MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
12. November 2019
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Eigentlich ist es ein Klavier-Solo-Album mit Gästen: Eine Frauenstimme, eine Männerstimme, ein Flügelhorn, eine Trompete, ein Saxofon und ein Cello. Alle einzeln, im Zusammenspiel mit dem Pianisten – kein Bass, kein Schlagzeug. Einiges ist durcharrangiert, vieles klingt aus dem Moment entstanden, und die meisten Klaviersolostücke sind (laut Baptiste Trotignon) Improvisationen. Doch das Gesamtwerk wirkt als Einheit und ist auch klanglich aussergewöhnlich gut.
Doch wer ist eigentlich dieser Ausnahmepianist?

Baptiste Trotignon

Geboren am 17. Juni 1974 in der Region Paris interessierte sich Baptiste Trotignon schon als Kind für Musik und begann seine Klavierlektionen sowie seine Ausbildung in klassischer Musik im zarten Alter von sechs Jahren. Als Teenager entdeckte er den Jazz und die Improvisation.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts veröffentlichte er zwei Trio-Alben gefolgt von zwei Solo-CDs, die sowohl vom Publikum als auch von den Kritikern sehr wohlwollend aufgenommen wurden und ihm in den Folgejahren diverse Preise bescherten (Prix Django Reinhardt, Best French Newcomer, Grand Prix Martial Solal usw.).

In den darauffolgenden Jahren arbeitet er mit diversen bekannten Namen aus den verschiedensten Musiksparten zusammen, nimmt 2008 in New York sein erstes amerikanisches Album «Share» auf und erhält 2011 einen wichtigen Preis als Komponist. Neben seiner Liebe zu guten Sängerinnen und Sängern – er begleitete u. a. Melody Gardot – komponiert und präsentiert er 2012 auch sein Klavierkonzert «Different Spaces» mit Nicolas Angelich.

2014 kehrt er zu den Trio-Wurzeln zurück, um zwei Jahre später das Projekt «Thousands of Miles» zu veröffentlichen, in dem klassische Musik und Jazz zusammengeführt werden. Doch auch seine Liebe zu südamerikanischen Rhythmen ist präsent: Nach der Vertragsunterzeichnung mit Sony Music entstehen zwei Alben in diesem Genre: «Chimichurri» mit dem argentinischen Perkussionisten Minio Garay und «Ancestral Memories» mit dem kubanischen Saxofonisten Yosvany Terry.

2018 erhält er den deutschen Echo Jazz Award, schafft sein erstes symphonisches Stück «Hiatus et turbulences» zusammen mit dem Orchestre Philharmonique de Radio-France, kurz darauf sein zweites Stück für Klavier und Orchester «L’air de rien» und tritt zum ersten Mal mit Mozarts erstem Klavierkonzert auf.

Und nun also «You’ve changed», das er selbst als «Rückkehr zu sich selbst» bezeichnet.

Baptiste Trotignon in Aktion (© Remi Angeli).Baptiste Trotignon in Aktion (© Remi Angeli).

«You’ve changed»

Wie schon eingangs erwähnt ist dieses neue Album eigentlich ein Piano-Solo-Album mit Gästen. Für sechs der 16 Stücke hat Baptiste Trotignon die unterschiedlichsten Gastmusiker eingeladen.

Schon die ersten zwei Noten von Camélia Jordanas Stimme lassen aufhorchen und lassen einen bis zum Ende des Songs nicht mehr los. Und man kommt auch danach nicht zur Ruhe: Das Verschmelzen von Maaloufs Flügelhorn und Trotignons Klavier gleitet in pianistische Eskapaden hinüber, um dann wieder in ruhigerem, aber nicht minder atemberaubendem Zusammenspiel zu enden.

Wiederum völlig anders präsentiert sich «Sugar Man» mit der Stimme von Thomas de Pourquery – lassen Sie sich überraschen.

Nach zwei Solostücken kommt Avishai Cohens Trompete zum Zug: Ich kenne diverse Versionen von «You’ve changed». Diese hier überträgt auch ohne die Lyrics den ganzen Schmerz, die ganze Trauer, jedoch auch den kleinen Hoffnungsschimmer, den dieses Lied ausdrücken will.

Überraschend altbacken scheint dagegen «These foolish things» mit Joe Lovano, zumindest zu Beginn – die Soli sind es nicht.

Auf die Zusammenarbeit mit dem Cellisten Vincent Segal muss man sich bis zum zweitletzten Stück gedulden: «Adios», eine weitere Komposition von Baptiste Trotignon, beginnt eher kammermusikalisch, entwickelt sich weiter und generiert kraftvolle Gefühlsbilder.

Sämtliche Solostücke haben ihren eigenen Charakter, ihre eigene Aussage. Überraschend, dass bei einigen Stücken (z. B. Sarabande und Milonga) der Klang des Klaviers verändert wurde. Der Klang erinnert hier eher an eine Spinett-Klavier-Kombination. Auch fällt auf, dass in einigen Stücken «Musiker-Geräusche» zu hören sind, was im ersten Moment irritieren mag, dann jedoch die ganze Aufnahme menschlicher, unverfälschter erscheinen lässt.

Klang

Obwohl das Album über zwei Jahre und in verschiedenen Studios aufgenommen wurde, klingt es einheitlich und wie schon erwähnt überraschend gut. Die Balance zwischen den Solisten und dem Klavier ist (für meine Ohren) perfekt, die unterschiedlichen Klavierklänge scheinen gewollt, denn sie geben den jeweiligen Stücken einen eigenen, passenden Charakter und steigern die Spannung der Gesamtproduktion zusätzlich, ohne künstlich zu wirken.

Reinhören!

Es ist kein konventionelles Jazz-Album, in das ich per Zufall reinhörte, doch es ist seit längerer Zeit eines, das mich von der ersten Note an interessierte und das bis zum Schluss nie an Spannung verliert, meine Neugierde immer wieder aufs Neue weckt.

Unbedingt ein Ohr voll nehmen, oder noch besser, sich Zeit nehmen und alles in einem Guss geniessen.

STECKBRIEF
Interpret:
Baptiste Trotignon, Piano
Besetzung:
(Gäste auf einzelnen Stücken)
Camélia Jordana, vocals
Thomas de Pourquery, vocals
Ibrahim Maalouf, flugelhorn
Avishai Cohen, trumpet
Joe Lovano, tenor saxophone
Vincent Segal, cello
Albumtitel:
«You’ve changed»
Herkunft:
Frankreich
Label:
OKeh (Sony Music)
Erscheinungsdatum:
8. Nov. 2019
Spieldauer:
65:41
Tonformat:
FLAC 44,1/24
Aufnahmedetails:
RECORDING VENUES
Salle Colonne, Paris, on September 27-29, 2017 (piano solo)
November 1, 2017 (2) / May 7, 2018 (6)
Searsound Studio, New York, on October 28, 2017 (8)
Studio de Meudon, on November 22, 2018 (1) / and February 1, 2019 (3)
Medium:
Download/Streaming
Musikwertung:
9
Klangwertung:
9
Bemerkung:
Schönes, ausführliches, zweisprachiges Booklet
Bezugsquellen