«Ich bin ein einfacher Mensch», betonte Jürg Jecklin gerne in Gesprächen über sinnvolle Audiolösungen. Ihn interessierte die Aufnahme- und die Wiedergabeseite, denn er war ein Universalist, in beiden Gebieten unheimlich belesen, aber auch an praktischen Lösungen interessiert und dabei höchst kreativ.
Folgerichtig entwickelte er für beide Sparten aufsehenerregende Geräte. So im Jahre 1971 den ersten offenen Kopfhörer «Jecklin Float», als präzises Kontrollinstrument bei Aufnahmen in Konzertsälen, wo keine Tonregie vorhanden war. 1980 folgte die «Jecklin-Scheibe», eine rein zweikanalige Aufnahmeeinheit als Antithese zur damals grassierenden Polymikrofonie bei Klassikaufnahmen. Seine Ansätze waren unkonventionell, aber eben radikal vereinfacht und auf den Punkt entwickelt.
So besteht der Kopfhörer aus zwei riesigen, elektrostatischen Membranen, die vor den Ohren «floaten» – anstatt wie bei anderen Kopfhörern zwei Ohrmuscheln mit kleinen Lautsprechern den Schall ins Ohr drücken. Jecklin berücksichtigte das natürliche Hören des Menschen und übertrug es auf die Wiedergabe mit Kopfhörern. Konstruktiv löste er dies mit einer formal bestechend einfachen Idee: mit einem gebogenen, breiten Plexiglas-Band, das beide Membranen verbindet und frei auf dem Kopf aufliegt.
Seine Scheibenidee ist nicht minder originell: Zwei Mikrofone mit Kugelcharakteristik und einem Öffnungswinkel von ca. 60° sind seitlich an eine schallbedämpfte Scheibe von der Grösse einer LP montiert. Die erste Version bastelte er an einem regnerischen Sonntagnachmittag am Küchentisch. Die ersten Aufnahmen zeigten ihm schon, dass der Ansatz funktioniert, nämlich den Klangkörper in seiner Akustik authentisch einzufangen.
Auch die ersten Floats bastelte er am Küchentisch. Er begründete die Wahl der elektrostatischen Membranen damit, dass er so den ganzen Hörer selbst mit Material aus Migros, Coop und dem Baumarkt herstellen konnte. «Ich musste nur die richtige Folie finden und lernen, wie ich sie spanne und mit Graphit einreibe, damit sie die akustisch richtigen Eigenschaften hat.»
Bei diesen Erklärungen schwang Koketterie mit, denn Jecklin war auch Perfektionist. Die Wahl des Elektrostaten steht dafür exemplarisch, wie diejenige der besten Kondensatormikrofone mit Kugelcharakteristik für seine Scheibe. Es musste genau ein spezifischer Typ sein, um seine hohen Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Auch beim elektrostatischen Float-Kopfhörer verwendete er nur die besten Übertrager. Diese waren leider so schwer und teuer, dass sie beim damaligen Serienmodell nicht verwendet wurden. Nur er hörte stets damit. Diese Haltung, wenige, aber beste Zutaten zu verwenden, durchdrangen sein Leben.
In der Küche bevorzugte er einfache Gerichte: Spaghetti mit Tomatensauce, aber nur mit Zutaten eines bestimmten Lieferanten im nahen Italien. Und er ärgerte sich über moderne Verbrenner-Autos, die nur dank einer Unmenge an elektronischen Steuerungen funktionieren würden. Sie würden totgeregelt. Er fuhr einen Saab aus besseren Zeiten vor der Jahrtausendwende, doch begeisterte ihn auch der neue Trend zu Elektroautos. «Der Elektromotor ist sehr viel einfacher als der Ottomotor, benötigt kein Mehrgang-Getriebe und ist verschleissärmer». Er hatte schon ein kleines Gefährt für den Alltag auf seiner Wunschliste.
Radio-Storys
Die Leidenschaft für Audiotechnik und Musik erfasste Jürg Jecklin schon in seinen Teenagerjahren. In seinem Zimmer in Chur bastelte er mit allen Tricks einen Radioempfänger und kaufte schon früh einen Plattenspieler und Jazzplatten. Auch wurde er vom Virus des Films und des Film-Tons erfasst. Da die Kinos in Chur technisch veraltet waren, trampte er regelmässig nach Zürich. Im Kino Apollo mit den neuen Breitbild-Filmformaten mit Mehrkanalton entdeckte er eine neue Welt.
Vor der Maturaprüfung gab er als Berufsziel Tonmeister an, was sein Klassenlehrer als Schande für die Kantonsschule empfand. Jecklin vermutete, dass dieser meinte, er wolle als Töpfer arbeiten, und liess sich jedenfalls nicht beirren. Mit etwas Glück ergatterte er 1961 als 23-Jähriger eine Anstellung im Radiostudio Basel, wo er schliesslich über 30 Jahre lang wirkte.
Die Ausbildung zum Tonmeister erfolgte nicht klassisch, aber für ihn typisch: Er studierte vier Semester am Basler Konservatorium und besuchte musikwissenschaftliche Vorlesungen an der Uni Zürich. Anschliessend absolvierte er den internen Toningenieurlehrgang der ARD in Nürnberg und machte einen Abschluss als ARD-Toningenieur und -Tonmessingenieur.
Dass er nie ein Tonmeisterdiplom aus Detmold aufhängen konnte, bekümmerte ihn nicht. Auch dass seine Mitgliedschaft im prestigeträchtigen Verband deutscher Tonmeister (VdT) 1963 wegen des fehlenden Detmolder Diploms abgelehnt wurde, wunderte ihn nicht. Mit spitzbübischem Lächeln nahm er aber zu seinem 80. Geburtstag vom selben Verband die Ehrenmedaille entgegen.
Die Jahre als Tonmeister beim Radio Basel nutzte er auch, um technisch neue Möglichkeiten auszuloten. So nahm er – zunächst unerlaubterweise – in Stereo auf. Das Schweizer Radio sendete bekanntlich noch lange in Mono. Jahre später setzte er die Idee einer Konzertübertragung in Quadrofonie im Radio durch, wofür er die zwei Sender DRS1 und DRS2 nutzen konnte. Dazu empfahl er eine besondere Aufstellung der hinteren Lautsprecher, die er anhand einer Studie eines japanischen Instituts entdeckte.
Schon früh erkannte er die Möglichkeiten von Digitalaufnahmen und preschte auch hier vor – wie üblich nicht zur Freude aller. Es ist der steten Unterstützung durch seinen damaligen Vorgesetzten, Roman Flury, und dem interessierten Mitgehen von Albrecht Gasteiner zu verdanken, dass Jürg Jecklin viele spannende und innovative Projekte umsetzen konnte.
Dabei war für ihn das aufnahmetechnische Ergebnis nur als Projekt bedeutend. War die Arbeit getan, interessierte sie ihn nicht mehr. Er selbst besass zu Hause keine selbstgemachten Aufnahmen. Für ihn waren der Prozess der Aufnahme und die Zusammenarbeit mit Musikern das Lebenselixier. So konnte er stundenlang schräge Geschichten aus dieser Zeit zum Besten geben und man hing ihm an den Lippen. Ihm kam zugute, dass er mit einem ziemlich guten Gedächtnis gesegnet war, und wo dieses versagte, erfand er die Story geschickt weiter.