriere in der R&B Band von Chris Powell.
Dann ging es Schlag auf Schlag: Es folgten Auftritte mit Art Blakey (siehe oben), Tadd Dameron (die LP «West Coast Jazz» ist ebenfalls empfehlenswert – zumindest die ersten acht Titel. Sie wurde 2022 neu HQ remastered, ist allerdings momentan nur bei Amazon und Qobuz erhältlich), Lionel Hampton und J.J. Johnson.
Danach gründete er eine Band mit dem Drummer Max Roach, bei der auch der Pianist Richie Powell, der Bruder des bekannteren Bud Powell, mitwirkte. Roach schuf sich mehr und mehr ein unabhängiges Jazzreich mit eigenem Studio und eigener Plattenfirma, immer zusammen mit Brown.
Doch Clifford Brown arbeitete auch ausserhalb von Max Roachs «Imperium», u. a. mit den Sängerinnen Dinah Washington und Sarah Vaughan. Ende 1954 kehrte er frisch verheiratet an die Ostküste zurück, immer noch enorm aktiv, jedoch etwas weniger hektisch.
Im Juni 1956 waren Clifford Brown und Richie Powell unterwegs zu einem Gig in Chicago. Damit die beiden Musiker etwas schlafen konnten, sass Powells Frau Nancy am Steuer. Es heisst, dass sie nachts bei starkem Regen wohl die Kontrolle über das Fahrzeug verlor … alle drei starben noch auf der Unfallstelle.
Clifford Brown gilt als Ausnahmeerscheinung im Jazz der 50er-Jahre – auch, da er nie Drogen konsumierte und kaum Alkohol trank. Sonny Rollins, der sich damals eben von einem Heroinentzug erholte, sagte, dass Clifford ihm gezeigt habe, dass man auch ohne Drogen ein hervorragender Musiker sein könne. Dies habe sein Leben verändert (Sonny Rollins war bis 2014 aktiver Saxofonist und wird diesen Herbst seinen 93. Geburtstag feiern!).
«Memorial Album»
Normalerweise erwartet man von einem «Memorial Album», dass es Highlights aus dem Leben eines Künstlers beinhaltet. Deshalb ist es eher überraschend, dass eine normale Album-Session diesen Titel erhielt.
Es gibt mindestens zwei Versionen des «Memorial Album»: 2001 rekonstruierte Rudy van Gelder aus diversen Aufnahmen, die zuvor als LPs unter anderem Namen teilweise in gekürzter Form veröffentlicht worden waren, eine erste Version. Er überarbeitete und remasterte die Originalbänder und änderte die Reihenfolge der insgesamt 18 Stücke, mehrere davon sogenannte «Alternate Takes».
Die Original Blue-Note-LP BLP 1526 umfasste nur 10 Stücke und wurde 2014 überarbeitet und 2019 als HiRes Stream (24 Bit / 192 kHz) neu in den Katalog diverser Dienste aufgenommen.
Die an diesem Album beteiligten, meist jungen Musiker, hatten allesamt noch eine lange Karriere vor sich und bildeten sozusagen die Crème de la Crème der damaligen Jazzszene (siehe Besetzung im Steckbrief). Was Clifford Brown betrifft, hätte jedes der diversen Alben, die er 1953/54 (also als 22- resp. 23-Jähriger!) aufgenommen hatte, für eine Rezension gewählt werden können; es war nur die Beschränkung auf HiRes-Remastered-Material, das zu dieser Wahl führte.
Klangmässig ist dieses Album zwar besser als die eingangs erwähnte Birdland-LP, die übrigens auch unter Cliffords Namen als «A Night At Birdland, Vol. 1 & 2» im CD-Format erschienen ist (Tonqualitativ kein Unterschied zur oben erwähnten Jazz Messenger Version). Die Musik ist jedoch wesentlich West-Coast-Jazz-orientierter, arrangierter, teilweise ausgefeilter.
Um die Qualitäten des Clifford Brown voll geniessen und erleben zu können, sollte man sich nicht nur auf dieses «Memorial Album» konzentrieren, sondern sich die Zeit nehmen, weitere Aufnahmen dieses aussergewöhnlichen Talents zu geniessen – auch wenn die Tonqualität mehrheitlich nicht überragend ist. Dazu gehören auch die vielen LPs und CDs mit Max Roach, wobei dieser für meinen Geschmack in vielen Fällen sich und sein Schlagzeug zu dominant einsetzt. Art Blakey ist da trotz seines kraftvollen Drummens einiges subtiler.
Und auch wenn bei Qobuz «stereo» steht, sind sämtliche Clifford-Brown-Aufnahmen «mono».
Dies ist die einzige Videoaufnahme von Clifford Brown, qualitativ kaum vertretbar, jedoch dank des kurzen Gesprächs am Schluss halt eben ein Zeitdokument.
Fazit
Natürlich werden wir nie wissen, was uns Clifford Brown noch alles beschert hätte. Doch glücklicherweise bestehen genügend Tondokumente, die das aussergewöhnliche Talent dieses Ausnahmemusikers aufzeigen. Und die drei oben erwähnten Kompositionen, die zu Jazz Standards wurden, sind «Sandu», «Daahoud» und vor allem «Joy Spring», das auf unzähligen Produktionen zu hören ist und sogar mit Text versehen von vielen SängerInnen und Vokalgruppen interpretiert wird.