MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
28. August 2025
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Es wurde nach Lust und Laune auf wenige oder ein Instrument umgeschrieben, reduziert. Daran haben sich auch die Komponisten selbst beteiligt. War das doch eine zusätzliche Einnahmequelle. Auch für Arrangeure, die beliebte Ouvertüren und Arien aus Mozart-Opern zu Harmoniemusik umschrieben. So kam auch das gemeine Volk auf der Strasse in den Genuss dieser Werke, allerdings nicht in der originalen Form.

Jazz-Pianist mit Klassik-Wurzeln

Thomas Enhco (*1988), aufgewachsen in einer Musikerfamilie, hatte schon früh Kontakt mit Mozarts Werken. Seine Mutter sang Mozart-Arien, der Grossvater dirigierte dessen Symphonien. Er genoss eine solide Ausbildung im klassischen Repertoire und studierte in Paris Jazz und Improvisation am Conservatoire national supérieure de musique et de danse.

Nach Jazzimprovisationen über Werke von Bach und Brahms, veröffentlicht Enhco nun ein Jazz-Crossover-Album mit Mozart-Werken. Eigentlich eine doppelte Transformation: Einerseits werden Orchesterwerke, Kammermusik und Gesangswerke aufs Klavier transkribiert und dann wird alles ins Jazz-Genre transformiert. Vorweg: ein musikalischer Hochgenuss.

Das Klassik-Repertoire als Steinbruch für Neues

Seit jeher werden aus dem unermesslich grossen Fundus der Klassik Kompositionen von Bach bis Tschaikowsky Motive und Melodien entnommen. Sei es für einen seichten Schlager oder mit Reduktion und Banalisierungen grosser Werke für Unterhaltungsorchester oder seriöse Neuinterpretationen, vorab im Jazz. Das bekannteste Beispiel für Letzteres ist Jaques Loussier, der seit Anfang der60er-Jahre mit seinen Play-Bach-Alben Bekanntheit erlangte.

Thomas Enhco gelingt ein subtiler und zugleich packender Umgang mit Mozarts Werken. Kein bis zur Unkenntlichkeit verdrehter Jazz-Groove des Ursprungsmaterials. Ihm gelingt eine ausgewogene Balance der beiden Genres, allerdings mit klarer Jazz-Positionierung. Folglich ist das Album bei Qobuz auch in der Klassik- und Jazzkategorie als Neuheit gelistet.

Thomas Enhco.Thomas Enhco.

Enhco und das breite Mozart-Werkspektrum

Mozart hat in nahezu allen Werkgattungen Meisterwerke geschaffen oder die Gattung zumindest aus einer simplen Form in höhere Formsprachen gehoben. Thomas Enhco schöpft breit aus diesem enormen Fundus. Für seine Interpretationen wählt er aus Mozarts Opern, Konzerten, geistlichen Werken und Kammermusikwerken einzelne Sätze, Arien oder Segmente. Diese setzt er mit einer scheinbaren Leichtigkeit in ein Spannungsfeld zwischen Klassik und Jazz. Im Sinne der klassischen Variation und Improvisation entwickeln und transformieren sich die Stücke kontinuierlich.

Faszinierender Spannungsbogen

Mozart war Meister darin, seinen Kompositionen eine dem Werk und der Erwartung des Publikums entsprechende Tonalität und Dramaturgie zu verleihen. Der – heute teilweise als süss empfundenen – sanften Melodik, Harmonik (Klaviersonate KV331, Track 6) folgen tiefgründige (C‑Moll Messe, Track 7) und hochdramatische, tonal düstere Stimmungen (Ouvertüre Don Giovanni, Track 1). Das Album «Mozart Paradox» greift diese scheinbaren Widersprüche gekonnt auf und setzt eine neue tonale, rhythmisch prägnante Form. Enhco nutzt den grossen Tonumfang eines modernen Flügels, um zum Beispiel beim Kyrie aus der C‑Moll-Messe oder der Ouvertüre aus der Oper «Don Giovanni» (Track 1) eine Extra-Portion Tiefgang und Dramatik zu verleihen.

Nachtmusik – kennt jeder?

Die Serenade Nr. 8 für Streicher («Kleine Nachtmusik», Track 2) kennt jeder – zumindest den Anfang des ersten Satzes. Thomas Enhco interpretiert den 4. Satz mit Tempo und Unbeschwertheit. Er transformiert dieses schon oft gehörte, und folglich zur leicht nervigen Langeweile neigende Stück, in ein quirliges Hörvergnügen, das zeitweise an Keith Jarretts «The Köln Concert» erinnert.

  
Thomas Enhco und Vassilena Serafimova. Es lohnt sich, Thomas Enhcos Diskografie zu erkunden. Sie hält einige Überraschungen bereit.Thomas Enhco und Vassilena Serafimova. Es lohnt sich, Thomas Enhcos Diskografie zu erkunden. Sie hält einige Überraschungen bereit.

Sonate für Klavier und Violine KV 304

Eine lyrische Sonate, aus der Thomas Enhco den zweiten, langsameren Satz (Tempo di Menuetto) wählt (Track 3). Die originale Trio-Struktur des Satzes bleibt erhalten, wird aber dominant von Jazz-typischen Harmonien und Rhythmen getragen und endet in einem gewaltigen Schlussakkord, der bis in den Bereich von 55 Hertz herunterreicht (A/A1). Der Kontrast zwischen dem leisen und sanften Anfangsthema und diesem Schlussgewitter könnte nicht grösser sein. Dazwischen wird das Thema in seiner Weiterverarbeitung kontinuierlich entwickelt, folglich auch verfremdet, um sich dann formal wieder dem Original zu nähern.

Von Klavier zu Klavier

Die Klaviersonate KV331 (Track 6) ist vor allem durch den Schlusssatz bekannt, ein Allegretto in Rondoform «All Turca» (türkischer Marsch). Enhco spielt den ersten Satz, der durch seinen enormen melodischen und emotionalen Gehalt als eine der ergreifendsten Mozart-Klaviersonaten gelten kann. Das Stück kann je nach Interpretation aber durchaus ins Kitschige abgleiten. Enhco gelingt es, die Emotionalität des Originals zu erhalten, aber dennoch neue Spannungsbögen zu schaffen. Ruhe und subtiler Tiefgang sind Stärken seiner Transformationen.

Überraschende Entwicklungen

Im Duett «Là ci darem la mano» will Don Giovanni (Track 10) die Zerlina trickreich verführen. Der Anfang des Stücks erklingt bei Enhco im Stil eines Barpianisten, der seine illustren Gäste unterhält. In den folgenden Variationen entwickelt sich ein facettenreiches Klangspektrum, das ungemein fesselt. Das Hauptthema wird ideenreich umspielt, verfremdet, um dann wieder nahezu im Original zu erklingen.

Ergreifender Tiefgang

Mozarts Requiem ist ein düsteres und sagenumwobenes Werk. Ein vom Tod gezeichneter Mozart komponiert als Auftragswerk eine Totenmesse. Das nicht vollständig auskomponierte Lacrimosa bietet Thomas Enhco die Grundlage, um aus dem Vorhandenen in vier Variationen eine eindrückliche Themenverarbeitung zu kreieren. Am Ende erklingt das Hauptthema in nahezu originaler Form – was vorher nie der Fall war – leise aus.

Alles in allem gelingt Thomas Enhco eine eindrückliche Auseinandersetzung mit Mozarts Werken.

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