Neues Klangzeitalter?
Bereits beim Hörtest der Vorgängerin Bowers & Wilkins 802 D3 (nachzulesen: hier) hagelte es im Zusammenspiel mit den Classé-Komponenten Superlativen wie «verblüffende räumliche Durchhörbarkeit», «superbe Feinzeichnung und Detailauflösung» oder «atemberaubende Spielfreude und spannende Dramatik». Ausserdem beeindruckte die ausgeprägte «plastisch-dreidimensionale Abbildung».
Wer nur erwartet, dass die vierte Generation überall noch eins draufsetzen und Musik noch effektvoller in Szene setzen würde, vermutet zwar nichts Falsches, liegt aber dennoch daneben. Zwar liegt die 802 D4 in allen Disziplinen (Fein- und Grobdynamik, räumliche Abbildung, Transparenz etc.) tatsächlich vorne. Dennoch fallen die einzelnen Tugenden deutlich weniger auf als noch bei der Vorgängerin. Die Neue beeindruckt nämlich weniger in Einzeldisziplinen als viel mehr mit der Art und Weise, wie sie Musik schlichtweg ohne weiteres Zutun bzw. ohne irgendwelche Abstriche so wiedergibt, wie sie vom Toningenieur aufgenommen wurde.
Zwar hat bereits die Serie 800 D3 (zu Recht) den Ruf, sehr wenig «Eigenklang» an den Tag zu legen. Die neue Serie D4 setzt diesbezüglich den Massstab nochmal wesentlich höher. Sie gibt Musikaufnahmen so authentisch wieder, wie man es nur selten erlebt. Dies bedeutet, dass man als sich als Hörer bei guten Aufnahmen im siebten Himmel wähnt und gar nicht mehr auf die Technik der Musikwiedergabe achtet. So machte es die 802 D4 auch dem Autor richtig schwer, Hörnotizen auf den Zettel zu bringen.
Je länger der Hörtest dauert, umso mehr verfällt man dem Bann des Musikhörens und fokussiert überhaupt nicht mehr auf irgendwelche Details. So ist zwar auch bei der 802 D4 objektiv betrachtet die «Durchhörbarkeit der Musik exzellent» (Zitat aus dem Hörtest der Vorgängerin). Nur fällt diese Eigenschaft gar nicht mehr als solche auf. Vielmehr akzeptiert man ihr Wiedergabevermögen spontan als richtig und authentisch und gibt sich bald schon ohne Vorbehalte der Musik hin. Wo also die Vorgängerin mit sehr vielen positiven Eigenschaften punktete, sind diese bei der Neuen zu einem klanglichen Gesamtkunstwerk so zusammengefügt, wie es wohl nur sehr wenige Schallwandler der Topklasse auf die Reihe kriegen.
Dennoch sei versucht, hier ein paar besondere Eigenschaften zu skizzieren: Auffallend ist die exzellente Feindynamik bei jedwedem Abhörpegel. Wo viele andere Lautsprecher ein bestimmtes Ausmass an minimaler Lautstärke verlangen, um vital zu klingen, sorgt die 802 D4 für ausgeprägten Hörspass schon beim Leisehören. Der Klangeindruck bleibt (abgesehen von der natürlichen, frequenzabhängigen Lautstärkewahrnehmung des menschlichen Gehörs) weitgehend der gleiche – egal, wie laut man hört. So benötigt der britische Ausnahmelautsprecher keine gehörrichtige Lautstärkeentzerrung, um bei kleinem Abhörpegel im Tieftonbereich druckvoll und in den Mitten und Höhen transparent aufzuspielen. Dies ist sicher auch der Class-A-Elektronik zu verdanken, die bei sehr geringer Leistung noch sehr differenziert arbeitet.
Die räumliche Abbildung ist sowohl in der Breite wie in der Tiefe so ausgeprägt, wie es der Original-Aufnahmeraum hergibt. Man wähnt, bei der Aufnahme live dabei zu sein. Stimmen und Einzelinstrumente gewinnen im Hörraum eine atemberaubende Präsenz. Dies wohlgemerkt ohne übertriebene Abbildungsschärfe; alles ist perfekt ausbalanciert und harmonisch in den Gesamtzusammenhang eingebettet. Das musikalische Geschehen pulsiert und atmet und nimmt einen mit auf eine emotionale Reise. So ein Musikerlebnis ist schon Extraklasse.
Auch bei der Tieftonwiedergabe hat sich punkto «Unauffälligkeit» einiges getan. Der Bass kommt mühelos, leicht und bestens konturiert bis in die tiefsten Register. Dies ohne Resonanzen oder Betonungen bestimmter Frequenzen; der Bass geht nahtlos in einen ebenso gut definierten Grundtonbereich über. Objektiv betrachtet hat sich im Mitteltonbereich im Vergleich zur Vorgängerversion wohl am meisten getan. Wobei erst ein A/B-Vergleich fundierte Aussagen möglich machen würde. Für sich betrachtet kann man der Mittenwiedergabe eine filigrane Leichtigkeit attestieren, wie man sie sonst nur von guten Elektrostaten kennt.
Letzten Endes tritt bei der 802 D4 auch der Hochtonbereich weniger auffällig in Erscheinung als bei der Vorgängerin. Dass die Höhen unglaublich klar und fein ziseliert ertönen, fällt eben nicht mehr so ins Gewicht, wenn die Ansprache über den gesamten Frequenzbereich gleichermassen mühelos und impulsschnell ausfällt.
Dennoch gilt auch für die vierte Generation, dass die Serie 800 schlechte Aufnahmen in keiner Weise beschönigt, sondern Fehler des Toningenieurs klar als solche erkennen lässt. Bei zu hell abgemischten Aufnahmen bewährt sich im Übrigen der «Tilt»-Regler der Classé-Vorstufe ungemein. Man kann damit zu grelle Aufnahmen problemlos goutierbar machen. Bei gelungenen Aufnahmen wähnt man sich hingegen wie bereits erwähnt im «siebten Musikhimmel». Punkto erlebbarer Schönheit des Klangs sind bei guten Hi-Res-Tracks über die Bowers & Wilkins 802 D4 jedenfalls keine Grenzen gesetzt.
Widerstand zwecklos
Vorsicht: Schon eine kleine Dosis Musikhören über die neuen 802 D4 von Bowers & Wilkins kann süchtig machen. Tatsächlich tauchten beim Autor plötzlich Visionen von einem akustisch guten Hörsaal auf, in dem Musik über so tolle Lautsprecher und Elektronik einer audiophilen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Auch wenn derzeit umständehalber keine grossen Events wie High End oder Klangschloss stattfinden (wo man solche Toplautsprecher hören kann), bleibt doch die Möglichkeit des Probehörens im ausgesuchten Fachhandel. Wer die Möglichkeit dazu hat: Ein Hörbesuch lohnt sich unbedingt.