Professor in Wien
Jürg Jecklin verliess Radio Basel noch vor seiner Pensionierung und amtete von 1998 bis 2004 als Professor für Theorie der Elektroakustik an der Universität für Musik und darstellende Kunst (mdw) in Wien. Danach blieb er dort bis 2016 und lehrte als Dozent für Beschallung und Aufnahmeanalyse.
Vor seinem Amtsantritt fragte er seinen Bruder Andrea um Rat, denn er besass keine pädagogische Ausbildung. Andrea war Direktor der Pädagogischen Hochschule in Chur und gab seinem Bruder folgende Antwort: «Man muss fachlich kompetent sein, man muss die Studierenden ernst nehmen und für sie da sein. Den Rest macht man mit persönlichem Stil.» Diesen hatte Jürg Jecklin sehr wohl und vor allem konnte er die Studierenden begeistern.
Den Studierenden lagen die Scripts in schriftlicher Form vor, also mussten sie während den Lektionen nichts mitschreiben. Das schaffte Raum für Spontaneität und freie Entwicklung des Stoffs. Ein grosses Anliegen war Jecklin, zu vermitteln, wie man als Tonmeister mit Musikern umgeht. Denn wer mit den Musikern menschlich nicht klarkomme, werde beruflich scheitern. Und noch etwas gab er den Studierenden mit: Sie sollten lernen, genau hinzuhören.
Jürg Jecklin ging in dieser Arbeit auf, denn er mochte die Menschen und sie ihn. Er konnte zwar an seinen vielfältigen Projekten in der Abgeschiedenheit seines Hauses in Vicosoprano im Bergell arbeiten, doch nach einer gewissen Zeit schien ihm die Decke auf den Kopf zu fallen. Deshalb nahm er die langen Reisen nach Wien in seinem Saab noch lange gerne auf sich, immer mit ein paar Dosen Red Bull im Gepäck! Sogar nach seinem definitiven Abschied von Wien sprang er spontan für zwei Wochen als Troubleshooter ein. Sein Nachfolger im Amt war unerwartet gestorben.
Wissen vermitteln
Jürg Jecklin publizierte sein Leben lang zahlreiche Fachartikel und zwei Bücher, im Jahr 1967 «Lautsprecherbuch» und 1980 «Musikaufnahmen». Das Vorgängermedium von avguide.ch, die Zeitschrift «Sound & Vision», verdankt ihm mehrere hochinteressante Artikel, die noch heute aktuell wirken. Er hielt auch viele Vorträge, unter anderem im Klangschloss. avguide.ch hat zwei davon aufgezeichnet:
Von Edison bis Surround, 2014
Tonmeister Jürg Jecklin führt mit zahlreichen Musikbeispielen durch die Geschichte der Musikaufnahme. avguide.ch bringt den Vortrag anlässlich des Klangschloss 2014 in voller Länge.
Die Geschichte der Konzertsäle
Klangschloss, Samstag, 2. Mai 2015.
Vor kurzem führte Ernst Müller, der langjährige Präsident der AAA Switzerland, einige längere Interviews mit Jürg Jecklin im Hinblick auf ein Buchprojekt über sein tonmeisterliches Leben. Für diesen Nachruf konnte mir Ernst deshalb wertvolle Informationen liefern. Wenn alles gut geht, wird das Buch im nächsten Jahr erscheinen.
Der «einfache Mensch» Jürg Jecklin sprach und schrieb immer in klaren Worten. Er hatte die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge in wenigen, präzisen Sätzen darzulegen. Damit diese auch im Gedächtnis haften bleiben, verband er die Sätze gerne mit einer einprägsamen Story, nutzte ein Sprichwort oder einfach ein deftiges Wort. Das war politisch nicht immer korrekt, aber witzig.
Wer Wissen so einprägsam vermitteln kann, muss sich auch darum bemühen. Sein Forschergeist war ungebrochen und er suchte unermüdlich nach interessanten Papers und neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Tontechnik. Manche neuen Entwicklungen verfolgte er aber auch mit grosser Skepsis. Sie erinnerten ihn an die Entwicklungen des Verbrennungsmotors. Und immer wieder betonte er: Die Menschen haben verlernt, genau hinzuhören.
Wir verlieren mit Jürg Jecklin nicht nur eine Koryphäe der Audiotechnik, sondern auch einen liebenswürdigen, geistreichen Menschen, der unheimlich inspirieren und motivieren konnte. Er verstarb Ende November 2021 im Alter von 83 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit.