Begonnen hatten die Herren Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Bill Wyman und Charlie Watts als harte Rhythm'n'Blueser, die im regnerisch-grauen London der 1960er den rauen Sound ihrer schwarzen Vorbilder aus den USA kopierten – mit einer guten Dosis Krawall-Attitüde. Ihre erste LP "The Rolling Stones" anno 1964 bestand fast ausschliesslich aus Cover-Versionen von Songs, die höchstens Insidern bekannt waren.
Pop war bei ihnen verpönt, Britrock à la "Satisfaction" lag damals noch ein Weilchen entfernt. Unlängst veröffentlichte ihre Plattenfirma dieses rüde Startkapitel noch einmal neu im Rahmen der 15-CD-Box bzw. der 16-LP-Box "In Mono" – und man staunte nicht schlecht, wie sehr die blassen Briten in ihren Anfängen an den Lippen ihrer afroamerikanischen Ziehväter hingen.
Seitdem haben uns die Stones eine Menge Hochkaräter, aber auch einigen akustischen Müll vor die Füsse – oder in die Ohren – gerollt. Auch wenn das die beinharten Fans ungern lesen: Seit "Exile on Main Street" (1972) warten ihre Anhänger auf ein richtig grosses Album. Obschon wohlmeinende Kritiker ein solches immer wieder herbeischreiben wollten. Unter dem Strich sorgten immer wieder trieflangweilige Balladen, hanebüchene Funk-Anleihen, dumpfer Discosound, flache Pop-Liedchen und halbgarer Rock-Durchschnitt dafür, dass man selten über die volle LP/CD-Distanz mitgehen wollte.
Und nun bescherten uns die alten Herren kurz vor Weihnachten 2016 also "Blue & Lonesome" – mit 12 Songs allesamt aus fremder Feder, so wie seinerzeit beim Debüt. Und so wie seinerzeit besteht das Album ausschliesslich aus Blues und Rhythm'n'Blues von begnadeten und berufenen Musikern wie Little Walter (von ihm stammt der Titelsong), Willie Dixon, Memphis Slim, Howlin' Wolf, Otis Rush oder Jimmy Reed. Und wieder staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich. Das sind eine verdammt gute Coverband, diese Rolling Stones.
Von der Urbesetzung sind immerhin noch Sänger/Harmonikaspieler Mick Jagger, Drummer Charlie Watts und natürlich Gitarrenlegende und Überlebenskünstler Keith "Keef" Richards mit dabei. An der zweiten Gitarre bemüht sich seit Jahrzehnten Ronnie Wood, vom Alkohol los- und zum Legendenstatus hinzukommen. Wie man auf dem Mitschnitt des bereits legendenumwobenen Konzerts auf Kuba ("Havanna Moon") vom letzten Jahr erleben kann, ist er auf gutem Weg dahin. "Havanna Moon" ist übrigens ein echter Tipp auf Blu-ray.
Sowohl live als auch im Studio halten Bassist Darryl Jones und vor allem Keyboarder Chuck Leavell den Laden zusammen. Und natürlich Frontmann Jagger. Der ihm in inniger Hassliebe verbundene Glimmer-Twin Keef gab einst lautstark seiner Bewunderung für Micks Mundharmonika-Künste Ausdruck (möglicherweise, um dem gockelnden Vokalisten eins auszuwischen). Doch bei "Havanna Moon" zeigte der inzwischen 73-Jährige wirklich bemerkenswerte Harp-Kunst. Und auch auf "Blue & Lonesome" glänzt Jagger als superber Harper und als noch immer grossartiger Sänger. Das muss man ihm einfach lassen.
Vielleicht waren es die tollen Leistungen am Mikro, welche die Kritikerzunft zunächst ziemlich einhellig und oft auch ziemlich unreflektiert Lobeshymnen anstimmen liessen. Viele Gazetten lobten das "blaue" Stones-Album über den grünen Klee. Gerne wurde auch die Mär erzählt, das Album sei in Rekordzeit, quasi live, ohne Overdubs entstanden. Produzent Don Was hätte höchstens minimal-invasiv mitoperiert. Das stimmt nach glaubwürdigen Quellen zwar so nicht, aber der Produktionsaufwand hält sich tatsächlich in wohltuenden Grenzen.
Gaststar Eric Clapton – einstiger Gitarrengott, mit Leavell seit Langem bekannt und mindestens so lange im Geschäft wie seine Landsleute – spielt bei zwei Songs fein mit, ohne die Bäume in den Himmel wachsen zu lassen oder gar virtuos auszureissen.
Die Rolling Stones klingen und spielen wie in alten Zeiten. Der Sound ist rau und herb, wie das sein muss. Auch kritische Begleiter ihres Weges dürften anerkennen, dass diese Rückbesinnung zum besten RS-Album seit Jahrzehnten geführt hat. Ob es eine Verlegenheitslösung war, weil die Jungs im Studio einfach kein gutes Rock-Album mehr hinbekommen haben, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass sie ein verdammt gutes R'n'B-Album hinbekommen haben. Kein Jahrhundert-Werk, aber hohe Schule.
Apropos "Rockbesinnung": Kaum läuft der erste Titel des High-Resolution-Downloads von der Festplatte in die Anlage, schaut man als HiFi-Fan genau hin, ob man versehentlich den Mono-Knopf gedrückt hat. Beinahe einkanalig kommt das grandiose "Just For Fool" rüber – auch dies eine schöne Reminiszenz an das Frühwerk. Natürlich geht es in Stereo weiter, im Übrigen im eher ungewöhnlichen Datenformat 24 Bit / 88,2 KHz. Ob da nur das normale CD-Format 16/44,1 "hochgejazzt" wurde, kann der Autor nicht gerichtsverwertbar beweisen.
Der Klang ist bewusst nicht audiophil produziert, das ginge auch am Charakter des Albums vorbei. Die zum Vergleich herangezogene LP klingt nicht besser, eher komprimierter und schlapper. Was die Vinyl-Fans vielleicht nicht gerne lesen: Die schwarze Scheibe wirkt eher lustlos herausgegeben. Der Download und die CD tönen recht ähnlich, wobei sich das höher aufgelöste Format vor allem bei Details etwas besser schlägt.